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    Die spinnen, die Kosmonauten

    Hinter den Jupiter und darüber hinaus durfte schon Kosmonaut Dave in Stanley Kubricks Ewigkeits-Klassiker 2001 – Odyssee im Weltraum reisen, um eine gewisse Wahrheit über unsere Existenz und das ganze Universum zu finden. Und um selbst nochmal wiedergeboren zu werden, als Sternenkind. Nichts geht verloren in den Weiten des Alls, alles ist ein Zyklus aus Vergehen und Werden – da kommt man ins Sinnieren, vor allem dann, wenn der Bordcomputer zum Killer mutiert und alle Besatzungsmitglieder bis auf einen ausradiert. Ins Grübeln kommt auch der tschechische Kosmonaut Jakub Procházka während seines Alleingangs an den Rand unseres Sonnensystems, um eine pinkfarbene Wolke zu begutachten, die womöglich Sternenstaub enthält, der vom Anfang der Zeit stammt. Anders als bei Lovecraft wird diese Farbe aus dem All wohl nicht für physische Mutationen verantwortlich sein, doch wer weiß – das herauszufinden, dafür ist der werdende Vater ein ganzes Jahr lang unterwegs. Warum solo, weiß niemand. Vielleicht, weil Tschechien den Berufsstand des Kosmonauten nicht weiter ausgebaut hat. Vielleicht, weil man nicht einsehen wollte, dass dieses wissenschaftlich gesehen höchst brisante Unterfangen durchaus die Kooperation mit anderen Ländern hätte eingehen sollen. Warum sich „Major Tom“ dieser Challenge annimmt, bleibt ein großes Fragezeichen, auch bis zum Ende des Films hin, der seine entrückte Episode wie im Halbschlaf erzählt, als wäre Kollege Procházka eben aus einem Kryoschlaf erwacht und muss sich erst zurechtfinden in diesem klischeebedingten Ostblock-Raumschiff-Interieur aus Funktelefon, Billigsilikon und buntem Tastenparadies.

    Was Spaceman: Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt eigentlich soll, würde sich in der literarischen Vorlage von Jaroslav Kalfar womöglich besser erschließen als unter der Regie des schwedischen Chernobyl-Regisseurs Johan Renck. Der bei der heurigen Berlinale uraufgeführte Streifen ist weder das eine, also Beziehungsdrama, noch das andere, nämlich eine erkenntnisgewinnende Weltraum-Odyssee. Wenn, dann letzteres wohl deutlich mehr, und das schon allein dadurch, dass Procházka erkennen muss, dass extraterrestrisches, intelligentes Leben nicht zwingend auf zwei humanoiden Beinen daherstolzieren muss. In diesem Fall entert eine gigantische große Arachnide die engen Räumlichkeiten des Schiffes, ohne aber dem weit von Terra entfernten Homo sapiens ans Leder zu wollen. Diese Spinne, die so gespenstisch danach klingt, als wäre HAL 2000 wieder rebootet worden, weiß anscheinend alles über die Menschheit und den Planeten Erde, hat obendrein Tschechisch gelernt und lockt Procházka mit bedeutungsschwerer Melancholie aus der Reserve. Es fragt sich natürlich: Ist die Spinne nur die Manifestation von Procházkas Geist aufgrund der langen Isolation – oder ist dieses Wesen tatsächlich da? Es fragt sich auch: Wie ist es an Bord gekommen? Und warum schwurbeln die beiden als ungleiche Buddies in eine depressive Stimmung hinein, in der man sich angesichts der rosaroten Wolke besser nicht suhlen sollte?

    Wir haben nun den mehr- und glupschäugigen Achtbeiner mit der Stimme von Paul Dano – und den rauschebärtigen Adam Sandler, der einmal mehr und nach seinem Klunker-Thriller Der schwarze Diamant auf Nummer Sicher gehen will, dass ihn keiner mehr für einen oberflächlichen Kalauer-Knaben hält. Die Art und Weise aber, wie er in seiner Rolle als einsamer Abenteurer hineinfindet, hält außer einer tranigen Trauermiene, die zum Ausdruck bringt, das Huhn (in dem Fall wars die Spinne) hätte ihm das Brot weggefressen, keine Variationen in petto. Auf der anderen Seite, auf der Erde nämlich, tut Carey Mulligan genau das gleiche. Sie gibt Procházkas schwangere Partnerin, die zum denkbar unpassendsten Zeitpunkt die Beziehung beendet. Ihre Figur ist ein Sammelsurium verdrießlicher Symptome, die eine Beziehungskrise mit sich bringt. Was Mulligan tut, ist, unergiebige Gespräche mit Lena Olin zu führen und gedankenverloren gen Himmel zu starren. Was Adam Sandler tut, ist gedankenverloren dröge Gespräche mit dem Alien am Laufen zu halten, die, so scheint es, niemanden erquicken. Spaceman ist trotz des vielen leuchtenden Staubs, der bald das Schiff durchdringt, erdrückend substanzlos. Wie ein halbherziges Seufzen ins interplanetare Nirgendwo hinein fühlt sich Rencks Film an, der so tut, als müsse er all die Emotionen, die scheinbar Sandler und Mulligan heimsuchen, mit pseudophilosophischer Bedeutungsschwere analysieren. Die Monotonie des Films killt aber letztlich alles. Weder erschließt sich das Wunder einer mehrfachen Entdeckung noch der Wille zur Zweisamkeit, die Millionen Kilometer überbrücken soll. Bei Spaceman ist es wie am äußeren Rand unseres Sonnensystems: nichts dahinter. Zumindest so lange, bis die mit Ach und Weh heruntergebogenen 108 Minuten vorüber sind.



