Killing Romance

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Forumseintrag zu „Killing Romance“ von UR_000

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UR_000 (26.09.2023 21:56) Bewertung
Happily (n)ever after: Mords-romantisches Märchen um den Ausbruch aus dem goldenen Käfig
Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
„Killing Romance“ ist der dritte Spielfilm des koreanischen Regisseurs Won-suk Lee. Für seinen Genregrenzen sprengenden Streifen konnte er die in ihrer Heimat geschätzte Ha-nee Lee und Sun-kyun Lee, der etwa im Oscar-prämierten „Parasite“ zu sehen war, gewinnen.

Koreanisches Kino? Sozialkritik, Härte, Gewalt, Verbrechen und Düsternis – zumindest, wenn man an „Die Frau im Nebel“ oder Klassiker wie „Old Boy“ denkt. Es geht auch anders. Won-suk Lee findet in „Killing Romance“ seinen ganz eigenen Weg, die Geschichte einer Frau zu erzählen, die aus einem unerträglichen goldenen Käfig ausbrechen möchte. Der Regisseur treibt dafür die Dramatik bis über die Spitze hinaus, setzt voll auf die Komik von Übersteigerung und Parodie. Auf Farben und schräge Typen; wie gleich zu Beginn eine nette ältere Dame, die uns, dem Publikum, aus einem Buch vorliest. Ein klarer Verweis auf Märchen, geschickt platziert: Es wartet eine Geschichte voller (manchmal düsterer) Magie, in der alles geschehen kann. Alles, vermutlich nur nicht das, was man von einem koreanischen Film erwartet. (Ein Versprechen, das zum Großteil eingelöst wird.)

Der Beginn einer romantischen Liebesgeschichte bahnt sich an – in kitschigen Bildern und mit einer Musical-Einlage inszeniert, als die prominente Schauspielerin Yeo-rae auf der tropischen Insel Qualla ankommt. Die Promidame musste jüngst eine herbe Niederlage einstecken. Just mit ihrer ersten starken Frauenrolle konnte die Schauspielerin das Publikum nicht von sich überzeugen. Übrig blieb eine etwas peinliche Geste, die sich wie ein Lauffeuer verbreitet und Yeo-rae damit zum Gespött gemacht hat. Hohes Meme-Potenzial jedenfalls. Ihr bleibt nur die Flucht auf die einsame Insel. Dort taucht Jonathan auf und besänftigt nicht nur das tobende Wetter, sondern erobert Yeo-raes Herz mit einem Lied im Sturm. Die Hochzeit lässt nicht lange auf sich warten. In der Rolle des Ehemanns verliert der vermeintliche Prince Charming allerdings deutlich an Glanz. Er mutiert zum kontrollierenden, egomanischen Tyrannen, der von Yeo-rae erwartet, dass sie zur perfekten Trophy Wife wird, sich selbst und ihre Träume aufgibt. Und dann ein Hoffnungsschimmer, ein Scheinwerfer auf dem Dach des Luxusdomizils in Korea, das den jungen Nachbarn Beom-woo einfängt, einen ihrer größten Fans. Dieser möchte für den angebeteten Star alles tun, Yeo-rae wieder glücklich sehen. Da die Ehe in „Killing Romance“ eher das Gegenteil einer liebevollen Angelegenheit ist, wird schnell klar: Alles schreit hier nach Mord. Jonathan muss verschwinden, um Yeo-raes Freiheit und Glück wiederherzustellen. Einen Mord zu planen oder gar auszuführen, hat allerdings so seine Tücken. Und bietet viel Material für aberwitzige, herrlich kreativ-abgefahrene Szenen.

Kreativ, aber offensichtlich. Ganz und gar nicht subtil, dafür mit Liebe zum Detail, arbeitet Won-suk Lee etwa bei der Bloßstellung des reichen Tycoons. Von den Kostümen (gemusterte Trainingsanzüge, um nur ein Beispiel zu verraten) über einen aufgeklebten Schnauzbart bis hin zur Einrichtung des Luxushauses schreit alles, dass Jonathan Na allzu sehr von sich selbst eingenommen ist. Mit Verve und Genuss am Parodistischen haucht Sun-kyun Lee diesem exzentrischen Zeitgenossen Leben ein. Überspitzt ist auch die Darstellung von Jonathans Sadismus und Kontrollwahn, wenngleich man hier vielleicht trotzdem etwas schlucken muss, auch wenn man über die schrägen Szenen lacht. Nicht nur, wenn er seiner Frau als Wiedergutmachung nach einer Entgleisung unzählige Straußen-Handtaschen schenkt.

Manchmal schimmern hinter der bunten, schreienden Oberfläche doch tiefer gehende Aspekte durch. „Killing Romance“ greift Themen wie Starkult oder Immobilienbauwahn auf, um sie zu sezieren und pointiert-übertrieben zu inszenieren. Die fiktiven Werbeclips für so manch fragwürdiges Produkt sind clever eingeflochten. Diese sinnbefreiten Produktionen erinnern an jene, die so manche Social-Media-Plattform überschwemmen. Die Produkte selbst tauchen als Erkennungszeichen und Symbol des Fan-Seins immer wieder auf, ein Verweis auf die Macht solcher Bilder. Es ist auch ein Film über die Macht, in diesem Fall sogar fast Magie, von Fans. Womit beide Seiten der Medaille beleuchtet werden, vor allem aber der Funke aufs Publikum überspringt, der besondere Status als Fan spürbar wird.

Won-suk Lees Film erzählt eine Art Emanzipationsgeschichte. Nuanciert, wenn man genau aufpasst. Schon als gefeierter Superstar ist Yeo-rae nicht frei. Ihr Korsett wird durch die Ehe mit einem Kontrollfreak noch enger. Im Kampf um sich selbst und ihr Leben muss sie sich erst beweisen. Eine Gelegenheit, über sich hinauszuwachsen, bekommt auch eine andere Figur: der unscheinbare, nerdige Nachbarjunge.

Schon zu Beginn des Films ist klar: Man sollte „Killing Romance“ nicht allzu ernst nehmen. Gerade Übertreibung und Überzeichnung machen den Charme und die Originalität des Films aus. Denn wie oft gibt es ein etwas blutiges Märchen über ein Mordkomplott, garniert mit einer Prise Medien-, Konsum- und Kapitalismuskritik sowie Musical-Einlagen? Lässt man sich auf den ungewöhnlichen Genre-Mix ein, bietet er überdreht-hochwertige Unterhaltung. Vielleicht setzt sich auch Yeo-raes Emanzipationssong im Ohr fest, in dem sie ein ‚Bad Girl‘ sein will, auch wenn man kein Koreanisch kann.

In Korea erreicht der Film Kultstatus. Nicht ganz zu Unrecht.
 
 

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