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    Das traurige Los verkannter Physiker

    Johannes Leinert (Jan Bülow), seines Zeichens Physikstudent und unter der Fuchtel eines herrischen Doktorvaters, wäre wohl ein Kandidat für das Goldene Brett vorm Kopf gewesen. Pseudowissenschaftlicher Unfug, reinste Spekulation, nichts Handfestes; nicht mal eine Theorie, vielleicht eine Hypothese, doch mit Hypothesen kann niemand etwas anfangen. Was wohl den Inhalt seiner Arbeit darstellt: Nichts Geringeres als eine Formel zur Erbringung der Theorie von Allem – den mathematischen Schlüssel zur Welt, den Zahlenstairway to Heaven, und wenn das nicht hinhaut, dann zumindest der Beweis für die Existenz von Multiversen, die nicht nur neben, sondern innerhalb der uns bekannten existieren. Dieser Leinert, dem wird nicht nur einmal gesagt, er soll die Klappe halten und rechnen, denn Mathematik ist schließlich die Sprache der Wissenschaft. Sein Mentor, Dr. Julius Strathen (Hanns Zischler), hat den eifrigen Jungspund in die Schweizer Alpen mitgenommen, zu keinem futurologischen, aber physikalischen Kongress, an welchem bahnbrechende Erkenntnisse offengelegt werden sollen, die womöglich die Welt verändern könnten.

    Nur: besagter Redner kommt nicht, die Veranstaltung verzögert sich, Leinert und Strathen entschließen sich zu warten. Ein Fehler? Ja und nein, zumindest für den Studenten verkompliziert sich die ganze Sache, denn nicht nur bekommt dieser seine Doktorarbeit zurückgeschmissen – er trifft auch auf eine rätselhafte junge Frau, die ihm seltsam bekannt vorkommt und die wiederum Dinge von ihm weiß, die sie nicht wissen kann. Der seltsamen Tatsache nicht genug, ziehen apokalyptisch anmutende Wintergewitter über Graubünden dahin, gesäumt von seltsamen Wolkenformationen. Das ließe sich vielleicht noch irgendwie erklären, aber nicht der Umstand, dass einer der Physiker, ein gewisser Dr. Blomberg, eines Tages tot aufgefunden wird, während er gleichzeitig andernorts aufschlägt. Wie kann das sein? Welche Anomalien sind da im Gange? Und was rumort denn so, unter dem Hotel?

    Diese Mystery fängt so gut wie alle Motive ein, die in den letzten Jahren so im Dunstkreis trendiger Mindfuck-Science-Fiction Mode war. Portale in andere Welten, Multiversen, Zeitreisen und Personen, die doppelt oder gar dreifach verfügbar sind. Wer Dark gesehen hat, wird den Knoten im Kopf vielleicht noch gar nicht gelöst haben. Everything Everywhere All at Once trieb die Paralleluniversen-Hypothese bis zum ermüdenden Exzess, und das MCU lässt Loki und die TVA an den Zeitsträngen herumschrauben. Die beschauliche Kleinstadt Hawkins (Stranger Things) wiederum hat sich selbst als düstere Kehrseite zu bieten, mit allerlei Monstern darin. Timm Kröger ist aber nicht danach, xenomorphen Schrecken auf die Menschheit loszulassen. Ihm gefällt es, all diese Überlegungen lediglich anzudeuten und ein großes Mysterium daraus zu machen, dass als neoexpressionistischer Quantenkrimi im Sixties-Look klassische Paranoia-Motive bemüht, die in den Werken eines Franz Kafka zu finden wären. Seltsame Männer mit Hut, die grimmig dreinblicken, darunter ein dubioser Inspektor mit heller Stimme, dargestellt von Ex-Blechtrommler David Bennent, der bei Josef K‘s Prozess vermutlich dabei gewesen war. Ein bisschen Lovecraft, ganz wenig Lynch und ganz viel Conny & Peter-Albtraum in kontrastreichem, mitunter gruseligem Schwarzweiß, erdrückt vom dominanten Score eines Big Band-Orchesters, das mit der Tür ins Haus fällt.

