3 Einträge
6 Bewertungen
80% Bewertung
  • Bewertung

    Die hohe Kunst des Durchwurstelns

    In den Siebzigern und Achtzigern waren sie hierzulande groß im Kommen: die Wiener Liederpoeten, von Wolfgang Ambros und seiner Mörderballade Da Hofa über Georg Danzer bis zu Rainhard Fendrich, Peter Cornelius und Ludwig Hirsch, dem schwärzesten und melancholischsten unter den österreichischen Songwritern. All diese Könner wiederum blicken auf das Schaffen eines Helmut Qualtingers zurück, der mit der Aufarbeitung und Darstellung der Wiener Seele überhaupt erst begonnen hat. Einige Jahrzehnte später bekommt das Land neue Genies. Darunter einer, der so klingt, als hätte man sich verhört, obwohl doch der Name des Bademantel-Chansonniers fiel: Voodoo Jürgens. Mit Elementen aus Heurigenschrammeln, Hirschs Schwarzer Vogel-Mentalität und lokalkolorierter Häf’npoesie kreiert der Wiener David Öllerer vertonte Balladen, melodische Lyrik aus der Gosse, vom Friedhof, aus der Arbeiterschicht und dem Verlierertum. Aus den Rotlichtbuden am Gürtel und verrauchten Branntweinern – sogenannten Stammkunden-Kaschemmen, die eigenen Gesetzmäßigkeiten unterliegen und zur Einbrenn des Lebens vordringen. Die Songs kommen von ganz tief unten – dort, wo der Herr Karl seine Waren sortiert und wo Ulrich Seidl gerne hinblickt, ohne aber boshaft zu werden. Jürgens Lieder sind entpolitisiert, voller Schmerz, Erinnerungen und unstillbarer Melancholie. Die kleinen, kaputten, fast, aber noch nicht ganz gescheiterten Existenzen. Soziale Freaks und verzweifelte Aufraffer, die es manchmal schaffen, und auch wieder nicht. Der Traum vom Glück schwebt als Alkohol- und Zigarettendunst über allem. Voodoo Jürgens vertont genau das. Und trifft ins Mark. Einer wie Adrian Goiginger, der mit seinem autobiographischen Debüt Die beste aller Welten zeigen konnte, wie authentisch er soziale Gefüge beobachten kann, ohne sie zur Show zu machen, der hat das bemerkt. Den Musiker liebgewonnen und einen Film mit ihm gemacht. Rickerl heisst dieser – begleitet mit dem Untertitel: Musik is höchstens a Hobby.

    Rickerl ist weit jenseits eines Musikers wie Alfred Dorfer ihn in Freispiel darstellt, als Mann in der Midlife-Crisis, der sich neu orientieren muss. Eher noch lässt sich Voodoo Jürgens‘ Verlierertyp mit Oscar Isaac gleichsetzen, der in Inside Llewyn Davis als ebensolches Potenzialbündel nichts auf die Reihe bekommt, ein Opfer seines auferlegten Determinismus darstellt und als Randexistenz aus dem Straucheln eine eigene Kunstform macht. Rickerl ist ein Songwriter, hat einen Hang zum Makabren, fühlt sich als Opfer seiner zerrütteten Kinderstube, ist Ex-Mann und Vater eines aufgeweckten sechsjährigen Jungen, der ihn alle Wochenenden besuchen darf. Was er ins Mikro schmettert, hat Tiefe, das weiß auch sein Manager – nur ohne Demo-Tracks und einer gewissen Ordnung in Rickerl Oeuvre kann dieser nichts ausrichten. Der lethargische, schlaksige Beisl-Poet muss sich zusammenreißen. Doch es hilft alles nichts, so lange ihm selbst nicht die Erkenntnis kommt, die ihn vielleicht dazu bewegt, sich endlich abzugrenzen vom selbst auferlegten Stigma eines Fast-Obdachlosen, der dem System entkommen muss.

    Rickerl birgt keine komplexe Geschichte. Nimmt sich gar zurück, was den Plot betrifft. Und beobachtet, wie seinerzeit Elisabeth T. Spira in ihren fulminanten Alltagsgeschichten, das Milieu. Durch dieses Beobachten, ohne es ins Scheinwerferlicht zu zerren, was er beobachtet; durch dieses Zuhören und dem Mittrinken eines Spritzers am Stammtisch entsteht etwas völlig Berührendes und Großes. Ein ungemein ehrliches Portrait, eine feine Skizze der kleinen Leute, die im tiefsten, gar ordinären Wiener Slang, wie ihn einst der gute alte Edmund „Mundl“ Sackbauer sprach, durch die Gassen der Hauptstadt schlendert. Rickerl gelingen sogar einige kabarettistische Spitzen, doch um die geht es genauso wenig wie in Paul Harathers Filmjuwel Indien: Das altbekannte Stereotyp des glücklosen Künstlers erfindet sich neu, bedient sich dabei vertrauten Motiven und bringt das patscherte Leben mit Klampfen, Goldkette und Tschick in eine wenig verklärte Gegenwart, die für viele viel zu schnell kommt und all die in den Tag hineinlebenden Originale überrumpelt.

