Bilder: 20th Century Fox, The Walt Disney Company, Searchlight Pictures Fotos: 20th Century Fox, The Walt Disney Company, Searchlight Pictures
  • Bewertung

    Poor Things war gestern

    Exklusiv für Uncut aus Cannes 2024
    Yorgos Lanthimos war vor nicht gerade wenigen Monaten noch in aller Munde. Als Regisseur des farbenfrohen und schrägen „Poor Things“ konnte er nicht nur beinahe 100 Auszeichnungen einheimsen, sondern auch großen Zuspruch aus dem Publikum. Nun ist er mit „Kinds of Kindness“ zurück und lässt das nächste unvergessliche „Monstrum“ auf die Welt los. Nur so viel sei gesagt: Jeder, der „Poor Things“ als abgefahren, skurril, bizarr, eigenartig und sonderbar bezeichnete, muss sich bei „Kinds of Kindness“ echt anstrengen, noch passendere Worte zu finden. Erneut macht Lanthimos übliche Lanthimos-Sachen und das so schwarzhumorig wie nur möglich.

    Darum geht’s: Robert (Jesse Plemons) führt ein scheinbar tolles Leben. Er ist beruflich erfolgreich, weiß seine charmante Frau, Sarah (Hong Chau), an seiner Seite und bewohnt ein luxuriöses Traumhaus. All das hat er aber nur erreicht, indem er für seinen exzentrischen Chef Raymond (Willem Dafoe) makabere Aufgaben erfüllt. Als er eines Tages die Aufgabe erhält, einen Menschen in Lebensgefahr zu bringen, zieht Robert die Reißleine. Nachdem er mit Raymond abrechnet und Sarah seine dunkle Vergangenheit gesteht, ist es vorbei mit dem komfortablen und strukturierten Alltag. Die Tage, die folgen, sind von Einsamkeit geprägt, bis er auf die reizende Rita (Emma Stone) trifft. Er stellt bald fest, dass Raymond immer noch die Strippen im Hintergrund zieht, was letztlich zur Eskalation führt.

    Drama mal drei

    Die Synopsis bezieht sich nur auf den ersten Teil der insgesamt drei Kurzgeschichten, die Lanthimos in „Kinds of Kindness“ zusammenfügt. Sie teilen sich dabei den Cast (jeder Schauspieler erhält jeweils eine andere Rolle), aber auch den für Lanthimos typischen Inhalt, der mit Nacktheit, Gewalt, Sexualität, Blut, Körperteilen und jede Menge schwarzen Humor präzise zusammengefasst werden kann. Anders gesagt: Die Frage, welche Geschichte die verrückteste ist, sollte man sich am besten gar nicht erst stellen. Stattdessen trifft es ein Zitat aus den Simpsons ganz gut, welches sich für alle drei Einzelgeschichten perfekt anbietet: „Das war merkwürdig, eigenartig, krank, verdreht, ekelhaft und gottlos. Ich will mitmachen!“.

    Wie die Einzelgeschichten zusammenhängen, ist eine Frage, mit der sich jeder gern selbst herumschlagen kann. Es gilt ebenso für die generelle Sinnhaftigkeit des Gezeigten, da sich die Bilder immer wieder den Gesetzen der Logik entziehen. Mit grotesken bis surrealistischen Tendenzen hält Lanthimos dem Publikum viel lieber vor Augen, dass sich alles in einer scheinbar seltsamen Parallel- oder Traumwelt abspielt, in der die Grenzen menschlicher Entscheidungen stark verwässert werden. Die perfide Wahl des Intro-Songs auf „Sweet Dreams“ der britischen Popband Eurythmics könnte vor diesem Hintergrund nicht besser sein.

    Während die Credits der ersten Kurzgeschichte das Bild zieren und man gern einen Moment hätte, um das alles mental verarbeiten zu können, setzt wenige Sekunden später direkt die nächste Story ein. Alles auf null gesetzt, passiert die nächste Teufelei, die mal mehr, mal weniger schockiert. Das alles wird auf beinahe drei Stunden ausgebreitet und gründlich seziert, wodurch eine spürbare Überlänge entsteht. Während in „Poor Things“ der Schockfaktor dem Humor unterliegte, erreicht Lanthimos mit „Kinds of Kindness“ aber zumindest wieder eine besser gewichtete Balance aus Absurdität, Komik, Kälte, schlichtweg dunkelschwarzen Humor und Schockwirkung. Was all das im Endeffekt mit „Arten der Freundlichkeit“ zu tun haben soll, ist eine Frage, die zusätzlich Potential für intellektuelle Gespräche bieten wird. Lanthimos-Fans können also in aller Ruhe aufatmen: Auch mit dem filmischen Freudenhaus „Kinds of Kindness“ werdet ihr die beste Zeit eures Lebens haben.
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    (Michael Gasch)
    18.05.2024
    09:21 Uhr