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    Das Schöne zwischen den Widrigkeiten

    Sowieso ist alles hoffnungslos? Gut, zumindest erweckt es den Anschein. Doch was Aki Kaurismäki niemals zulassen würde, ist, seine Figuren in den bodenlosen Abgrund zu werfen. Sie straucheln zwar, sie verlieren ihre Jobs, sie sind einsam und versoffen; sie haben kein Geld und keine Lobby. Doch resignieren, das tun sie nicht. Oder zumindest nicht mehr. Kaurismäki ist seit seinem Cabriolet-Klassiker Ariel hoffnungsvoller geworden. Seine Liebe zur Arbeiterklasse und all jenen, die im Grunde das System erhalten, jedoch nichts dafür bekommen, ist ungefähr so stark wie bei seinem britischen Fachkollegen Ken Loach. Doch wo dieser mit blankem Realismus soziale Defizite aufzeigt, erstellt Kaurismäki lakonische Alltagstableaus voller sprödem Charme. Bevölkert mit Gestalten, die sich das bisschen Glück aus einem sonst ereignislosen Leben picken, das aufgrund höherer Umstände nicht viel anders sein kann. Dieses Glück kann darin liegen, auf die Karaoke-Bühne zu gehen und blumige finnische Balladen zu schmettern, während dem Hochprozentigen zugetane Freitagabend-Melancholiker mit stoischer, aber dennoch verzückter Miene dem Möchtegern-Bariton lauschen.

    Um jenen, der gerne jünger wäre, als er ist und darauf wartet, von einer Plattenfirma entdeckt zu werden – um den geht’s hier gar nicht primär. Sondern vielmehr um dessen Arbeitskollegen und Freund, dem Alkoholiker Holappa (Jussi Vatanen). Der bekommt so gut wie nichts auf die Reihe, weil er so viel säuft und dadurch andauernd seine Jobs verliert. Obendrein raucht er noch wie ein Schlot und ist deprimiert. Weil er eben so viel trinkt. Und weil er deprimiert ist, trinkt er. Ein Teufelskreis, dem man sich in Kaurismäkis urbanen Miniaturen mit stoischem Trotz gerne hingibt. Die ganze ernüchternde Monotonie könnte sich ändern, als dieser Holappa auf die hübsche Ansa (Alma Pöysti, zuletzt als Künstlerin Tove auf der Leinwand) trifft. Zuerst ist es nur Blickkontakt. Dann, später, ein erstes gemeinsames Kaffetrinken mit anschließendem Kinobesuch – dort läuft Jim Jarmuschs The Dead Don’t Die, eine kleine Verbeugung des Finnen vor einem Bruder im Geiste, dessen Filme wohl manchmal in einen ähnlich lakonischen Erzählstil abgleiten wie die eigenen. Diese beiden einsamen, aber niemals verlorenen Seelen sollten sich bald wiedertreffen, würde Holappa nicht Ansas Telefonnummer verlieren. So sucht die eine den anderen und umgekehrt, so harren sie vor dem Kino, in welchem gestandene Klassiker am Programm stehen, von Die Maske des Dr. Fu Manchu bis hin zu Godards Die Verachtung. Vielleicht klappt es ja, und aus dem bisschen Zuneigung könnte mehr werden. Nur nicht mehr Alkohol, denn das mag Ansa gar nicht. Im Zuge dieses Wartens und Vorbeigehens an Gelegenheiten müssen beide ihre Lage überdenken, ihr Leben ändern, soweit es in ihrer Macht steht. Eigeninitiative ergreifen dort, wo sonst der Abgrund folgt. Und dafür sind sich Kaurismäkis Liebende dann doch zu stolz, weil sie dennoch, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, einen Sinn im Leben sehen. Der dann noch stärker wird und wichtiger in Anbetracht eines in Europa tobenden Krieges, der sich in nüchterner Berichterstattung rund um Tod und Zerstörung in einen dem Weltgeschehen scheinbar fernen Alltag mischt.

    Kaurismäkis Bilder erreichen zwar nicht dieses akkurate Farbenspiel wie in seinem Meisterwerk Le Havre, aber dennoch ist das Komplementäre ein enorm wichtiges Element, das bereits vorab visualisiert, was zusammengehört und was nicht. Bescheidenes Interieur, enge Bars, längst nicht mehr neues, aber immer noch funktionstüchtiges Drumherum, in welchem pragmatische Lebensführung ihre Verwirklichung findet – so und nicht anders möbliert Kaurismäki sein Universum jenseits des Reichtums und der Gier. Sein Besinnen auf Werte, deren Streben danach im Angesicht noch viel schlimmerer Umstände – nämlich die des Krieges – von Szene zu Szene wichtiger werden, ist das, was der stilsichere Finne ausdrücken will. Die Arbeiterklasse der Gewerkschaften ist dabei immer noch ein Must-Have, Ansas Schuften in der Fabrik ein klassisches Zitat und eine Reminiszenz an seine früheren Werke. Den passenden Sound liefert dabei neben herrlich schwermütigen Chansons das reduktionistische und daher saucoole Musikduo Maustetytöt, das die ironische Melancholie dieser Tragikomödie auf den Punkt bringt.

