Irati

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Filmgenuss (08.05.2023 18:35) Bewertung
Nicht die Götter, die Menschen müssen verrückt sein
Lokale Mythen als großes Kino – eine Mission, die nun in die zweite Runde geht. Wie es Paul Urkijo Alijo abermals geschafft hat, mit wenigen Mitteln die Legenden seines Landes lebendig werden zu lassen, ist erstaunlich. Dabei ist schon sein Erstling eine Wucht. Und Netflix-Abonnenten können sich glücklich schätzen, denn dieser ist fürs Streaming abrufbar: Errementari: Der Schmied und der Teufel. Was so aussieht, als hätte Guillermo del Toro nach Pans Labyrinth abermals kreative Opulenz auf spanischem Boden zum Sprießen gebracht, ist die Saat eines ganz anderen. Eines Autorenfilmers, dessen Namen wohl die wenigsten kennen, dessen Filmschaffen aber eine große Zukunft hat und gegenwärtig längst schon viel mehr Aufmerksamkeit verdient als es bisher der Fall scheint. In Errementari lässt Alijo einen Boten des Teufels in einen Käfig sperren, der die Seele des Schmieds einfordern will, ist dieser doch im Krieg einen Deal mit dem Leibhaftigen eingegangen. Was ein kleines Mädchen mit dieser ganzen verzwickten Situation zu tun hat, lohnt sich in dieser prächtigen Gothic-Fantasy, die auch irgendwie an Neil Gaiman erinnert, herauszufinden.

War schon dieser so hintersinnige wie düstere Streifen die filmische Interpretation folklorer Mythen, ist es Irati ebenso. Kenner des Baskenlandes wissen: Irati ist die Bezeichnung eines Waldes im Norden der Provinz Navarra an der Grenze zu Frankreich und inmitten der Pyrenäen. Wie dieser zu seinem Namen kam, erzählt vorliegende Geschichte: Wir schreiben die letzten Jahrzehnte des 8. Jahrhunderts. Die Franken fallen in die nordspanischen Königreiche ein – auch in das des Herrschers Ximeno, der sich nicht mehr anders zu helfen weiß, als die Hilfe einer mythologischen Gottheit namens Mari zu erbitten. Die ist bei den Basken die oberste Entität, die Urmutter aller Nebengötter – der weibliche Odin, wenn man so will. Sie ist liiert mit ihrem eigenen Sohn, einem monströsen Schlangenwesen. König Ximeno dringt also in die heiligen Hallen der mächtigen Dame ein und verspricht ihr sein eigenes Leben, sollte sie die wilden Horden Karls des Großen vernichten. Gesagt, getan – Blut für Blut: Mari lässt es hageln und Felsen regnen – in archaischen Schlachtenszenen und im tosenden Unwetter lassen beiden Parteien die Schwerter klirren, bevor der König sich selbst opfert, um den Deal zu erfüllen. Eineinhalb Jahrzehnte später kehrt dessen Sohn Eneko nach seinen Lehrjahren ins Königreich zurück, um die Gebeine seines Vaters zurückzuholen und die Gegend von heidnischem Glauben zu befreien. Er macht sich mit der im Wald lebenden Irati, Enkelin einer Magierin, auf den Weg, weiß sie doch genau, wo Mari am Spinnrad des Lebens spinnt. Mit dieser Mission entfesselt die Saga ein Abenteuer aus Verrat, Liebe und mächtigen Gegnern aus unsichtbaren Welten sowie mit ganz viel Know-How, was traditionelle, überlieferte Legenden betrifft.

Dabei ist der vom Filmportal Cineuropa getätigte Vergleich mit Herr der Ringe einer, der deutlich hinkt. Damit hat das ganze nichts zu tun. Nicht jede High Fantasy holt sich Inspiration von Tolkiens erdachten Welten. Irati ist etwas ganz und gar Selbstständiges, maximal vielleicht noch mit den deutschen Heldensagen rund um Siegfried vergleichbar, obwohl es in diesem Märchen weder Drachen noch Zwerge gibt – dafür aber einen Schatz, der an das Nibelungengold erinnert. Allein schon der Zugang zu all diesen Gottheiten hebt Irati auf ein gänzlich anderes inhaltliches Niveau, die mit den griechischen oder nordischen Sagen viel mehr verwandt ist.

In satten Bildern, pittoresken Waldlandschaften und stattlichen Kriegern erfüllt diese Queste alle möglichen Anforderungen, die geschmeidige Fantasy ausmachen. Weder erlaubt sich Alijo irgendwelchen Leerlauf, noch läuft er Gefahr, dem aus klassischen Elementen errichtete Abenteuer unfreiwillige Komik zu verleihen. Eneko Sardagoy als der seiner Bestimmung folgende Held mag zwar gewöhnungsbedürftig sein, sein Konterpart Edurne Azkarate als Irati hingegen ist eine Naturgewalt, die die Welt der Götter mit jener des Menschen souverän verbindet. Der Einsatz von Licht und Farbe, die Bedeutung der Natur und akzentuiert eingesetzte Spezialeffekte, die einen gewissen Retro-Charme versprühen, ohne aber kurios zu wirken, beweisen Alijos aufrichtiges Interesse für den Stoff, aus dem die alten Helden sind.

Exklusiv vom Slash 1/2 Filmfestival in Wien.
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