    Kröger liebt es, seiner Theorie von Allem diesen wilden Retro-Schliff zu verpassen und sich vor Alain Resnais Letztes Jahr in Marienbad auf die Knie zu werfen. Dieser zugegeben sperrige Kultfilm lässt sein Verwirrspiel ebenfalls in einem Hotel stattfinden, und auch dort sind so manche Identitäten längst nicht mehr mit sich allein. War der Stil dort aber von unterkühlter Ordnung geprägt, herrscht in diesem Film hier verwirrtes Chaos, und das Werk mag so tun, als trüge es die Offenbarung, die nicht mehr lange geheim gehalten werden kann, unter einem dicken, schwarzen Wintermantel. In Wahrheit aber sind all die gängigen Versatzstücke zu Zeit und Raum längst durchgewunken worden, während Kröger nicht wirklich viel davon mitbekommen hat. Ganz beglückt von seiner wuchtigen Bildsprache, in die er sein Herzblut leitet, merkt er kaum den Fahrtwind, den all die anderen Filme und Formate verursacht haben, die an ihm vorbeigerauscht waren. Was bleibt, ist ein nettes, atmosphärisch allerdings stimmiges Retrospektakel mit Film Noir-Romantik und schrägen Subjekten, viel zu dominanter Musik und einem kolportiertem Verständnis für Quantenphysik. Manch Mysteriöses scheint dabei weniger zu verbergen, als es den Anschein hat.

    Die Schwurbeleien mal außen vorgelassen, könnte Die Theorie on Allem als Ballade vom verkannten Physiker noch viel besser funktionieren. Dieses traurige Los, der Wahrheit so nahe gekommen zu sein wie Ikarus der Sonne, und dabei nicht über den Tellerrand geblickt zu haben, ist vielleicht ein Umstand, den so einige Vertreter der Wissenschaft bisweilen schlaflose Nächte bereitet.



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    24.11.2023
    13:26 Uhr
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    bemüht

    Ich bin angesichts der Kritiken offenbar mit zu hohen Erwartungen rein - mir kam der Film hauptsächlich bemüht vor und ich habe mich gelangweilt. Ich habe normal ein Faible für langsame Filme, aber bei dem hatte ich das Gefühl das ständig das Mysteriöse bedrohlich dräut (der Score tut sein nerviges Übriges), aber das war es dann auch schon. Etwas mehr Physik hätte ich mir von einem Film mit dem Thema außerdem auch erwartet, aber außer ein paar lahmen Anspielungen auf Schrödinger war da auch nicht viel. Was man dem Film zugute halten kann: er scheint zu polarisieren, entweder er begeistert, oder man kann so richtig gar nichts damit anfangen. Trotzdem: Counterpart 1. Staffel ansehen stattdessen...
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    21.11.2023
    12:28 Uhr
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    Deutsches Kino von seiner besten Seite

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Beinahe ein Jahr ist es schon wieder her, als Deutschland mit „Im Westen nichts Neues“ zuletzt großes Kino kreierte. Mit „Die Theorie von Allem“, welcher bei den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig Premiere feierte, folgt nun eine neue filmische Perle von Timm Kröger, der uns in die Schweizer Alpen entführt. Es ist eine durch und durch überraschende Produktion, in der Thriller und Krimi, Unberechenbarkeit und Düsternis miteinander verschmelzen.

    Johannes Leinert (Jan Bülow) ist Physiker und beschäftigt sich mit den komplexen Theorien der Quantenmechanik. Sein Buch, in dem er Erkenntnisse festhält, welche die Welt verändern könnten, basiert auf einer Geschichte, die sich vor mehr als einem Jahrzehnt in den Schweizer Alpen zugetragen hat. Ein Sprung in die Vergangenheit, folgt der Rekonstruktion jener Geschichte. Damals noch in seinen Zwanzigern und voller Tatendrang, befand er sich unter den Fittichen seines Doktorvaters Dr. Julius Strathen (Hanns Zischler). Nachdem eines Tages nicht erklärbare mysteriöse Ereignisse passieren, in denen auch Strathens Rivale Prof. Blumberg (Gottfried Breitfuß) eine Rolle spielt, nimmt Leinert eigenhändig Ermittlungen auf. Dabei ahnt er noch nicht, dass tief in den Schweizer Bergen ein Geheimnis ruht.