    Vielleicht hat Kaurismäki hier doch sein letztes Werk geschaffen, bevor er gedenkt, sich wieder zurückzuziehen. Und wenn es so wäre? Dann hätte er vielleicht alles gesagt. Alles zur Leidenschaft Kino und seiner Liebe dazu. Alles zum Weltschmerz und der Relativierung des eigenen Status Quo. Immer mehr wird Fallende Blätter zu seiner eigenen Flucht aus der Realität, zu einer Romanze, die Ansa und Holappa wohl im Kino gesehen hätten, könnte der Traum auf der Leinwand nicht doch noch Wirklichkeit werden.



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    20.09.2023
    17:51 Uhr
  • Bewertung

    Ein Lichtblick in industrieller Tristesse

    Exklusiv für Uncut
    „Alle Männer sind Schweine“ – „Nein, denn Schweine sind intelligent!“ Dass Aki Kaurismäki seine Filme mit politischen Botschaften unterlegt, zeigt er auch in seinem neuen Werk „Fallende Blätter“. Der Dialog präsentiert nicht nur das vordergründige Thema seines neuen Films, die Schwierigkeiten zwischenmenschlicher Beziehungen, sondern korrigiert ganz nebenbei das landläufige Vorurteil über die vermeintliche Dummheit von Schweinen. Tierethik und Massentierhaltung werden zurecht hellhörig. Der finnische Auteur (Regisseur und Drehbuchautor zugleich) schafft wie kein Zweiter den Spagat zwischen generalistischer Handlung und subversiv-subtiler Nachricht.

    Hauptsächlich dreht sich die Handlung um Ansa (Alma Pöysti) und Holappa (Jussi Vatanen), die mit den Problemen unserer Zeit konfrontiert sind. Beide kommen in der kapitalistischen Arbeitswelt schwer zurecht. Ansa ist beschäftigt in einem Null-Stunden-Vertrag, ein für Arbeitergebende vorteilhafter Vertrag, bei dem die angestellte Person nur bei Bedarf eingesetzt und vergütet wird. Eine vollkommen unsichere Situation mit hohem finanziellem Risiko, das für Ansa durch eine absurde Kündigung verschärft wird. Auch bei der Entlassung gelingt Kaurismäki die unaufgeregte Kritik heutiger Lebensmittelverschwendung, schon früher hat er sich gegen Umweltzerstörung in Finnland ausgesprochen. Eine berührende Szene, in der Ansa alle Stromstecker zieht, nachdem sie einen Brief erhalten hat, verbindet die Geldsorgen mit der Inflations- und Energiepreiskrise. Kaurismäki arbeitet am Zahn der Zeit. Aus dem Radio schallen mehrfach Reportagen aus den ukrainischen Kriegsgebieten. Externe geopolitische Einflüsse durchbrechen den Mikrokosmos unserer Hauptcharaktere.

    Holappa hingegen kämpft gegen sein eigenes Laster, seine Alkoholsucht, wegen derer er häufig seine Arbeitsstelle wechseln muss. Eines Tages verletzt er sich an einer Maschine, die aus Kostengründen nicht gewartet wurde. Kapitalismus-Rüge mit der Brechstange. Doch Holappas mehrfache Kneipenbesuche, das in Finnland äußerst beliebte Karaoke und sein Arbeitskollege lockern die triste Grundstimmung regelmäßig auf. Neben all den kritischen Untertönen besticht der Streifen durch knappe Dialoge und trockenen Humor. Bei einem Kneipenbesuch schließlich treffen sich Ansa und Holappa. Blicke kündigen Zuneigung an. Fokus auf den Mikrokosmos. Die beiden gehen ins Kino, kennen aber nicht ihre Namen, Holappa verliert Ansas Telefonnummer, Alkohol ist ein Thema. Ihr Weg ist steinig, aber beide sind sich sicher: Es ist der einzige Weg zu einem besseren Leben – bis kurz vor dem Ende sogar das erste und einzige Mal in diesem Film gelacht wird.

    „Fallende Blätter“ ist der Abschluss von Kaurismäkis sogenannter proletarischer Reihe, deren letztes Werk 1990 gezeigt wurde. Er inszeniert das Leben in urbanen Räumen, die Unsicherheit in zunehmender Komplexität, das alltägliche Hamsterrad, das proletarische Lohnarbeiten in entfremdeten Berufen, Ausbeutung durch korrupte Autoritäten. Ja, auch marxistische Begriffe passen und gehören zu diesem Werk. Gesucht wird der Platz des Menschen in der modernen, postindustrialisierten Welt. Mit nur 80 Minuten Laufzeit ein kurzweiliger Einblick mit ruhigem Witz. Kein revolutionärer, aber ein intelligenter, melancholischer, gleichermaßen optimistischer und pessimistischer Film, der dank des Preises der Jury in Cannes und sehr guter Kritiken internationale Aufmerksamkeit gewinnen konnte. Und in dem Kaurismäki beides formuliert: klare Kapitalismus- und Gesellschaftskritik neben einer berührenden, stillen Beziehungsgeschichte.
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    15.09.2023
    14:56 Uhr