6 Einträge
11 Bewertungen
85% Bewertung
  • Bewertung

    Das Glück der kleinen Augenblicke

    Bei Wim Wenders wird man sich wohl kein Highspeed-Action-Kino erwarten. Oft sind es kleine, ruhige Geschichten, die erzählt werden. So auch bei „Perfect Days“. In seinem neuesten Film porträtiert Wenders einen Mann, Hirayama, der als Toilettenputzer arbeitet. Bis ins kleinste Detail wird sein Alltag auserzählt und eingefangen. Hirayama ist ein einfacher, fast schweigsamer Mann, der Tag für Tag seiner Arbeit nachgeht oder seinem wenig abwechslungsreichen Freizeitprogramm.

    Kleiner Mann, repetitiver Alltag
    Hirayamas Aktivitäten sind nicht gerade spektakulär, alltäglich und vor allem repetitiv. Mit einem zufriedenen Lächeln geht Hirayama durch sein beschauliches Leben. Alles läuft gleich ab, bis einige Figuren (also Menschen in seinem Umfeld) sich anders verhalten als gewohnt. Darauf muss er reagieren, was für etwas Spannung und humorvolle Momente sorgt. Die Einblicke in zwischenmenschliche Interaktion mit Mitmenschen, die ihre eigenen Wünsche und Sorgen haben, sind teilweise großartig. Auch nicht allzu laut, aber greifbarer, emotionaler. Viele von diesen Figuren könnten mindestens genauso spannend sein, aber ihre Geschichten bleiben bruchstückhaft.

    Autofahrten als Highlight für Musik-Liebhaber inklusive Retro-Feeling
    Als Zuseher*in muss man sich jedenfalls gedulden, bis etwas mehr Dynamik ins Leben des Protagonisten kommt. In der ersten Hälfte kann es daher passieren, dass die unterschiedlichen Toiletten der Großstadt interessanter sind als alles andere. Auch der Soundtrack ist – glücklicherweise – von Anfang an mitreißend. Retro, auf Kassetten. Ebenso klein, aber großartig. Musikalische Klassiker, die die Ansichten der Großstadt untermalen. Wenn man die Lieder mag, sich in ihr Feeling hineinziehen lässt, sind die Autofahrten zu den Toiletten ein Highlight.

    Kleine Glücksmomente in plumper Form
    Die musikalische Untermalung – eines der leider wenigen Highlights. „Perfect Days“ porträtiert einen kleinen Mann, der die kleinen Momente genießt, mit Hingabe seiner Arbeit nachgeht oder die Natur fotografiert. Eine Message, die man oft gebrauchen könnte in der schnelllebigen Zeit, die oft nur auf den Kick für den Augenblick aus ist. Gut gemeint, allerdings ist die Umsetzung nicht gänzlich gelungen. Zumindest nicht, wenn es darum geht, für diese kleinen Momente wirklich Interesse zu wecken. Eigentlich kommt sie plump daher, die Moral, dank der langatmigen Aneinanderreihung von kleinsten, alltäglichen Aufgaben, die sonst eher selten oder zumindest nur kurz ins Bild gebracht werden. Wenders schlachtet sie aus, anders kann man es fast nicht nennen. Das Zähne-Putz-Ritual, den Morgenkaffee aus der Dose. Allerdings sorgen die ständigen Wiederholungen für Stillstand. Zumindest in der Geschichte, Zuseher*innen wird lange nichts Neues geboten, nichts Kreatives, nichts Emotionales. Das birgt die Gefahr, dass das Interesse an Hirayama schon schwindet, bevor doch noch etwas Schwung in die Geschichte kommt.

    Nette Geschichte, großartige Bilder, die keine Überlänge brauchen
    Wenders „Perfect Days“ fängt die Großstadt sowie die kleinen Orte, die Hirayama besucht, in wunderbaren Bildern ein. Und auch die Toiletten, die er putzt. Ein Gefühl für Orte kann entstehen. Es ist auch nichts einzuwenden, jemandem bei einer etwas ungewöhnlichen Arbeit zuzusehen, der sie zufrieden erledigt. Der sich an der Natur erfreut. Allerdings nicht unbedingt in Überlänge. Die braucht es nicht. Zugespitzt ausgedrückt, ist Hiryamas Geschichte wahrscheinlich in etwas mehr als einer Stunde erzählt, ausgewalzt auf etwa die doppelte Länge. (Außer man gibt den anderen Figuren beziehungsweise der Geschichte hinter der Geschichte mehr Raum.)

