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  • Bewertung

    Starkes Frauenduo auf Selbstfindungstrip

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2017
    Zu Beginn ist Claire das Unbehagen nicht anzusehen. Mit fast gleichgültiger Miene sitzt sie Béatrice gegenüber. Jener Béatrice, die in Claires Jugend mit deren Vater zusammen war. Jener Béatrice, zu der sie eine innigere Beziehung als zu ihrer leiblichen Mutter aufgebaut hatte. Jener Béatrice, die ihren Vater und sie verließ, als dessen Erwartungen an sie zu häuslich wurden, und der sich daraufhin das Leben nahm. Nun ist eben jene Béatrice plötzlich wieder da, mit inoperablen Gehirntumor und dem Anspruch, Wiedergutmachung zu leisten.

    „Sage Femme“ ist einer jener Filme der zeigt, dass es nicht immer die Blutsbande sind, die die Beziehung zu den Menschen um uns herum bestimmen. Die Beziehung zwischen Claire und Béatrice ist ein komplexes Relikt vergangener Zeiten, aufgeladen mit Liebe, Angst und Vorwürfen. So sehr Claire sich auch den Film über dagegen wehrt, Béatrice wieder in ihr Leben zu lassen, ihre jugendliche Liebe für die Ersatzmutter übermannt sie am Ende doch immer wieder. Diese wechselseitige Dynamik ist das Herzstück des Films. Die lebenslustige Béatrice ist nicht mehr die stolze unabhängige Frau von früher. Sie will Fehler wiedergutmachen und ist auf Hilfe angewiesen. Es ist nun Claire, die sich mütterlich um sie kümmert, sie aufnimmt und mit ihr zum Arzt geht. Im Gegenzug dazu ermuntert Béatrice sie, ihr in starre Bahnen geratenes Leben wieder auf neue Gleise zu bewegen.

    Regisseur Martin Provost zelebriert mit seinem Film nicht nur das Spiel zwei starker Frauen, er hält auch ein Plädoyer für die Freude am Leben. Claire ist vom Beruf Hebamme. Ihre Leidenschaft und ihre Berufung ist es, neuem Leben auf seinem Weg in die Welt zu helfen. Eines Abends sitzt sie einer jungen Mutter in ihrer Klinik gegenüber, deren Geburt sie vor vielen Jahren selbst beigewohnt hat. Jedoch nicht nur das, sie rettete der jungen Frau das Leben, als diese als frisch geborener Säugling eine Bluttransfusion brauchte, und nur Claires Bluttyp den Anforderungen entsprach. Eine bewegende Episode, die Provost so selber in seinem Leben wiederfahren ist, und die er als Hommage an jene Hebamme in seinem Film verarbeitete.

    Es ist ein Film des Verzeihens, des Nach-Vorne-Blickens und des menschlichen Zusammenhalts. Eine Story, die zum Nachdenken anregt ohne moralisierende Agenda. Provost widersteht der Versuchung, seine Charaktere eine 180 Grad Wendung durchlaufen zu lassen. Vielmehr zeigt er, dass die Menschen trotz ihrer Schwächen liebenswert sind und bereit, sich auf Neues einzulassen. Gepaart mit den starken Darstellungen von Catherine Deneuve und Catherine Frot ein geglücktes Unterfangen.
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    (Susanne Gottlieb)
    06.03.2017
    22:13 Uhr
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