    Goiginger kann in seiner musikalischen, wunderbar ausgewogenen Tragikomödie seine wahre Stärke ausspielen: Die wahrhaftige Interaktion in einem sozialen Biotop – fast dokumentarisch mutet sein Film manchmal an, ungemein echt agiert das Ensemble rund um Voodoo Jürgens, der einem in seiner schludrigen Art genauso wie dessen Filmsohn Dominik so richtig ans Herz wächst. Nichts ist gekünstelt, alles gemeint wie getan. So landet Rickerl direkt und ohne Umwege beim Publikum. Wie Goiginger es immer wieder gelingt, Kinderdarsteller so sehr ins Spiel zu integrieren, ist ein Wunder. Doch eigentlich ist nicht nur das, sondern das ganze bittersüße Drama, unterlegt mit Jürgens‘ verletzlichen, ungefälligen Songs, ein besonderes Mirakel, das Wien, seine Menschen und die Kunstform des Austropop umarmt.





    Mehr Reviews und Analysen gibt's auf filmgenuss.com!
    filmgenuss_logo_quadrat_2a3baf4bcc.jpg
    29.01.2024
    17:27 Uhr
  • Bewertung

    Ein echter Wiener geht nicht unter

    RICKERL hat das Herz am richtigen Fleck. Etwas chaotisch, aber immer liebenswürdig und hilfsbereit auf seine Art kämpft sich ein Musiker durchs Leben …
    Wie das der Anti-Held schafft, der dann während des Films in den Genuss eines Superheldenfilms kommt, ist bewundernswert.
    Aber man braucht keine Superkräfte.
    Denke positiv.
    Sei Du selbst.
    leandercaine_0fc45209c9.jpg
    24.01.2024
    09:24 Uhr
  • Bewertung

    Gschichtln aus der Gruft

    Exklusiv für Uncut
    Nach seinem semiautobiografischen Spielfilmdebüt „Die beste aller Welten“, und der Würdigung seines Großvaters in „Der Fuchs“ widmet sich Adrian Goiginger mit „Rickerl - Musik is höchstens a Hobby“ erneut einem besonderen Leben. Ungeschönt, emotional, einfach echt.

    In Erich „Rickerl“ Bohaceks Leben läufts grad nicht wirklich. Mittlerweile verbringt er fast mehr Zeit beim AMS, als zu Hause, seinen Sohn Dominik sieht er nur jedes zweite Wochenende und die Ex will dann lieber gar nicht mit ihm reden. Dazwischen treibt es ihn ins Stammbeisl, wo er nach Inspirationen sucht, oder die Gäste mit seinen Darbietungen verzaubert. Denn eines kann er hervorragend: Musik machen. Die müsste nur noch irgendwie Geld abwerfen. Doch hinter der Träumerei muss er endlich aus dem Schatten seines Rabenvaters treten und Dominik das geben was er nie hatte.

    Die Geschichte weist Parallelen zu einem bekannten Liedermacher auf, und das sicher nicht zufällig. Die Rede ist natürlich von David Öllerer, besser bekannt als „Voodoo Jürgens“. Der ist hier nämlich in der Titelrolle zu sehen. Und die meistert er mit Bravour. Der junge Ben Winkler ergänzt das äußerst überzeugende Vater-Sohn-Gespann, welches das Herzstück des Films bildet und das mir zum Schluss erneut Tränen aufs Gesicht gezaubert hat. Damn you Goiginger, you did it again!

    Was er hier aber vor allem auf die Leinwand zaubert ist eine einzige Liebeserklärung an die Musik, die entgegen dem Untertitel eben doch mehr ist als ein Hobby. Zwischen Voodoo Jürgens Eigenkompositionen gesellen sich auch einige Hommagen an all jene die vor ihm kamen. Und schon in der ersten Szene wird klar, was ein gutes Lied in uns auslösen kann, als mehrere Leute plötzlich zu einem Song mitsingen, den sie vorher noch nie gehört haben. Oder die beruhigende Atmosphäre hinter einer im Chaos versinkenden Hochzeit. Oder ein intimer Moment zwischen Vater und Sohn. Musik ist Magie. Mir, der ich mich nie wirklich mit der von Voodoo Jürgens auseinander gesetzt habe, hat sie der Film ein großes Stück näher gebracht.

    Ebenso wie Jürgens Lieder geizt der Film nicht mit derbem Wiener Schmäh (der Film beginnt wörtlich mit einem Auftritt auf einem Friedhof). Die Beislatmosphäre konnte ich dazu als Zuschauer fast riechen und schmecken; es gibt beinahe keine Szene, in der nicht entweder ein Bier, Spritzer oder eine Tschick involviert ist. Wenn die Rauchschwaden stehen, ist es fast, als blicke man in die Vergangenheit. Die Kultur und ihre Etablissements mögen vielleicht aussterben, aber Goiginger hat ihnen hiermit ein Denkmal gesetzt.

    Entgegen Rickerls Produzenten wünsche ich jedenfalls allen Beteiligten dass sie sehr wohl „reich damit wean“. Aber selbst wenn nicht, „berührt hots mi!“.
    edac4c1f-b3ff-4de5-b845-16c20749665d_0d4411a121.jpeg
    13.01.2024
    17:39 Uhr