Filmkritik zu Sommer 85

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  • Bewertung

    Ein Sommer voller Zärtlichkeit und Herzschmerz

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    François Ozon gehört zu den großen europäischen Filmemachern der Gegenwart. Der französische Auteur, der quasi als einer der wichtigsten Vertreter der 'nouvelle' Nouvelle Vague gilt, hat sich für Filme wie der schwarzen Krimikomödie „8 Frauen“ (2002) oder dem fulminanten Erotikthriller „Swimming Pool“ ( 2003) einen Namen in der Szene erarbeitet. Ein wiederkehrendes Element im Schaffen des homosexuellen Regisseurs ist dessen offener Umgang mit der Sexualität seiner Charaktere. Nur zwei Jahre nach Erscheinen seines vielfach gelobten Dramas „Gelobt sei Gott“, das sich mit Kindesmisshandlung innerhalb der katholischen Kirche auseinandersetzte, meldet sich Ozon mit einem laut eigenen Angaben sehr persönlichen Werk schon wieder zurück. Sein neuester Film basiert auf dem Roman „Dance on My Grave“ des britischen Autors Adain Chambers.

    Zuschauer werden hier auf eine filmische Zeitreise zurück ins Frankreich der 80er-Jahre mitgenommen. Der 16-jährige Teenager Alex (Felix Léfebvre) verbringt den Sommer gemeinsam mit seinen Eltern in einem kleinen Örtchen an der Küste der Normandie. Als er eines Tages während stürmischen Wetters mit seinem kleinen Bötchen einen Segeltrip unternimmt und zu ertrinken droht, wird er wie durch ein Wunder vom gleichaltrigen David (Benjamin Voisin), der mit seinem eigenen Boot unterwegs war, gerettet. Zwischen den beiden Jugendlichen funkt es bereits beim ersten Blickkontakt. Was als Freundschaft beginnt, entwickelt sich schon bald zur wahren Liebe. Das Glück der zwei ist aber nicht von langer Dauer. David kommt nämlich bei einem verheerenden Unfall, für dessen tragischen Ausgang sich Alex selbst als der Schuldige sieht, ums Leben. Alex möchte seiner ersten großen Liebe aber trotzdem die letzte Ehre erweisen und ein Versprechen einlösen, das eigentlich scherzhaft gemeint war: wer auch immer der beiden zuerst sterben sollte, müsse am Grab des jeweils anderen tanzen. Ein tollkühnes Versprechen, das der Teenager nun für seinen verunglückten Freund mit allen Mitteln erfüllen möchte.

    Von Anfang an ist dem Publikum das Schicksal, das David im Laufe des Films widerfahren wird, bekannt. Durch ein stets begleitendes Voiceover, mit dem Protagonist Alex die folgenschweren Ereignisse des Sommers Revue passieren lässt, wissen wir schon zu Beginn über das spätere Ableben seines Freundes Bescheid. Wie dieser nun aber genau ums Leben kommen sollte, daraus macht Ozon zunächst ein großes Geheimnis. Eine erzählerisch gesehen etwas holprige Entscheidung, da die ständige Antizipation Davids Todes, der an sich gut funktionierenden Liebesgeschichte an Wirkung wegnimmt. Wenn es dann nämlich ungefähr im letzten Drittel zu der besagten Todesszene kommt, wirkt diese in ihrer Umsetzung viel zu gehetzt und sensationalistisch, um wirklichen Schock im Zuschauer auszulösen. Der zuckersüße Kitsch, in dem Ozon seine Teenie-Romanze verpackt hat, weiß an manchen Stellen wunderbar zu funktionieren, geht an anderen wiederum völlig nach hinten los.

    Die Chemie zwischen den beiden überzeugenden Hauptdarstellern Félix Lefebvre und Benjamin Voisin stimmt von Anfang an und ihre Schauspieldarbietungen dienen der vordergründigen Romanze als Hauptantrieb. In manchen Momenten wird zwar an ein leichter Hang zum Overacting sichtbar, aber das emotional aufgeladene und höchst intime Spiel bleibt dennoch durchgehend glaubhaft. Ab einem gewissen Punkt im Film gibt es im Form der von Philippine Velge verkörperten Kate, bei der es sich um ein frisch hergezogenes Au-pair-Mädchen aus Großbritannien handeln soll, auch eine Dritte im Bunde, die sich zunächst aber nicht über die Homosexualität der beiden bewusst ist. Das sympathisch-verpeilte Auftreten der Engländerin mag zwar für einige Lacher in einem sonst eher tragisch gestimmten Werk sorgen, der beim Sprechen schwer überhörbare englische Akzent der Figur, der in Anbetracht der perfekten französischen Grammatik wenig Sinn ergibt, macht jedoch einen lächerlich überzogenen Eindruck.

    Neben der überzeugenden Performances ist es allen voran der formidable Look, der „Summer of 85“ trotz all seiner Schwächen zu einem sehenswerten Kinoerlebnis und einem wahrhaftigen Augenschmaus macht. Mit farblich wundervoll akzentuierten Aufnahmen, lässt einen Ozon in ein lange zurückliegendes sommerliches Setting eintauchen, an dessen traumhaft schöner Ästhetik man sich nur schwer satt sehen kann. Die gemäldeartigen Bildwelten harmonieren auch stets mit dem oft diegetisch eingesetzten Soundtrack. Besonders erinnerungswürdig dürften zwei Momente bleiben, an denen Rod Stewart's „I Am Sailing“ effektiv verwendet wird, um unterschiedliche Emotionen im Zuschauer hervorzubringen. An manchen Stellen erinnern der Einsatz warmer Farben und die grobkörnig-nostalgische Kameraarbeit jedoch stark an das auch inhaltlich nicht unähnliche Oscar-Drama „Call Me By Your Name“ aus dem Jahre 2017.

    Leider hat Ozons romantisches Teenie-Drama auch mit einigen Problemen zu kämpfen. So sehr der märchenhaft kitschige Grundton auch zum ästhetischen Stil und in das Thema einer Jugendromanze passt, so unehrlich und aufgesetzt fühlt sich dieser hier oft in der Umsetzung an. An Momenten, an denen es wirklich nicht von Nöten gewesen wäre, trägt Ozon mit seinem käsigen Pathos viel zu dick auf, um einen den romantischen Aspekt überhaupt noch glaubhaft verkaufen zu können. Etwas mehr Balance hätte dem Film auf emotionaler Ebene durchaus gut getan, anstatt im Sekundentakt das im wahrsten Sinne des Wortes höchste der Gefühle aus allen Figuren herausholen zu wollen.

    Hätte sich Ozon in manchen Szenen mehr zurückgenommen und den ruhigeren Momenten mehr Zeit zum Atmen gegeben, anstatt emotional stets auf 100% aufgedreht zu sein, dann hätte aus „Summer of 85“ ganz großes romantisches Kino werden können. Die Zutaten waren auf jeden Fall gegeben: ein sensationeller Cast, wunderschöne Kulissen, angenehm warme Farben und glaubhafter Teenie-Herzschmerz. Ozon war an vielen Momenten jedoch viel zu sehr daran interessiert, auf plumpem Wege auf die Tränendrüse des Publikums zu drücken, sodass ein nicht ganz rundes Ergebnis übrigbleibt, das definitiv etwas Feinschliff und weniger Künstlichkeit vertragen hätte. Anschauen sollte man sich das Drama aufgrund all der positiv hervorgehobenen Aspekte (und die gibt es immer noch reichlich) aber trotzdem.
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    (Christian Pogatetz)
    26.10.2020
    14:27 Uhr