Filmkritik zu Our Body

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  • Bewertung

    Ein Besuch in der Gynäkologie

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Bevor wir diese jedoch betreten, bricht die Regisseurin Claire Simon in einer Art Prolog schon die Illusion des Kinos und wir sehen ihren Schatten, der sich selbst filmt. Das erinnert etwas an Agnès Varda. Ein sympathischer Einstieg. Wir befinden uns auf einem Friedhof, den Simon durchqueren muss, um von ihrer Wohnung zum Krankenhaus zu gelangen. Eine Fügung des Schicksals, dass Leben und Tod so nah beieinander sind. Vielleicht aber ökonomischer Natur. Um das zu begreifen, müssten wir das Krankenhaus gar nicht verlassen. Der Film spannt einen Bogen von Abtreibungen, verschiedenen Transition-Stadien, über Geburten, bis hin zu Krebsfällen. Es wird uns ein Lebenszyklus erzählt, bei dem sich Glücksmomente und Tiefpunkte die Waage halten. Das stolze Präsentieren des Bartwuchses und das Durchstehen einer Chemo-Therapie während der Schwangerschaft.

    Es werden uns die verschiedensten Menschen präsentiert, die sich alle einen Körper teilen. Ein Körper, der in der Geschichte und der Kunst so dermaßen verzehrt und plastifiziert wurde, ein Körper, in den die meisten von ihnen nicht reinpassen. Dieser Körper ist ein Mythos. Male Gaze. Ein Gespenst des Patriarchats, das immer noch durch unsere Institutionen geistert. Diesen Mythos demontiert Simon mit diesem Film. Allerdings ohne Wut oder dergleichen. Einfühlsam und ruhig schildert sie schlicht die Wahrheit. Die vielen Wahrheiten, die sich zu einem formwandelnden, ungreifbaren Körper wieder zusammenschließen, ein fleischerner Panzer. Der eigene Körper wird zurückerobert, indem über ihn gesprochen wird. Indem die Personen, vorwiegend Frauen*, selbst zu Wort kommen und nicht über sie hinweg gesprochen wird.

    Wir spielen Mäuschen, lauschen diesen Gesprächen, die wir nicht verstehen. Da wird ein Raum geöffnet, zwischen Ärzt*in und Patient*in. Ausdrücke fallen, die man nur kennen muss, wenn es einen betrifft. Keine Alltagssprache. Die Regisseurin erwähnte beim Q&A nach dem Film, dass sie anfangs selbst auch keine Ahnung hatte, wovon gesprochen wurde, erst im Laufe der Dreharbeiten eignete sie sich diese Sprache ein wenig an, bis sie sie irgendwann selbst brauchte, als sie zur Patientin wurde. Diese Erfahrung nimmt Simon mit in den Film, sie versteckt sich nicht hinter der Kamera, hinter ihrer Instanzrolle. Das ist bewundernswert.

    Ein paar Mal begibt sich das Filmteam in den Operationssaal, dort wird mittlerweile auch schon indirekt operiert. Der leitende Arzt gibt die Anweisungen, während die restlichen Ärzt*innen mit Joysticks hantieren und ein spinnenartiger Roboter, der über dem Operationstisch hängt, die Bewegungen ausführt. Damit der persönliche Kontakt mit dem/der Patient*in inmitten all der Mechanik gesichert ist, stellen sich alle Beteiligten anfangs namentlich vor.
    Das Persönliche, Höfliche, Einfühlsam und Verständnisvolle ist die größte Hürde/Bürde sowohl in den Gesprächen als auch in allen anderen Bereichen, wie z.B. Untersuchungen.
    Eine besonders schmerzliche Szene ist, als ein Arzt versucht einer Patientin beizubringen, dass sie Krebs hat, aber die beiden sprechen nicht die gleiche Sprache. Der Arzt gestikuliert und versucht es mit Google Translate. Er versucht es, und darauf kommt es an. Für einen Moment bekommen wir einen Einblick in eine Demo vor dem Krankenhaus, die zeigt, dass nicht alle Ärzte es versuchen, dass manche respektlos mit den Patient*innen umgehen. Dass es auch zu Übergriffen kam, an einem Ort wo das auf keinen Fall passieren sollte. Diese Szene ist ein Exkurs, da sie nicht repräsentativ für den Umgang ist den wir über die restliche Laufzeit zu sehen bekommen. Gegen Ende des Films begegnen wir einer alten Frau, die lange gegen ihren Krebs gekämpft hat, der die Ärztin aber mitteilen muss, dass nichts mehr gegen ihn getan werden kann. Es ist ersichtlich, dass diese Frau sonst kaum Anschluss hat. Daher ist es verwunderlich, warum der Film dem reproduktiven Aspekt des Körpers so viel Raum bietet. Da dieses Thema von all den Themen, die im Film verhandelt werden, dasjenige ist, dass medial am meisten Aufmerksamkeit bekommt und auf welches Frauen oft reduziert werden. Diese Aufteilung mindert nicht unbedingt die Qualität des Films, Simon hatte bestimmt die Vollständigkeit im Sinn.
    Den erzählerischen Bogen schließt Simon wieder bei sich selbst. Nach dieser emotionalen Achterbahnfahrt äußert sie die Worte „crazed waltz of destiny“.

    „Notre Corps“ ist ein starker und beständiger Film, weil er sich nicht auf momentane politische Debatten reduzieren lässt.
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    (Lennart-Sean Pietsch)
    26.12.2023
    23:17 Uhr
    What Really Is Creamed Corn?

Our Body

Frankreich 2023
Regie: Claire Simon