Carol

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Forumseintrag zu „Carol“ von susn

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susn (23.09.2016 21:37) Bewertung
Eine Liebe in Blicken
Es ist eine nur kurze Berührung. Carol (Cate Blanchett) legt ihre Hand auf Thereses (Rooney Mara) Schulter. Therese schließt die Augen, atmet kurz durch. Es ist ein eindringlicher Augenblick. Dabei spielt sich die Handlung streng genommen außerhalb des Bildes ab. Carol spricht mit Thereses Bekannten Jack, die Kamera verharrt jedoch auf Thereses Gesicht. Es ist diese subtile Geste der Zuneigung, die den Moment ausmacht. Die romantische Beziehung, die sich zwischen den beiden Frauen im Laufe des Films entwickelt hat, ist gemäß ihres 50er Jahre Settings geheim, lebt innerhalb der ersten Stunde Laufzeit nur von Berührungen und Blicken. Die punktierte Inszenierung dieser intimen Momente inmitten eines Umfelds aus Kälte und Zurückhaltung nutzt Regisseur Todd Haynes, um seine Geschichte zu erzählen.

Eine lesbische Liebe in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts klingt nicht nach einem Werk der amerikanischen Autorin Patricia Highsmith. Highsmith war bekannt für ihre düsteren Kriminalfälle, das Schaffen von Charakteren mit tiefgreifenden psychologischen Problemen. Ihre Depressionen, ihre Alkoholsucht und die Ablehnung gegenüber ihren Mitmenschen spiegeln sich in den Büchern Highsmiths wieder. Viele ihrer Romane wurden verfilmt und gelten heute als Klassiker, so beispielsweise „Der Fremde im Zug“ von Alfred Hitchcock. Auch die Inspiration für „Salz und sein Preis“, dem Buch das Drehbuchautorin Phyllis Nagy als Vorlage für ihr Skript diente, entsprang dem persönlichen Leben Highsmiths. Die Autorin führte ihr ganzes Leben lang fast ausschließlich sexuelle Beziehungen mit Frauen. Männer empfand sie als unattraktiv.

Haynes schafft ein Universum, in dem der Zuschauer aus der Ferne beobachtet, wie Therese einsam und ohne Ansporn im Leben ein Dasein als Verkäuferin fristet. Die Kamera befindet sich immer in einem Abstand zum Geschehen. Erst als sie Carol zum ersten Mal bei der Lokomotiv-Auslage sieht, rückt Haynes seine Protagonisten näher in den Fokus. Die Blicke, die sich Carol und Therese zuwerfen, sprechen Bände über die Gefühle der beiden. Nagy spart in den entscheidenden Momenten mit Dialog, die persönliche Ebene entsteht über die Inszenierung. Im Gegensatz zu den intimen Details, mit denen die Kamera immer wieder spielt, stehen die Kälte, mit der Carol ihrem besitzergreifenden Noch-Ehemann Harge begegnet sowie die Irritation, die Therese gegenüber ihrem fast aufdringlich wirkenden Freund Richard empfindet. Stilistisch, fast schon als Fetisch, kombiniert Haynes diese Momente mit wiederholten Nahaufnahmen der Hände. Hände, die sich fast berühren als Therese für Carol eine Spielzeuglokomotive bestellt. Es ist auch sicher kein Zufall, dass es ausgerechnet die Handschuhe sind, die Carol am Tresen liegen lässt und somit Therese zu einem weiteren Treffen überredet.

Highsmith wäre nicht Highsmith, wenn die Handlung nicht auch dramatische Elemente hätte. Während Thereses Freund Richard sich angewidert von ihr abwendet, ist Carols Noch-Ehemann nicht so schnell bereit dazu, Carol einfach so gehen zu lassen. Immer wieder hinterfragt er ihre Beziehungen zu den Frauen in ihrem Leben. Er lässt sie überwachen und abhören, als Carol und Therese auf einen Road Trip gehen. In den 50er Jahren stand Homosexualität noch unter Strafe. Nachdem Carol und Therese sich im Motel ihren Gefühlen hingegeben haben, steht Carol vor der Wahl ihr Leben gemäß ihren Wünschen weiterzuleben oder das Recht auf ihre Tochter zu verlieren.

Das Ende ist ebenso ungewöhnlich für eine Highsmith Vorlage. Entgegen ihrer Thriller endet die Geschichte der Protagonistinnen hoffnungsvoll. Für beide besteht die Möglichkeit, ihr weiteres Leben miteinander verbringen zu können. Haynes und Nagy nutzen die Vorlage gekonnt, um die Selbstbestimmung der Frau an das Bekenntnis zu ihrer Sexualität zu koppeln. Therese wird zu einer stärkeren Person die ihrer Leidenschaft folgt, auch wenn sie sich von ihren Freunden entfremdet. Carol muss sich entscheiden, ob sie sich den Vorgaben ihres Mannes beugt und wieder zur gehorsamen Ehefrau wird. Liebe kommt zu einem hohen Preis. Beide Frauen kämpfen und leiden. Erst in der Erkenntnis, nicht in ihr Umfeld passen zu können und zu wollen, liegt schließlich die Befreiung.
 
 

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