2 Einträge
3 Bewertungen
81.7% Bewertung
  • Bewertung

    Sieg der Aparatschiks

    Was der Leviathan für ein Fabelwesen ist, kann man googeln. Wie Regisseur Andrei Swjaginzew seinen Stoff unterfüttert, legt er zwar deutlich dar, ist aber nicht gleich für jeden nachvollziehbar. Um ihn voll und ganz zu verstehen sollte man allerdings das Buch Hiob, sowie die titelgebende Schrift von John Hobbes (um1600) kennen und mit Michael Kohlhaas vertraut sein. Aber auch ohne davon belastet zu sein, beeindruckt der Film ungemein. Eine Landschaft, die durch ihre weite Unendlichkeit, die Korruptionsaffäre in der Nähe des Polarkreises fast vergessen lässt. Nikolai (Alexej Serebrjakow) verliert alles, was er hat und am Ende auch seine Freiheit. Daran ist er nicht ganz unschuldig. Es liegt an seinem Jähzorn und am Wodka, vielleicht auch an seiner Dickköpfigkeit. Und weil es in der Sowjetunion spielt, haben alle Westler sofort mit dem Finger darauf hingedeutet, dass das ja da so üblich sei: der korrupte Bürgermeister Wadim (Roman Madjanow) macht den kleinen Nikolai und seinen Freund und Anwalt Dmitri (Wladimir Wdowitschenkow) mit seinen ‘Kettenhunden‘ durch Einschüchterung und brachiale Gewalt. einfach platt.
    Die Idee zum Film kam Andrei Swjaginzew allerdings bei Dreharbeiten in den USA, wo sich eine ähnliche Geschichte ereignet hatte. Wohlgemerkt in Amerika!
    Tatsächlich weitet sich der Machtkampf zu einem Familiendrama aus, das so auch unabhängig vom herrschenden politischen System überall geschehen kann. Und dieses zweite Standbein des Films ist ebenso stark wie das erste. Hier überzeugt am meisten Ehefrau Lilia (Jelena Ljadowa), die beide Problemkreise in ihrer Person verbindet. Eine großartige Dramaturgie, die eine gewisse Anlaufzeit braucht, vor eindrucksvoller Kulisse verdienen einen Oscar. Bemerkenswert ist, welche wichtigen Teile der Handlung nicht ins Bild kommen, lange offen bleiben und so Spannung erzeugen.
    Erschreckend die Reaktion von Kultusminister Wladimir Medinski, der den Film als russlandfeindliches Machwerk abtat und verbieten lassen will.
    8martin_ea7f49f0f3.jpg
    07.05.2015
    12:50 Uhr
  • Bewertung

    macht, ohnmacht und wodka für alle

    "kannst du den leviathan ziehen mit dem haken und seine zunge mit einer schnur fassen? wenn du deine hand an ihn legst, so gedenke, dass es ein streit ist den du nicht ausführen wirst..." (aus dem buch hiob)

    kolya will nicht weichen: sein kleines haus, auf einem hügel gelegen und mit herrlichem ausblick auf die barentssee, wurde gerade enteignet – verfahrensrechtlich nicht unumstritten, und überdies mit einer geradezu lächerlichen entschädigung. dmitri, ein befreundeter anwalt aus moskau, hat gegen den korrupten bürgermeister vadim, einen feisten, selbstgefälligen apparatschik, ein as im ärmel: ein umfangreiches dossier, das nicht nur dessen wiederwahl gefährden, sondern sogar gefängnis bedeuten könnte. ein vergleich scheint in sicht...

    doch die russische variante von michael kohlhaas schlägt um: liegt es wiklich an der "russischen seele", dass, wie zvyagintsev meint, "die idee des freiheitskampfes" mit der russischen realität "nicht harmoniert", dass ab einem bestimmten punkt niemand bereit ist, bis zum äußersten zu gehen – und lieber fatalistisch die sorgen im wodka ertränkt?

    der leviathan, das biblisch-mythologische seeungeheuer, vor dessen allmacht jeder menschliche widerstand zuschanden werden muss, ist aber nicht nur hobbes'sche allegorie auf den übermächtigen staat – mit dem angespannten verhältnis zum halbwüchsigen sohn und und der ehe in der sackgasse, bricht die stille, junge stiefmutter aus. eine "hiobs-geschichte" verhängnisvoller ereignisse setzt sich in gang, überwältigend, zermalmend. "das wird ihn bescheidenheit lehren", tönt der bürgermeister – selbstzufrieden und erleichtert.

    fazit: schroff, schwermütig und fatalistisch erzählt andrey zvyagintsev eine parabel von korruption, rechtlosigkeit und oligarchischer gewalt, einem fatalen bündnis von staatlicher autorität und orthodoxer frömmelei – ein priesterlicher töstlicher verweis auf hiob und die allmacht gottes schrillt aber umso falscher, als sich die vertreter der obrigkeiten ebendiese allmacht anmaßen. heute genauso wie früher...
    r2pi_f4e09adb6c.jpg
    25.03.2015
    21:19 Uhr