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  • Bewertung

    Es war einmal im Gemeindebau…

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    In einem weiteren Debütfilm auf der Diagonale 2023 erzählt Franziska Pflaum dass, das Leben nun mal kein Märchen ist, aber man dennoch träumen darf.

    Annika (Stefanie Reinsperger) arbeitet im Supermarkt an der Kassa. Mittlerweile passt sie fast jeden Tag auf die Kinder ihrer Kollegin und besten Freundin Karo (Julia Franz Richter) auf. Im Liebesleben herrscht Flaute und dann steht auch noch ihr Vater samt Gepäck vor der Tür. Doch es gibt eine Sache, die ihr die Flucht aus diesem Alltag erlaubt: das Mermaiding. Täglich streift sie sich eine Flosse über und lässt sich ins Wasser des nahegelegenen Schwimmbades gleiten. Da fühlt sie sich frei. Als das Geld für eine bessere Flosse fehlt, ergreift sie alle Mittel um diesen Traum zu verwirklichen; aber nicht immer nur die erlaubten…

    Ebenso wie die Regisseurin, als sie zum ersten Mal vom Mermaiding mitbekommen hat, war auch ich irgendwie fasziniert davon. Was treibt erwachsene Menschen dazu, sich in solche Kostüme zu zwängen. Nur kindisches Gehabe? Jein. Einerseits gehen ihre Naivität und Verträumtheit schon nahe, ist sie doch bereit tausende Euro für eine auf den ersten Blick sinnlose Anschaffung auszugeben, obwohl sie es wo anders nötiger hätte. Andererseits ist nicht alles was uns Freude bereitet irgendwie legitim? Ihr unerbittlicher Wille an etwas festzuhalten ist schon bewundernswert. Das Meerjungfrauendasein steht somit stellvertretend für jedes Hobby, das man liebt, egal was die anderen darüber denken. Annika ist ständig für alle um sie herum da, hat sie sich da nicht auch ein bisschen Auszeit verdient, egal wie sie sie verbringen möchte? Diese Diskrepanz repräsentiert 1:1 die Tonalität des Filmes, der als märchenhafte Komödie beginnt und immer mehr ins Tragische abdriftet. Einen positiven Kern behält er sich trotzdem.

    Märchenhaft sind auf jeden Fall die zahlreichen Unterwassersequenzen, die oft als Traumepisoden fungieren. Die sind sehr requisitenhaft inszeniert was der Tragikomödie ähnlich Wes Andersons „Die Tiefseetaucher“ einen besonderen Charme verleiht.

    Für den komödiantischen Aspekt sorgen vor allem die vielen bunten Charaktere. Auf den ersten Blick alles Stereotypen, zeigen sie im Laufe der Geschichte, dass mehr an ihnen dran ist als man erst erwartet. Doch sind sie nie nur simple Belustigung, die Regisseurin wollte ihnen auf Augenhöhe begegnen, kein Reality TV auf Kosten der Unterschicht. Stefanie Reinsperger und Julia Franz Richter führen ein großartiges Ensemble an, die Freundschaft ihrer Figuren ist das Herzstück der Geschichte. Karl Fischer als verwöhnter Vater, der eine Behinderung vortäuscht ist der Brüller, doch der heimliche Star ist wohl Inga Busch als Annikas esoterikbegeisterte Chefin „Mrs. Biber“.

    Insgesamt eine sehr positive Überraschung, weil eben nicht nur die platte Komödie die man erwarten könnte, sondern ein Plädoyer für Respekt und Verständnis. Denn wie bei einer Meerjungfrau, die aus zwei Teilen besteht, sieht man nach außen hin nur den Menschen, doch unter der Oberfläche schlummert die Fantasie.
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    (Markus Toth)
    05.04.2023
    19:56 Uhr