Joyland

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Forumseintrag zu „Joyland“ von UR_000

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UR_000 (18.03.2024 18:08) Bewertung
Vom Suchen des Joyland ...
Exklusiv für Uncut
Saim Sadiqs Film „Joyland“ wurde 2023 in Cannes in der Reihe „Un Certain Regard“ mit dem Jury-Preis gewürdigt. Sadiqs Spielfilmdebüt erzählt die Geschichte einer Ehe, die für beide Partner nicht mehr genügend Joy, Freude, bringt. Zwischen Familientradition und Familienehre ist in Pakistan nämlich kein Platz für eigene Bedürfnisse, eigene Gefühle.

Beobachtung der Familiendynamik

Ganz sicher nicht für Haider, der in den Augen seines Vaters nicht männlich genug ist, vom Geld, das seine Frau verdient, lebt. Als er nach langer Arbeitslosigkeit einen Job ergattert, ändert sich die Dynamik, gewollt und ungewollt. Haider beginnt, mehr von der Welt zu entdecken. Seine Frau muss jedoch zu Hause bleiben, um der Familie im Haushalt zu helfen. Dieses Auseinandergehen der Wege wird zur Zerreißprobe.
Sadiq zeigt Haider als einen Mann auf der Suche nach sich selbst, der seinem Vater nichts recht machen kann. Sogar die Damen sind weniger zimperlich. Obwohl er mit dem neuen Job gut verdient, muss er ihn geheim halten: Als Backgroundtänzer für eine Trans-Frau im erotischen Theater könnte er zum Gespött der Nachbarschaft werden.

Druckverteilung

Sadiq schaut in seinem Film hin, auf die Rollen und Aufgaben, die man in der pakistanischen Gesellschaft erfüllen sollte. Haider ordnet sich nicht nahtlos ein, lässt seine Frau Mumtaz arbeiten. Anders als die Familie seines Bruders, hier kümmert sich die Ehefrau um den Nachwuchs. Der Druck, einen Erben – ja, am besten einen männlichen – zu zeugen, wächst. Ein Druck, den vor allem Mumtaz zu spüren bekommt, den ihr niemand abnimmt.

Selbstfindungstrip eines Träumers

Indes schickt Regisseur Sadiq seinen Protagonisten auf Entdeckungsreise. Er darf sein kaum vorhandenes Bewegungstalent ausleben. Ja, die Tanzproben mit dem etwas gehemmten und wenig begabten Haider bringen viel Komik in die Geschichte. Diese humorvollen, leichten Momente, die bei den Shows und im Vergnügungspark Joyland in bunten Farben und Lichtern erstrahlen und mit rhythmischer Musik unterlegt sind, bieten einen spannenden Kontrast zu den dramatischen Entwicklungen.

Haider ist fasziniert von Trans-Künstlerin Biba, entdeckt neue Seiten an sich. Humorvoll und zunehmend emotional kommen die beiden einander näher. Ein Ausprobieren der eigenen Sexualität. Aber was will Haider wirklich?

Das Los der (Ehe-)Frauen

Eine Frage, die sich auch seine Ehefrau Mumtaz stellt. „Joyland“ stellt diese laut. Und versetzt das Ehepaar in die Lage, mehr über die Antwort zu erfahren. Ein emotionaler, spannender Selbstfindungstrip im Spannungsfeld von Tradition, Familienehre und Geschlechterrollen. Sadiq beleuchtet, wie ungleich die Chancen von Männern und Frauen sind, egal wie stark diese sind. Meist in Nebensätzen, dafür umso treffsicherer. Obwohl Haider mehr Zeit und Fokus bekommt, bleibt vor allem Mumtaz in Erinnerung. Ein Stück weit ist „Joyland“ auch ihre Geschichte.

„Joyland“ gibt ebenso Einblicke in das (Gefühls-)Leben einer Trans-Frau. Die Kamera darf nah dran sein, ein in persönlichen Momenten intimes, aber nie ausbeuterisches Porträt.

Präziser, spannender Blick auf die Gesellschaft und ihre Regeln

Sadiq gibt den Figuren und ihrer Geschichte viel Raum. Alles entwickelt sich langsam, manchmal vielleicht um die Spur zu langsam. Trotzdem bleibt „Joyland“ spannend, ein genauer Blick auf die gesellschaftlichen Regeln, die die eigenen Bedürfnisse ersticken, bietet ausreichend Konfliktpotenzial.

Ein durchaus kritischer und sehenswerter filmischer Blick auf ein soziales System mit starren Regeln. Auf eine Gesellschaft, die es den Menschen schwermacht, ins Land der Freude zu kommen.
 
 

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