The Holdovers

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Forumseintrag zu „The Holdovers“ von cinemarkus

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cinemarkus (17.12.2023 16:45) Bewertung
Der Club der alten Römer
Ich wusste eigentlich vorher gar nichts darüber, und schon das Poster ließ den Grinch in mir Schlimmstes befürchten. Zahlreiche Filme die sich um Weihnachten drehen sind schon an mir gescheitert. Meist tun sie nur oberflächlich auf besinnlich, doch wenn man genauer hinschaut erkennt man schnell die wahre Intention: die maximale Ausschlachtung von Kindheitserinnerungen mittels einer weltweit operierenden Massenindustrie (spätestens jetzt dürfte jedem klar sein, dass ich das mit dem Grinch ernst meine!). Das Ziel scheint stets nur zu sein, mir mit aller Gewalt runter würgen zu müssen „HEY, IST WEIHNACHTEN NICHT TOTAL GEIL!!!?“ Ich habe absolut nichts gegen das Fest an sich. Ich feiere es total gerne mit meiner Familie zu Hause. Mir gehts auch definitiv nicht um den religiösen Aspekt (wie man in einer möglicherweise bald erscheinenden Kritik von mir deutlich rauslesen wird). Ich meine lediglich dieses schon fast kultartige Verhalten, dass mittlerweile jeden Dezember an den Tag gelegt wird.

Ein Standpunkt den ich darum schon ewig vertrete ist, dass die besten Weihnachtsfilme eben jene sind, die auch außerhalb der (Vor-)Weihnachtszeit funktionieren (beispielsweise der absolut hervorragende „Klaus“) und „The Holdovers“ reiht sich spielerisch in diese exklusive Runde ein. (Genau genommen werden die Feierlichkeiten sogar teilweise in den Hintergund gedrängt, bzw die Geschichte erstreckt sich über einen viel längeren Zeitraum, wodurch er sich nicht mal immer wie ein Weihnachtsfilm anfühlt) Der neue Film von Alexander Payne („The Descendants“) macht für mich nach langer Zeit wieder alles richtig, weil er sich ehrlich und wahrhaftig auf das konzentriert, was das Fest eben irgendwann mal ausgemacht hat: Familie.

Die tritt in Form eines zusammengewürfelten Haufens verschiedenster Charaktere an einer amerikanischen Privatschule in den 1970ern auf den Plan.
Paul Hunham (Paul Giamatti) unterrichtet dort altertümliche Geschichte. Von seinem verhassten Direktor wird er dazu verdonnert über die Weihnachtsfeiertage auf all die Schüler aufzupassen, die nicht nach Hause zu ihren Familien fahren können. Angus (Dominic Sessa) ist einer davon. Seine Eltern sind getrennt und keiner scheint ihn bei sich haben zu wollen; seine Mitschüler halten ebenfalls keine großen Stücke auf ihn und zwischen ihm und Mr. Hunham herrscht sowieso Krieg. Und dann soll ausgerechnet der auf ihn aufpassen? Ergänzt wird die Runde noch durch die verschlossene Köchin Mary (Da‘Vine Joy Randolph), die um ihren in Vietnam gefallenen Sohn trauert. Damit es die zusammen über die Feiertage schaffen muss schon ein Wunder geschehen - ein Weihnachtswunder.

Menschen die sich aufs Blut nicht ausstehen können, dann aber langsam auftauen als sie merken dass sie doch mehr gemeinsam haben als sie glauben. Derartige Geschichten kriegen mich fast immer, vor allem wenn sie so gut geschrieben sind wie diese. Und ein bisschen Kitsch darf bei mir immer sein, Payne übertreibt es damit nämlich keineswegs. Giamatti als schrulliger Geschichts-Nerd funktioniert einfach hervorragend und schenkt uns eine Reihe Running Gags, die immer wieder für herrliche Lacher sorgen. Newcomer Dominic Sessa als emotionaler Anker hat mich zu Tränen gerührt, aber Da‘Vine Joy Randolph ist vielleicht der heimliche Star, weil sie das beste aus beiden Aspekten vereint.

Der einzige wirkliche Kritikpunkt besteht darin, dass Angus’ Mitschüler, zwischen denen zu Beginn mehrere Beziehungen und Konflikte aufgebaut werden, irgendwann einfach aus der Gleichung genommen werden, wodurch diese ins Leere verlaufen. Das passiert sehr plötzlich und führt zu einem harten Einschnitt. So wird aus „The Breakfast Club“ eher „Der Club der toten Dichter“, was keineswegs negativ gemeint ist, sondern in der besten Art und Weise, wenn man sich nur darauf einlassen kann.

Ende Jänner 2024 ist der Kinostart geplant, einerseits schade, weil er IN der Weihnachtszeit vermutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen würde, aber vielleicht genau richtig, weil er nicht auf die Hysterie angewiesen ist.
Vielleicht ist an diesem Geist der Weihnacht ja doch irgendwas dran, denn wenn es schon mal ein Film schafft, dass in mir festliche Stimmung aufkommt, dann muss er einfach etwas ganz Besonderes sein.
 
 

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