Filmkritik zu Perfect Days

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    „Slice-of-life“ eines Toilettenreinigers

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Wim Wenders ist mit gleich zwei neuen Filmen zurück: „Anselm“ und „Perfect Days“. Warum ist das eigentlich wichtig? Der in 17 Tagen gedrehter Film „Perfect Days“ könnte gar nicht existieren, wenn Wenders nicht, während der langwierigen Postproduktion des ersten Films, ein gewisses Zeitfenster gehabt hätte.

    Ursprünglich hatte er geplant, statt eines Spielfilms, vier Kurzfilme über Fortschritte in der Architektur öffentlicher Toiletten in Japan zu drehen - als Werbung für japanische Gastfreundschaft gedacht.

    Aber dank der gemeinsamen Arbeit mit dem japanischen Dramatikers Takuma Takasaki am Drehbuch, welches schließlich mehr als 100 Seiten besaß, wurde einer der vielleicht interessantesten Filme dieses Jahres, zuerst dem Publikum in Cannes, und jetzt der Viennale vorgestellt.

    Der Film zeigt uns sieben Tage aus dem gemessenen und ruhigen Leben des Toilettenputzmannes Hirayama (gespielt von Kôji Yakusho) in Tokio, welcher mit seinem Mini-Bus, unter einem unaufdringlichen Soundtrack aus Rockmusik der 70er und 80er Jahre, zwischen den Toilettenhäusern der Metropole, hin und her pendelt. Das scheint auf den ersten Blick nicht so aufregend zu sein, aber der Teufel steckt im Detail: von Anfang an lässt uns der Regisseur in den Alltag der Hauptfigur mit ihren alltäglichen Ritualen und dem Tagesablauf eintauchen, doch mit jeder Sekunde der Laufzeit erscheint uns der auf den ersten Blick gewöhnliche Hiroyama als ein Mann mit einer tieferen inneren Welt: wir sehen seinen Hausgarten mit Baumsprossen, dann hören wir zusammen „The Animals“, „Velvet Underground“ oder Lou Reed aus seiner Sammlung von Musikkassetten und schauen uns an, wie er während seiner Mittagspause im blühenden und duftenden Park Bäume fotografiert… und natürlich begleiten wir ihn bei der Reinigung der Toilettenkabinen. Aber das Wichtigste ist, dass er glücklich ist und sich auf das Hier und Jetzt konzentriert, nicht nur wenn er das Haus zur Arbeit verlässt, sondern buchstäblich jeden Moment während des Tages.
    Zuerst scheint es, als wäre es kein Film, sondern ein atmosphärisches und sehr filmisches ASMR-Video, das auf einer großen Leinwand gezeigt wird, aber im Laufe der Zeit dringt immer mehr Informationen über unseren Helden und seine Vergangenheit in das Gewebe der Erzählung ein. Und die größte Überraschung für uns - nachdem wir uns bereits an den einsamen Lebensstil Hirayamas gewöhnt haben - ist das Erscheinen seiner Nichte vor der Haustür. Nach der Flucht aus ihrem Elternhaus, sucht sie Unterschlupf bei ihrem Onkel. Dieser nimmt sie auf und leistet auch ihrem Wunsch keinen Widerstand, ihn auf seiner täglichen und dem Zuseher bereits klassischen Route zu begleiten.

    Trotz dem, dass sie ein typisches modernes Kind ist, ist sie stark fasziniert von der analogen Welt Hirayamas - von Kassetten, Papierbüchern und Radtouren. Dank ihr und vor allem ihr zuliebe formuliert er sein eigenes Lebensmotto, das sie freudig und mantraartig wiederholen: „Jetzt ist jetzt, nächstes Mal ist nächstes Mal.“
    Und vielleicht ist die Handlung mit seiner Nichte so berührend und von Natur aus wichtig für die Erzählung, dass der Rest der Geschichten weniger bedeutungsvoll und deshalb manchmal lächerlich erscheint. Doch dieses Gefühl verschwindet nachher schnell aus dem Gedächtnis und es bleibt nur ein süßer melancholischer Nachgeschmack übrig.

    Bemerkenswert ist auch das herausragende Spiel des Hauptdarstellers, ohne dass der Film, nach den Worten des Regisseurs selbst, nicht so großartig gelungen wäre. Kôji Yakusho schafft es fast ohne Worte, den Geisteszustand der Hauptfigur zu vermitteln, trotz der Tatsache, dass er, laut Kameramann Franz Lustig, der bei der Vorführung im Gartenbaukino anwesend war, nur japanisch konnte und deshalb nur über Takuma Takasaki, den Koautor, mit dem Regisseur kommunizieren konnte.

    Für mich steht dieser Film in diesem Jahr in einer Reihe mit dem wunderbaren „Past Life“. Die Schlussszene, in der das Gesicht des Schauspielers in Großaufnahme zu sehen ist, während er der Morgendämmerung entgegenfährt, zeigt die ganze Bandbreite seines schauspielerischen Könnens, für das er in Cannes als bester Darsteller ausgezeichnet wurde. Dieser Gesichtsausdruck erinnerte mich an die Schlussszene aus dem Film „Oldboy“, die einen nach dem Ansehen das Gefühl einer ausgepreßte Zitrone gibt, aber ebenso mit einem hellen Gefühl in der Brust zurücklässt.

    P.S.: Der Name der Hauptfigur Hirayama bezieht sich auf den Film „An Autumn Afternoon“ des japanischen Regisseurs Yasujirō Ozu, dessen Einfluss in der Arbeit Wim Wenders deutlich zu erkennen ist. So kann „Perfect Days“ auch als eine Einführung in den japanischen Film und das Werk dieses zweifellos erstrangigen Regisseurs dienen.
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    (Andrei Panasenko)
    29.10.2023
    08:28 Uhr
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