Filmkritik zu 1917

Bilder: Universal Pictures International Fotos: Universal Pictures International
  • Bewertung

    Virtuos inszeniertes Kriegsdrama

    Exklusiv für Uncut
    Plötzlich befinden wir uns in den Schützengräben des ersten Weltkriegs auf britischer Seite. Der Krieg befindet sich am Höhepunkt. Die Kamerafahrten sind lang, die Atmosphäre dreckig und gesäumt von Leichenteilen. Es wird Kette geraucht. Schreiende, entgliedmaßte Soldaten werden herumgetragen und amateurhaft ärztlich versorgt. Die Männer haben Angst. Wir begleiten zwei Soldaten, die den unmöglichen Auftrag haben eine Nachricht zu überbringen, unter enormem Zeitdruck durch feindliches Gebiet zu marschieren, um tausende ihrer Kameraden zu retten. Eine fast schon an Herr der Ringe erinnernde Ausgangssituation entwickelt sich zu einem Wettlauf gegen die Zeit – mit explodierenden Granaten und betrunken um sich schießenden deutschen wäre der Schicksalsberg auch schwerer zu bezwingen gewesen.

    Es gibt viele großartige Filme über den zweiten Weltkrieg. Auch der Vietnamkrieg ist mit herausragenden Meisterwerken wie „Apocalpyse Now“ oder „Full Metal Jacket“ nicht nur in der Geschichte, sondern auch in der Filmgeschichte bis in die Ewigkeit konserviert. Die Liste an Filmen, die den ersten Weltkrieg behandeln ist kürzer und die darauf vertretenen Werke sind leider qualitativ, bis auf ein paar Ausnahmen, eher durchwachsen. Sam Mendes ist mit „1917“ angetreten, um das zu ändern.

    Als Regisseur von den James-Bond-Filmen „Skyfall“ und „Spectre“ oder dem 90er-Jahre-Kultfilm „American Beauty“ ist Sam Mendes kein unbeschriebenes Blatt. Für „1917“ hat er sich Roger Deakins geschnappt, einen der renommiertesten Kameramänner unserer Zeit, der erst vor kurzem mit „Blade Runner 2049“ für das cinematographisch interessanteste Kinoerlebnis des sich zu Ende neigenden Kinojahrzehnts verantwortlich war. Das ist nicht die erste Zusammenarbeit der beiden, neben „Skyfall“ haben sie auch zusammen den 2005 erschienen Kriegsfilm „Jarhead“ gedreht.

    Für „1917“ hat man sich dafür entschieden, den Film (scheinbar) ohne Schnitte zu inszenieren. Durch die versteckten Schnitte wirkt der Film so, als ob er nur aus einer durchgehenden Kameraeinstellung besteht. Diese Technik, die zum ersten Mal von Alfred Hitchcock in „Cocktail für eine Leiche“ (1948) angewendet wurde und sich in den letzten Jahren in Filmen wie „Birdman“ (2014) oder dem wirklich ohne Schnitte gedrehten „Victoria“ (2015) großer Beliebtheit erfreut, kann auch unpassend sein. Für 1917 ist sie aber perfekt geeignet und wir fühlen uns den Protagonisten dadurch extrem nahe. Wir erleben die Schützengräben mit ihnen, wir laufen über das Schlachtfeld und treten fast als Zuschauer beinahe selbst in die zerfetzen Extremitäten gefallener Kollegen. Durch diese um einiges aufwendigere Kameratechnik bekommt der Film dieses gewisse etwas, das zum Beispiel Filmen wie Christopher Nolans „Dunkirk“ gefehlt hat.

    Die eigentliche Handlung ist nämlich, obwohl sie eine ganz schöne Geschichte ist, nichts Besonderes. Junge Soldaten deren Kriegsbesessenheit in Angst umgeschlagen hat, Familienmitglieder, bei denen man sich nicht sicher ist, ob man sie wiedersieht, trinkende Vorgesetzte und die Befehlskette – das haben wir alles schon hundertmal gesehen, aber selten war es so virtuos in Szene gesetzt.

    „1917“ ist vielleicht der erste Film, der uns die Schrecken des oft vom Zweiten Weltkieg überschatteten Ersten Weltkriegs auf so realistische und grausame Art darstellt. Zu verdanken hat man das wohl dem dröhnenden Soundtrack von Thomas Newman, aber vor allem Roger Deakins, der den Film durch seine herausragende Kameraarbeit von einem guten Film zu einem wirklich sehenswerten Gesamterlebnis hebt.
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    (Jakob Thaller)
    15.01.2020
    21:45 Uhr
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