Filmkritik zu Mutzenbacher

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    Männer und die Pornographie

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2022
    Eigentlich hätte es nur ein Casting sein sollen. Aber nun sitzen in Ruth Beckermanns neuestem Dokumentarfilm „Mutzenbacher, der auf der Berlinale in Encounters seine Premiere feierte, eine Reihe an Männern allen Altersgruppen auf einer rosa Couch und diskutieren über Sex. Spezifisch gesagt, den Sex im Skandalroman „Josefine Mutzenbacher“ aus dem Jahr 1906, den Beckermann angeblich verfilmen will. Das Buch, das gemeinhin Felix Salten zugeschrieben wird, handelt von Kinderprostitution, Missbrauch und Inzest. Aber es ist ebenso ein früher Klassiker der pornographischen Literatur, und verfolgt die Erlebnisse der Wiener Prostituierten im 19. Jahrhundert.

    Wie steht man als Mann zu dem Quellmaterial? Beckermann fragt nicht, warum eine Reihe unterschiedlicher Laien bei so einem Film überhaupt mitspielen würden. Sie nutzt die Ausgangslage des Romans, lässt provokante Textpassagen lesen, Szenen nachstellen und befragt ihre Gegenüber, wo sie die Parallelen in ihrem eigenen Sexualleben sehen. Hier ergibt sich eine umfangreiche Bandbreite an Erfahrungen, die den Film so vielschichtig machen. Die jüngeren Männer, die teils etwas prüde bis zur Hochzeit waren. Ein Typ, der mit seinen etwas unglaubwürdigen Sexgeschichten prahlt. Ein älterer Herr, der sehnsüchtig auf die Zeit zurückblickt, als Frauen „noch richtige Männer wollten“, und „toxische Männlichkeit“ noch kein Ding war.

    Beckermann führt ihre Gegenüber jedoch nie vor, hakt nur selten nach, wenn Antworten sie überraschen. So sind oft jene Minuten am lustigsten, wie wenn ein selbstdeklarierter Opa zwar ablehnt alte Wiener Sexbegriffe in den Mund zu nehmen, im Falle, dass seine Enkel den Film sehen, aber dann voller Inbrunst die Sexszene mit der Mutter vorliest. Das rosa Sofa, auf den die Männer Platz nehmen, erinnert auch nicht von ungefähr an ein simples Pornosetting, macht das Visuelle weicher, und schafft einen visuellen Widerspruch zu den teilweise heftigeren Diskussionen. In anderen Momenten gruppiert sie alle Kandidaten in einem Raum, um sie dort im Chor als schmutzig empfundene Begriffe für Geschlechtsorgane ausrufen zu lassen.

    Kenner der österreichischen Filmlandschaft dürfen sich bei diesem unterhaltsamen, kurzweiligen Film auch über bekannte Gesichter auf der Casting Couch freuen. So viel darf schon mal verraten sein. „Mutzenbacher“ mag zwar nicht ein so komplexer gesellschaftlicher Diskurs sein wie Beckermanns Dokumentarpreisgewinner „Waldheims Walzer“. Dennoch eröffnet er einen behutsamen Blick auf die Diskrepanz zwischen männlicher Sexfantasie und tatsächlicher Erotik.
    Diese Gedanken kommen einfach, gibt ein Mann zu, als er zum Thema Sexualisierung von Kindern befragt wird. „Sobald da erste Anzeichen von Weiblichkeit sind.“ Aber dann würde man diese sofort zur Seite schieben. Sein Gesprächspartner hingegen lehnt vehement ab, junge Frauen unter 18 je sexuell attraktiv gefunden zu haben. Man muss unweigerlich glauben, dass letzterer hier was vormacht. Einen Hauch von Anstand zu verkaufen bemüht ist.
    Aber falsche Moral ist ein Problem, dass die Pornographie schon Jahrzehnte von einer ernsthaften Auseinandersetzung abgehalten hat. Daher ist ein Film, wie ihn Ruth Beckermann hier macht, umso wichtiger und interessanter.
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    (Susanne Gottlieb)
    14.02.2022
    08:57 Uhr
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Mutzenbacher

Österreich 2022
Regie: Ruth Beckermann
AT-Start: 04.11.2022