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84.5% Bewertung
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    The Real Breakfast Club

    Alexander Payne ist nach SIDEWAYS erneut ein stilles Meisterwerk gelungen: THE HOLDOVERS begeistert mit einer berührenden Geschichte über Außenseiter und vom Leben gezeichneten Charaktere, die über Weihnachten zusammenfinden.
    Als Geschichte-Professor ist Paul Giamatti schwer oscarverdächtig. Jim Beam drückt ganz fest die Daumen (1970 um günstige 2 USD) noch zu haben gewesen.
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    30.01.2024
    19:26 Uhr
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    Der Club der alten Römer

    Ich wusste eigentlich vorher gar nichts darüber, und schon das Poster ließ den Grinch in mir Schlimmstes befürchten. Zahlreiche Filme die sich um Weihnachten drehen sind schon an mir gescheitert. Meist tun sie nur oberflächlich auf besinnlich, doch wenn man genauer hinschaut erkennt man schnell die wahre Intention: die maximale Ausschlachtung von Kindheitserinnerungen mittels einer weltweit operierenden Massenindustrie (spätestens jetzt dürfte jedem klar sein, dass ich das mit dem Grinch ernst meine!). Das Ziel scheint stets nur zu sein, mir mit aller Gewalt runter würgen zu müssen „HEY, IST WEIHNACHTEN NICHT TOTAL GEIL!!!?“ Ich habe absolut nichts gegen das Fest an sich. Ich feiere es total gerne mit meiner Familie zu Hause. Mir gehts auch definitiv nicht um den religiösen Aspekt (wie man in einer möglicherweise bald erscheinenden Kritik von mir deutlich rauslesen wird). Ich meine lediglich dieses schon fast kultartige Verhalten, dass mittlerweile jeden Dezember an den Tag gelegt wird.

    Ein Standpunkt den ich darum schon ewig vertrete ist, dass die besten Weihnachtsfilme eben jene sind, die auch außerhalb der (Vor-)Weihnachtszeit funktionieren (beispielsweise der absolut hervorragende „Klaus“) und „The Holdovers“ reiht sich spielerisch in diese exklusive Runde ein. (Genau genommen werden die Feierlichkeiten sogar teilweise in den Hintergund gedrängt, bzw die Geschichte erstreckt sich über einen viel längeren Zeitraum, wodurch er sich nicht mal immer wie ein Weihnachtsfilm anfühlt) Der neue Film von Alexander Payne („The Descendants“) macht für mich nach langer Zeit wieder alles richtig, weil er sich ehrlich und wahrhaftig auf das konzentriert, was das Fest eben irgendwann mal ausgemacht hat: Familie.

    Die tritt in Form eines zusammengewürfelten Haufens verschiedenster Charaktere an einer amerikanischen Privatschule in den 1970ern auf den Plan.
    Paul Hunham (Paul Giamatti) unterrichtet dort altertümliche Geschichte. Von seinem verhassten Direktor wird er dazu verdonnert über die Weihnachtsfeiertage auf all die Schüler aufzupassen, die nicht nach Hause zu ihren Familien fahren können. Angus (Dominic Sessa) ist einer davon. Seine Eltern sind getrennt und keiner scheint ihn bei sich haben zu wollen; seine Mitschüler halten ebenfalls keine großen Stücke auf ihn und zwischen ihm und Mr. Hunham herrscht sowieso Krieg. Und dann soll ausgerechnet der auf ihn aufpassen? Ergänzt wird die Runde noch durch die verschlossene Köchin Mary (Da‘Vine Joy Randolph), die um ihren in Vietnam gefallenen Sohn trauert. Damit es die zusammen über die Feiertage schaffen muss schon ein Wunder geschehen - ein Weihnachtswunder.

