Julieta

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Forumseintrag zu „Julieta“ von moerth

moerth (05.08.2016 13:33) Bewertung
„Julieta“ Filmkritik
Was ist ein echter Almodóvar? Ist es Poesie? Ist es die unsentimentale Mischung aus Liebe, Leid, Trauer und Schuld, die viele Zuseher fasziniert? Eines ist „Julieta“ mit Sicherheit – eine Neuerung in Almodóvars Werk.

Ich habe mir „Julieta“ sehr gerne angesehen, zweifelsohne, es ist einer von Almodóvars besseren Filme in seiner Spätphase, und trotzdem frage ich mich: Habe ich das nicht schon ein paarmal bei ihm gesehen, ist er jetzt in dieser gefährlichen Schleife, wo Regisseure sich manchmal hinbegeben, die immer im gleichen Universum bleiben?

Die Frage scheint zunächst berechtigt, weil es in jedem seiner Filme Wiedererkennungseffekte gibt. Vergleiche zu älteren Filmen, wie dem überragenden „Alles über meine Mutter“ (1999) drängen sich auf. Aber vielleicht sollte man auch gar nicht von Handlungssträngen reden, die sich sehr gleichen, sondern von „Gefühlssträngen“ (Zitat: Anke Leweke), die Almodóvar immer weiter webt und dabei neue Schattierungen hinzufügt. Vielleicht ist „Julieta“ keine so wuchtige Schattierung, aber der Film ist eine Neuerung in seinem Werk.

Die Hauptfigur Julieta hat seit Jahren nichts mehr von ihrer Tochter gehört, da Antía kurz nach ihrem 18. Geburtstag überraschend jeden Kontakt zu ihr abgebrochen hat. Zufällig trifft sie eine Jugendfreundin Antías auf der Straße und erfährt, dass die Tochter zumindest am Leben ist und drei Kinder hat. Verzweifelt zieht sich Julieta zurück in ihre alte Wohnung und beginnt, ihrer Tochter einen langen Brief zu schreiben – ohne die geringste Ahnung, wo sie diesen hinschicken soll.

Damit beginnt Pedro Almodóvar eine lange Rückblende. Im Zentrum steht der Schmerz über den Tod von Julietas Mann und Vater der Tochter Xoan. Die Trauer bringt Mutter und Tochter einander nicht näher, entfremdet sie über die Jahre, bis Antía verschwindet.

„Julieta“ beruht auf drei Kurzgeschichten der Literauturnobelpreisträgerin Alice Munro. Die kanadische Schriftstellerin ist für ihre Kurzgeschichten bekannt und auch für ihren gekonnten Umgang mit unterschiedlichen Zeitebenen. Wenn man die in sich verwobenen Geschichten ordnet, ist die Handlung von „Julieta“ eigentlich überschaubar und gar nicht mehr so kompliziert. Eine Frau in der Krise und wie es dazu kam, ein Drama um eingebildete und wirkliche Schuld. Ohne ganz großes Pathos, aber voller Mitgefühl für die Hauptfigur.

Almodóvar war ja lange Zeit eine Art Geschenk des neuen Spaniens an das Europäische Arthaus-Kino. Davor gab es Regisseure wie Carlos Saura, die stille, leichte, intellektuelle Geschichten erzählten, in einem Erzählton, den man im Österreichischen oder Deutschen Kino kaum kannte. Almodóvar fügte der Erzählhaltung Sauras viele neue Facetten hinzu und erneuerte so – wie auch Kaurismäki – das Genre des Melodramas.

Was bei Almodóvar so fasziniert, sind aber nicht die als Markenzeichen etablierten schrillen Dekors, Kostüme oder auch Figuren - es ist bis heute seine Fähigkeit, Geschichten voller Wendungen und Abgründe so zu erzählen, dass dem Zuseher das Einfühlen in noch so fremde Figuren leicht gemacht wird. Und es ist seine Aufrichtigkeit, die sich über jede politische Korrektheit hinwegsetzt und den Zuseher immer wieder herausfordert.

Ich denke mir das bei meiner eigenen Arbeit als Regisseur und Autor oft: Mehr Leichtigkeit, mehr Aufrichtigkeit. Letztendlich ist es eine Entwicklung, die man sich erarbeitet und die sich im richtigen Moment entfaltet. „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ (1988) ist in diesem Sinne ein Film, der „Alles über meine Mutter“ (1999) erst möglich machte. Und auch „Julieta“ steht in dieser Linie. Almodóvars neuer Film steht für Reduktion, Auslassung und damit für die Konzentration auf eine Figur, Julieta eben. Doch so greifbar die Mutter in ihrer Unfähigkeit wird, die Lücke der Tochter zu füllen, so unscharf bleibt Antía, was letztendlich ein unbefriedigendes Gefühl zurücklässt, das man aus dem Film mitnimmt.

„Julieta“ bedeutet zugleich Rückkehr und Fortentwicklung von Almodóvars Stärken. Die neuen Schattierungen geben dem klassischen Kino Almodóvars wieder eine poetische Tiefe aber die herausragende Figurenzeichnung blitzt nur in wenigen Szenen auf. So ist „Julieta“ einerseits nuanciertes, stilistisch herausragendes Kino. Andererseits bleibt der Film seltsam ungreifbar im Umgang mit seinen Figuren. Was zumindest dem Wunsch nach dem nächsten Almodóvar-Film keinen Abbruch tut.
 
 

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