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    03.03.2024
    16:38 Uhr
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    Im Weltraum hört dich niemand weinen

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    Dass Adam Sandler schauspielern kann, sollte Anno 2024 kein Geheimnis mehr sein. Lange Zeit als Dauergast der Goldenen Himbeeren belächelt und verspottet, hat der Komiker spätestens mit dem stressgeladenen Adrenalin-Thriller „Uncut Gems“ sein Talent demonstriert. Erste Hinweise darauf ließen sich schon in der 2002 erschienenen Tragikomödie „Punch-Drunk Love“ erkennen. Die Tatsache, dass Sandler auch in seinem aktuellsten Abstecher ins dramatische Fach zu überzeugen weiß, sollte demnach nicht überraschen. Leider enttäuscht der Film um ihn herum, trotz interessanter Prämisse, hochkarätiger Starbesetzung und einem Regisseur (Johan Renck), der für das Serienprojekt „Chernobyl“ erst kürzlich mit einem Preisregen übergossen wurde.

    Mit „Spaceman“, einer Adaption des Bestselleromans „Spaceman of Bohemia“ von Jaroslav Kalfař, unternimmt Sandler einen ungewöhnlichen Ausflug ins Weltall. Er verkörpert Jakub Prochazka, einen tschechischen Astronauten, der bis ans andere Ende des Sonnensystems entsandt wird, um eine grell leuchtende Wolkenkonstellation unter die Lupe zu nehmen. Der Plot des Film setzt im sechsten Monat seiner Reise an, wir sehen einen von Isolation zerfressenen Space-Kadetten, der durch die einengenden Räumlichkeiten eines Raumschiffs schwebt. Der Baustil erinnert an osteuropäische Modelle der 1970er-Jahre. Es sind die glaubwürdig entgeisterten Blicke Sandlers, die uns als Zuschauer zunächst ähnlich schwerelos in die Gefühlswelt eintauchen lassen. „Er vermisst seine Frau“, wie Isabella Rosellini als taffe Befehlshaberin der Mission, die diese vom Komfort der Erde aus beobachtet, klar zu verstehen gibt. Seine hochschwangere Frau Lenka (Carey Mulligan: eine undankbare Rolle für eine großartige Schauspielerin) plant jedoch die Ehe zu beenden. Eine Hiobsbotschaft, die dem Astronauten vorenthalten werden soll. Man möchte ihm ja während einer kräftezerrenden, planetenumkreisenden Odyssee durchs halbe Universum nicht noch mehr Stress zufügen. Dass im Privatleben nicht alles rund läuft, ahnt der in sich gekehrte „Spaceman“ aber bereits. Die ungewöhnliche Begegnung mit einer spinnenähnlichen Alienkreatur (im Originalton: Paul Dano) führt dazu, dass er über vergangene Fehler im Liebesleben reflektiert. Und das zu schätzen lernt, was er als selbstverständlich hingenommen hat.

    Wenn man „Spaceman“ etwas nicht ankreiden kann, dann ist das fehlende schauspielerische Finesse. Neben Sandler, der sich von einer ungewohnt ruhigen Seite präsentiert, und der trotz einseitiger Figurenzeichnung stark aufspielenden Mulligan leistet auch der Rest der Darstellerriege solide Arbeit. Mitunter erstaunt die Besetzung von Kunal Nayyar, als unbeholfener Physiker Raj im Comedy-Hit „The Big Bang Theory“ einem Millionenpublikum bekannt geworden. Entgegen aller Erwartungen fügt sich der Sitcom-Star wunderbar ins trostlose Setting des Sci-Fi-Dramas ein – ein Zottelbart lässt einen einfach reifer erscheinen, wie sich auch beim Hauptdarsteller zeigt. Die große Problematik hinter „Spaceman“ lauert im Kleingedruckten, genau gesagt in einem unausgegorenem Drehbuch. Spannende Erzählansätze verlaufen sich ins Leere, existentielle Fragen werden ärgerlich plump abgehandelt, das Liebesdrama erzwungen melodramatisch aufgeschlüsselt. Subtilität sucht man vergebens. Genre-Versatzstücke, die Erinnerungen an „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ oder „2001“ wecken, werden zu einem wenig stimmigen Mix aus schnulziger Paartherapie und kaleidoskopischer Science-Fiction verrührt. Blöd nur, wenn selbst der hyperkünstliche Bilderreigen wenig berauscht. Ein leider enttäuschender Trip in fremde Sphären.
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    25.02.2024
    16:22 Uhr