    Menschen die sich aufs Blut nicht ausstehen können, dann aber langsam auftauen als sie merken dass sie doch mehr gemeinsam haben als sie glauben. Derartige Geschichten kriegen mich fast immer, vor allem wenn sie so gut geschrieben sind wie diese. Und ein bisschen Kitsch darf bei mir immer sein, Payne übertreibt es damit nämlich keineswegs. Giamatti als schrulliger Geschichts-Nerd funktioniert einfach hervorragend und schenkt uns eine Reihe Running Gags, die immer wieder für herrliche Lacher sorgen. Newcomer Dominic Sessa als emotionaler Anker hat mich zu Tränen gerührt, aber Da‘Vine Joy Randolph ist vielleicht der heimliche Star, weil sie das beste aus beiden Aspekten vereint.

    Der einzige wirkliche Kritikpunkt besteht darin, dass Angus’ Mitschüler, zwischen denen zu Beginn mehrere Beziehungen und Konflikte aufgebaut werden, irgendwann einfach aus der Gleichung genommen werden, wodurch diese ins Leere verlaufen. Das passiert sehr plötzlich und führt zu einem harten Einschnitt. So wird aus „The Breakfast Club“ eher „Der Club der toten Dichter“, was keineswegs negativ gemeint ist, sondern in der besten Art und Weise, wenn man sich nur darauf einlassen kann.

    Ende Jänner 2024 ist der Kinostart geplant, einerseits schade, weil er IN der Weihnachtszeit vermutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen würde, aber vielleicht genau richtig, weil er nicht auf die Hysterie angewiesen ist.
    Vielleicht ist an diesem Geist der Weihnacht ja doch irgendwas dran, denn wenn es schon mal ein Film schafft, dass in mir festliche Stimmung aufkommt, dann muss er einfach etwas ganz Besonderes sein.
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    17.12.2023
    16:45 Uhr
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    Weihnachten heilt (fast) alle Wunden

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist eine oft belächelte und verpönte Zusammensetzung. Schüler, die in der eigentlichen Autoritätsperson eine Art Mentor oder Elternfigur sehen, werden schief angesehen, wenn sie ihren Vorgesetzten auf einer zwischenmenschlichen Ebene näherkommen als von vielen vorgesehen. Auf dem reinen Jungeninternat Barton kommt es über die Weihnachtsfeiertage zu einer ungewöhnlichen Konstellation. Paul Hunham (Paul Giamatti), eine langjährige Lehrkraft an der Schule, muss unerwartet als Aufsichtsperson für die Schüler einspringen, die über die schulfreie Zeit nicht nach Hause fahren können. Schnell bleibt aus der größeren Gruppe aber nur noch ein Trio übrig.

    Die beiden Protagonisten in „The Holdovers“ starten nicht als das Lehrer-Schüler-Duo mit besonderer Chemie. Vielmehr verbindet sie gegenseitige Abneigung. Agnus Tully (Dominic Sessa) ist ein Problemschüler, der wegen seines exzentrischen Verhaltens schon von einigen Elite-Internaten geflogen ist. Dass sich hinter der impulsiven Fassade aber ein junger Mann mit enormem akademischem Potenzial verbirgt, wird im Film schon früh deutlich gemacht: Während seine Kollegen vom strengen Geschichtslehrer Mr. Hunham reihenweise miserable Noten erhalten, schneidet Agnus vergleichsweise exzellent ab. Danach dringt die angedeutete Brillanz in Agnus nicht mehr allzu oft durch, gegen Ende verzichtet Hunham in einem Gespräch mit seinen Eltern auch bewusst auf das Wort „Brillant“, um Agnus unbestrittenes Leistungsniveau einzuordnen. Wie oft haben wir schon Filme gesehen, in denen der Protagonist als „flawed genius“ dargestellt wird, der sein volles Potenzial durch seine Dämonen aber nicht abrufen kann. So einfach macht es sich Alexander Payne hier nicht. Agnus ist ein Charakter, in den man sich als gewöhnlicher Mensch mit überdurchschnittlichem Verständnis perfekt hineinversetzen kann. Alles an ihm wirkt zutiefst menschlich. Er kämpft in seinem jungen Alter aber mit persönlichen und familiären Problemen, die bei den meisten für ein ganzes Leben reichen würden. „The Holdovers“ erzählt auch die Coming-of-Age-Geschichte eines kurz vor der Volljährigkeit stehenden jungen Mannes.