    Viele haben davon sicherlich schon irgendwo mal etwas gehört: Die Theorie von Allem (auch als Weltformel bekannt) beschäftigt sich mit physikalischen Gesetzen. Worum es ganz genau geht, das können wohl nur Physiker konkret zusammenbringen. Ein Exkurs in Quantenphysik, Gravitation, schwarze Löcher und Parallelwelten sparen wir uns an der Stelle, es würde die Filmkritik wohl ad infinitum führen. Das Gute dabei: Diese Theorie (im Englischen „The theory of everything“) ist nicht nur in der Populärwisssenschaft anzufinden, sondern mittlerweile genauso in der Populärkultur, wie viele Kinofilme (z.b. „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ 2014), Fernsehfilme oder Fernsehserien zeigen.

    Philosophie, Mystery und sicherlich auch wissenschaftliche Zugängen bieten sich hier an, es ist wohl kein Wunder, dass sich Filmemacher gern an diesem Begriff bedienen. Doch was soll man damit anfangen? Kröger bildet keine Ausnahme und das ist sicherlich auch gar nicht verkehrt. Auch bei seinem Werk erzeugt der Titel Neugier und Aufmerksamkeit, es liegt wohl vordergründig daran, da sich nicht sagen lässt, welche Richtung seine Geschichte einschlagen wird. Stellt euch an dieser Stelle schon einmal darauf ein, dass auch diese Filmkritik eher kryptisch wird.

    So viel sei gesagt: „Die Theorie von Allem“ ist ein Werk, in dem viele cineastische Komponenten aufeinandertreffen. Zwar nehmen Elemente vom Krimi- und Thrillergenre einen großen Anteil ein und doch gibt es da immer wieder vereinzelte Aspekte, die Kröger sehr gelungen hinzufügt. Märchenhaft fühlen sich beispielsweise einige Szenen an, die im starken Kontrast zu den realistischeren stehen, in denen versucht wird, die Welt auf wissenschaftliche Art und Weise zu ergründen. Mysterium in Form von Düsternis, Unberechenbarkeit und jede Menge Kopfkino kommen hinzu, die das Ganze zusätzlich aufpeppen. Handelt es sich im Inneren der Berge um eine Verschwörung? Um Aliens? Um physikalische Anomalien? Um die Superreichen, die einen perfiden Plan ausgeheckt haben? Fragen über Fragen, wobei Kröger sehr gekonnt mit all diesen Möglichkeiten spielt und dem Publikum genug Zeit zum Miträtseln bietet.

    Darüber hinaus gibt es genug filmische Referenzen, die sich ebenfalls anbieten. Parallelen zu „The Shining“ lassen sich zum Beispiel anführen, ebenso zur Netflix-Serie „Dark“, „Under the Silver Lake“ bis hin zu alten Edgar Wallace oder Alfred Hitchcock-Filmen. Es ist jedoch nicht so, dass Kröger von einem zum anderen springt und der Film Müh und Not hat, all das unter einem Hut zu bringen. Vielmehr profitiert der Film von seiner Stärke, dass er all diese Impressionen auf subtiler Ebene verbindet und es dem Publikum nie ins Gesicht reibt. Eine spezielle Sonderheit kommt ohnehin noch hinzu. Es geht nämlich nie direkt um das unmittelbare Mysterium, sondern darum, dass die Figuren ungewollt darüber stolpern. Anknüpfend an die bereits erwähnte märchenhafte Komponente, lässt sich auf metaphorischer Ebene sagen, dass es vielmehr um die Spur aus Brotkrumen geht, die in das Ungewisse führt. Das ist insofern wichtig, da es hier nie um Auflösung oder gar vollständige Ergründung geht. Jene durch und durch menschliche Eigenschaft, nach Wissen zu streben, Unklarheiten zu beseitigen und Licht ins Dunkle zu bringen, spielt sich im Hintergrund ab. Im Vordergrund geht es vielmehr darum, dass das Mysterium größer als der Mensch ist und dass dieser mit eben jener schwer zu ertragenden Wahrheit konfrontiert wird.

    Deutsches Kino, schweres Kino heißt es so oft und doch zeigt Kröger auf anschaulichste Weise das Gegenteil. Der gelungene Mix aus Thriller, Krimi und mitunter Horror geht aufgrund der cleveren Verschachtelung hervorragend auf. Verbunden mit den atmosphärischen schwarz-weißen Bildern, in denen Kröger auch sein über die Jahre gesammeltes Wissen als Kameramann unter Beweis stellt, ist „Die Theorie von Allem“ ein Paradebeispiel für gelungenes Mystery-Kino.
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    15.09.2023
    10:50 Uhr