Filmkritik zu Stillstand

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  • Bewertung

    Eine Aufarbeitung des österreichischen Wegs der Krisenbewältigung

    Exklusiv für Uncut
    Nomen est omen bei diesem österreichischen Dokumentarfilm. Seine Langsamkeit fordert heraus. Ein typischer Geyerhalter-Film munkelten einige nach der Vorführung.

    Inhalt ist die Corona-Pandemie ab 2019 in Österreich und die damit verknüpften gesellschaftlichen Ausnahmezustände, die mit den von der Politik verhängten Lockdowns verknüpft waren. Chronologisch anschaulich mit Zwischentexten aufbereitet sind im Film die Stationen dieser Zeit: restriktive Massen-Quarantäne ab 2020 in 130 Staaten. Hat Covid-19 als Thema das Zeug ins Kino zu locken oder ist die heimische Wegschau-Mentalität stärker? Wenn der Film startet, werden die Zuschauenden wieder hineingezogen in diese Zeit, die vor ihrem Beginn in dieser Form unbekannt war und inzwischen schon wieder erfolgreich kollektiv verdrängt und vergessen wurde. Als ob es sie nie gegeben hätte.

    Der Film stellt ein wertvolles historisches Dokument der Covid-19-Pandemie dar. Eingefärbt von einer Wien-Perspektive mit dem lässigem Wiener Stadtrat für Soziales, Gesundheit und Sport Peter Hacker, dessen Image, wenn er sich im Film zu Gesundheitsthemen sprechend eine Zigarette anzündet, nicht das beste ist. Eine bedeutende Rolle kam ihm im Krisenmanagement dieser Zeit zu. Bewusst macht dieser Film zweifelsohne, welch großartige Leistungen das Gesundheitssystem in Österreich in der Corona-Krise hingelegt hatte. Einmalig im europäischen und internationalen Vergleich. „Stillstand“ zeigt, wie unglaublich viele Menschen daran gearbeitet hatten, dass diese Zeit so vorbildlich bewältigt wurde. In keinem anderen Land wäre es mir so gut gegangen in der Pandemie wie in Österreich, dachte ich mir während des Films. Aber die Beschwerdekultur mit den Corona-Leugner*innen-Demos bildet der Film genauso ab. Ein Schaudern lief mir über den Rücken bei der rückwärtsgewandten, hetzerischen Rede eines „Arztes“ dieser Gesinnungs-Gemeinschaft, die wöchentlich den Ring mit Demonstrationen blockierte.

    Lange Einstellungen auf seine Bilder macht der Film, beginnend mit Strassensperren, Natur und dem lauter werdende Vogelgezwitscher in dieser Zeit. Weil aufgrund des angeordneten Rückzugs der Bevölkerung aus dem öffentlichen Raum so viel anderes verstummte. Aber es scheint, dass die Politik nicht für die Klimakrise gelernt hat aus dieser Zeit, als es kein Problem war, Verkehr einzudämmen, Flüge zum Stillstand zu bringen und damit die geringste Umweltverschmutzung seit einer Ewigkeit zu schaffen. Auch dazu gibt der Film leider keinen Kommentar und keine Positionierung ab. Dokumentarfilm präsentiert sich gerne als vermeintlich sachlich neutral und objektiv. Die Beurteilung von Bedeutungen bleiben der Interpretation der Zusehenden überlassen. Nur wem wieviel Zeit wofür eingeräumt wird im Film, legt Zeugnis über die jeweiligen Wichtig- bzw. Unwichtigkeiten ab. Augenscheinlich ist zum Beispiel dass „Stillstand“ jungen Sprechenden viel Platz einräumt und der außergewöhnlichen Home-Schooling-Zeit. Der Film begleitet eine schnell zur Identifikationsfigur gelangende hochengagierte Lehrerin und ihre Schüler*innen. Schade, dass dieser Platz nicht auch älteren Personen bzw. Mitgliedern der Risikogruppe eingeräumt wurde. Muss ich das so verstehen, als dass ihnen eine weniger wichtige Rolle in unserer Gesellschaft zukommt? Im Fall eines Horrorszenarios Triage hätten letztgenannte wahrscheinlich schlechte Karten gehabt. Was in Österreich glücklicherweise bei weitem nicht passiert ist.

    Zu „Stillstand“ fragte ich mich nach dem Ende, ob ihm nicht einige paar mehr Schnitte zur Einsparung von Szenen gut getan - und die Überlänge so vermieden werden hätten können.
    (Dominika Krejs)
    06.02.2024
    14:34 Uhr

Stillstand

Österreich 2023
Regie: Nikolaus Geyrhalter
AT-Start: 09.02.2024