    Parallel zieht Payne die Charakterstudie eines sowohl in seinem Kollegium als auch unter der Schülerschaft ungeliebten Schullehrers auf, der allen mit seinen ständigen historischen Einrissen über Karthago und lateinischen Floskeln seinen nicht zu übersehenden Intellekt unter die Nase reibt. Seine schlechte Reputation hat Mr. Hunham aber schon längst realisiert und akzeptiert. Anfangs stellte sich auch die Frage, ob er seine Herangehensweise bewusst so gewählt habe, macht er in einigen Gesprächen doch deutlich, wie gerne er alleine sei. Mit Fortdauer des 132 Minuten langen Films lernen wir aber auch ihn besser kennen und verstehen, wo seine für uns oftmals wenig nachvollziehbare Art herkommt. Jedes Mal, wenn sich Paul mit den anderen Hinterbliebenen öffnet, fügt sich das rätselhafte Puzzle um seine Person immer weiter zusammen. Wir verstehen, wieso er manchmal so agiert, wo seine pessimistische Einstellung gegenüber der Welt und der Menschheit herkommt und warum er, öfter als er sollte, tief ins Glas schaut. Der Griff zum Alkohol ist ein weiteres Stilmittel, das sich durch „The Holdovers“ etabliert. Hier geht der Film mit einer akuten Problematik aber nur sehr stiefmütterlich um und glorifiziert diese Handlung sogar manchmal, vor allem, wenn es um einen emotionalen Konnex zwischen Hunham und der Internatsköchin Mary geht.

    Mary (Da’Vine Joy Randolph) ist die dritte Figur im Bunde, die in diesem Film stark im Fokus steht. Sie wurde im Leben von einigen privaten Tragödien eingeholt und durchlebt eine Reise voller Leid, Kummer und Sinnfindung. Mary ist eine starke Figur und der emotionale Anker dieses Films. Besonders ihre Beziehung mit Agnus wird, wenn auch sehr subtil, mit viel emotionalem Subtext aufgebaut. Zu Paul führt sie ein amikales Verhältnis und sorgt oft dafür, dass dieser über seinen eigenen Schatten springt. Marys Reise in „The Holdovers“ endet auf einer schönen Note, wenn auch zu früh. Ihre starke Präsenz in den ersten zwei Akten des Films ist derart einprägsam, dass ihr plötzliches Verschwinden im letzten Drittel ein wenig irritiert.

    Alexander Payne ist nach einer Dürrephase, die eine Dekade gedauert hat („Nebraska“ aus dem Jahr 2013 war sein letzter gefeierter Film), wieder zu seinen „Sideways“-Ursprüngen zurückgekehrt. Payne beweist, dass er ein Meister der Charakterstudien ist. Trotz großer Ensembles hat er es immer geschafft, keine Figur zu kurz kommen zu lassen oder unzureichend auszuerzählen. Payne steht nicht für große Bilder, spektakuläre Ausstattung oder aufgeblasene Effekttheater. In seinem Schaffen ist eine filmische Einfachheit verankert, die für das menschliche Wesen sehr greifbar und naheliegend wirken. Obwohl ich „The Holdovers“ in einem Wort als wohltuendes und atmosphärisches Coming-of-Age-Drama bezeichnen würde, steckt in diesem Film viel mehr drinnen. Er ist deprimierend, humorvoll und zutiefst menschlich - ein realistisches Abbild unserer Innenleben.
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    30.10.2023
    18:24 Uhr