    „Perfect Days“ ist ein durchaus anregendes Porträt in schönen Bildern mit genialem Soundtrack, dem etwas mehr Dynamik gutgetan hätte. Oder eine Straffung der Geschichte anstatt der Ausbreitung auf Überlänge, nur weil diese ja momentan im Trend liegt. Man braucht sehr viel Geduld, um belohnt zu werden. (Sogar, wenn man Filme über kleinere Figuren, die nicht so laut und actiongeladen daherkommen, mag.) Humor, Kreativität und leise Spannung lassen lange auf sich warten; vielleicht allzu lange.
    img20220906174347_4f70242d41.jpg
    08.02.2024
    21:53 Uhr
  • Bewertung

    Ode an das einfache Leben

    Film als Meditation. Der Hauptdarsteller ist großartig, und seine Alltagsrituale einfach, aber in der Wiederholung doch immer mit Variationen (ein Freund von mir meinte wie die Strophen der Songs). Ein feel-good-movie (alleine der Soundtrack) mit sehr viel Tiefgang. Man kann sich Gedanken über Hirayama´s Geschichte und Vergangenheit machen, man muss aber nicht, weil: "jetzt ist jetzt".
    img_5467_09259afdb6.jpg
    25.01.2024
    11:20 Uhr
  • Bewertung

    Der zufriedene Toilettenreiniger

    Auf dieses Kunstwerk von Wim Wenders muss man sich einlassen. Im Zentrum dieser perfekten Tage steht der Alltag des Toilettenreinigers Hirayama (Koji Yakusho). Die Monotonie des Alltags wirkt mit ihren Wiederholungen keineswegs langweilig, weil Wenders es versteht die Eintönigkeit des Tagesablaufs durch kleine, aufmunternde Highlights immer wieder aufzuhübschen und gleichzeitig den Zuschauer unbewusst dank des großartigen Hauptdarstellern sowie Crew und Ambiente mit einer latenten Charmeoffensive zu attackieren. Von den kleinen Dramen aus Hirayamas Arbeitswelt mit Kollegen oder Kunden wird durch das Auftauchen seiner Nichte (Arisa Nakano) zusätzliche Hintergrundinfo geliefert, was Spekulationen über den Tennessee Williams lesenden Toilettenreiniger freisetzen könnte oder ein Streiflicht auf seinen familiären Hintergrund wirft. Der Score mit Beispielen von Otis Reading oder Lou Reed z. B. streichelt die Seele des Publikums und verstärkt das Feel-Good-Gefühl emotional. Dazu gehört auch die japanische Version des House of the Rising Sun leicht verfremdet gesungen von der Enka Ikone Sayuri Ishikawa.
    Das Tic-tac-toe Sudoku, das Hirayama mit einem unbekannten Toilettenbenutzer mittels eines Zettels hinter dem Spiegel spielt, leitet zum finalen Überbau, wenn der Toilettenreiniger mit dem Ex der Enka Sängerin Tomoyama (Tomokazu Miura), der er offenbar recht freundschaftlich zugetan ist, aber über sein Verhältnis zu ihr nicht sprechen will. Die beiden klären nun die Frage, ob ein Doppelschatten dunkler ist als ein einfacher. Beide Phänomene sagen doch etwas über das frühere Leben von Hirayama aus, ähnlich wie sein Umarmen der Bäume. Er ist für seine Umgebung wie das Auge eines Orkans, in dem es ja bekanntlich windstill ist, während um ihn herum die großen und die kleinen Probleme umhergewirbelt werden. Er ist mit seinem Leben zufrieden. Für ihn sind es perfect days.
    8martin_ea7f49f0f3.jpg
    22.01.2024
    17:54 Uhr
  • Bewertung

    Gut ist, wer was Gutes tut

    Wim Wenders ist ein schöner Film gelungen. Im Mittelpunkt: ein Mann, der beruflich Toiletten reinigt. Nach der Arbeit gönnt er sich einen Imbiss ums Eck oder geht in ein Lokal, wo er von der Wirtin offensichtlich größere Portionen bekommt als die anderen Gäste. Und in der Freizeit liest er Bücher. So einfach kann das (glückliche) Leben sein.
    leandercaine_0fc45209c9.jpg
    04.01.2024
    11:04 Uhr
  • Bewertung

    Commentary Phrase

    Onkel Wim entführt uns in ein kleines Märchen über das Sein. Bezaubernd.
    img_20181102_160243_bd1fb39bae.jpg
    25.12.2023
    20:07 Uhr
  • Bewertung

    „Slice-of-life“ eines Toilettenreinigers

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Wim Wenders ist mit gleich zwei neuen Filmen zurück: „Anselm“ und „Perfect Days“. Warum ist das eigentlich wichtig? Der in 17 Tagen gedrehter Film „Perfect Days“ könnte gar nicht existieren, wenn Wenders nicht, während der langwierigen Postproduktion des ersten Films, ein gewisses Zeitfenster gehabt hätte.

    Ursprünglich hatte er geplant, statt eines Spielfilms, vier Kurzfilme über Fortschritte in der Architektur öffentlicher Toiletten in Japan zu drehen - als Werbung für japanische Gastfreundschaft gedacht.

    Aber dank der gemeinsamen Arbeit mit dem japanischen Dramatikers Takuma Takasaki am Drehbuch, welches schließlich mehr als 100 Seiten besaß, wurde einer der vielleicht interessantesten Filme dieses Jahres, zuerst dem Publikum in Cannes, und jetzt der Viennale vorgestellt.

    Der Film zeigt uns sieben Tage aus dem gemessenen und ruhigen Leben des Toilettenputzmannes Hirayama (gespielt von Kôji Yakusho) in Tokio, welcher mit seinem Mini-Bus, unter einem unaufdringlichen Soundtrack aus Rockmusik der 70er und 80er Jahre, zwischen den Toilettenhäusern der Metropole, hin und her pendelt. Das scheint auf den ersten Blick nicht so aufregend zu sein, aber der Teufel steckt im Detail: von Anfang an lässt uns der Regisseur in den Alltag der Hauptfigur mit ihren alltäglichen Ritualen und dem Tagesablauf eintauchen, doch mit jeder Sekunde der Laufzeit erscheint uns der auf den ersten Blick gewöhnliche Hiroyama als ein Mann mit einer tieferen inneren Welt: wir sehen seinen Hausgarten mit Baumsprossen, dann hören wir zusammen „The Animals“, „Velvet Underground“ oder Lou Reed aus seiner Sammlung von Musikkassetten und schauen uns an, wie er während seiner Mittagspause im blühenden und duftenden Park Bäume fotografiert… und natürlich begleiten wir ihn bei der Reinigung der Toilettenkabinen. Aber das Wichtigste ist, dass er glücklich ist und sich auf das Hier und Jetzt konzentriert, nicht nur wenn er das Haus zur Arbeit verlässt, sondern buchstäblich jeden Moment während des Tages.
    Zuerst scheint es, als wäre es kein Film, sondern ein atmosphärisches und sehr filmisches ASMR-Video, das auf einer großen Leinwand gezeigt wird, aber im Laufe der Zeit dringt immer mehr Informationen über unseren Helden und seine Vergangenheit in das Gewebe der Erzählung ein. Und die größte Überraschung für uns - nachdem wir uns bereits an den einsamen Lebensstil Hirayamas gewöhnt haben - ist das Erscheinen seiner Nichte vor der Haustür. Nach der Flucht aus ihrem Elternhaus, sucht sie Unterschlupf bei ihrem Onkel. Dieser nimmt sie auf und leistet auch ihrem Wunsch keinen Widerstand, ihn auf seiner täglichen und dem Zuseher bereits klassischen Route zu begleiten.

    Trotz dem, dass sie ein typisches modernes Kind ist, ist sie stark fasziniert von der analogen Welt Hirayamas - von Kassetten, Papierbüchern und Radtouren. Dank ihr und vor allem ihr zuliebe formuliert er sein eigenes Lebensmotto, das sie freudig und mantraartig wiederholen: „Jetzt ist jetzt, nächstes Mal ist nächstes Mal.“
    Und vielleicht ist die Handlung mit seiner Nichte so berührend und von Natur aus wichtig für die Erzählung, dass der Rest der Geschichten weniger bedeutungsvoll und deshalb manchmal lächerlich erscheint. Doch dieses Gefühl verschwindet nachher schnell aus dem Gedächtnis und es bleibt nur ein süßer melancholischer Nachgeschmack übrig.

    Bemerkenswert ist auch das herausragende Spiel des Hauptdarstellers, ohne dass der Film, nach den Worten des Regisseurs selbst, nicht so großartig gelungen wäre. Kôji Yakusho schafft es fast ohne Worte, den Geisteszustand der Hauptfigur zu vermitteln, trotz der Tatsache, dass er, laut Kameramann Franz Lustig, der bei der Vorführung im Gartenbaukino anwesend war, nur japanisch konnte und deshalb nur über Takuma Takasaki, den Koautor, mit dem Regisseur kommunizieren konnte.

    Für mich steht dieser Film in diesem Jahr in einer Reihe mit dem wunderbaren „Past Life“. Die Schlussszene, in der das Gesicht des Schauspielers in Großaufnahme zu sehen ist, während er der Morgendämmerung entgegenfährt, zeigt die ganze Bandbreite seines schauspielerischen Könnens, für das er in Cannes als bester Darsteller ausgezeichnet wurde. Dieser Gesichtsausdruck erinnerte mich an die Schlussszene aus dem Film „Oldboy“, die einen nach dem Ansehen das Gefühl einer ausgepreßte Zitrone gibt, aber ebenso mit einem hellen Gefühl in der Brust zurücklässt.

    P.S.: Der Name der Hauptfigur Hirayama bezieht sich auf den Film „An Autumn Afternoon“ des japanischen Regisseurs Yasujirō Ozu, dessen Einfluss in der Arbeit Wim Wenders deutlich zu erkennen ist. So kann „Perfect Days“ auch als eine Einführung in den japanischen Film und das Werk dieses zweifellos erstrangigen Regisseurs dienen.
    photo_2022-10-01_13-54-46_fbc556aecb.jpg
    29.10.2023
    08:28 Uhr