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86.3% Bewertung
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    Eine Liebe in Blicken

    Es ist eine nur kurze Berührung. Carol (Cate Blanchett) legt ihre Hand auf Thereses (Rooney Mara) Schulter. Therese schließt die Augen, atmet kurz durch. Es ist ein eindringlicher Augenblick. Dabei spielt sich die Handlung streng genommen außerhalb des Bildes ab. Carol spricht mit Thereses Bekannten Jack, die Kamera verharrt jedoch auf Thereses Gesicht. Es ist diese subtile Geste der Zuneigung, die den Moment ausmacht. Die romantische Beziehung, die sich zwischen den beiden Frauen im Laufe des Films entwickelt hat, ist gemäß ihres 50er Jahre Settings geheim, lebt innerhalb der ersten Stunde Laufzeit nur von Berührungen und Blicken. Die punktierte Inszenierung dieser intimen Momente inmitten eines Umfelds aus Kälte und Zurückhaltung nutzt Regisseur Todd Haynes, um seine Geschichte zu erzählen.

    Eine lesbische Liebe in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts klingt nicht nach einem Werk der amerikanischen Autorin Patricia Highsmith. Highsmith war bekannt für ihre düsteren Kriminalfälle, das Schaffen von Charakteren mit tiefgreifenden psychologischen Problemen. Ihre Depressionen, ihre Alkoholsucht und die Ablehnung gegenüber ihren Mitmenschen spiegeln sich in den Büchern Highsmiths wieder. Viele ihrer Romane wurden verfilmt und gelten heute als Klassiker, so beispielsweise „Der Fremde im Zug“ von Alfred Hitchcock. Auch die Inspiration für „Salz und sein Preis“, dem Buch das Drehbuchautorin Phyllis Nagy als Vorlage für ihr Skript diente, entsprang dem persönlichen Leben Highsmiths. Die Autorin führte ihr ganzes Leben lang fast ausschließlich sexuelle Beziehungen mit Frauen. Männer empfand sie als unattraktiv.

    Haynes schafft ein Universum, in dem der Zuschauer aus der Ferne beobachtet, wie Therese einsam und ohne Ansporn im Leben ein Dasein als Verkäuferin fristet. Die Kamera befindet sich immer in einem Abstand zum Geschehen. Erst als sie Carol zum ersten Mal bei der Lokomotiv-Auslage sieht, rückt Haynes seine Protagonisten näher in den Fokus. Die Blicke, die sich Carol und Therese zuwerfen, sprechen Bände über die Gefühle der beiden. Nagy spart in den entscheidenden Momenten mit Dialog, die persönliche Ebene entsteht über die Inszenierung. Im Gegensatz zu den intimen Details, mit denen die Kamera immer wieder spielt, stehen die Kälte, mit der Carol ihrem besitzergreifenden Noch-Ehemann Harge begegnet sowie die Irritation, die Therese gegenüber ihrem fast aufdringlich wirkenden Freund Richard empfindet. Stilistisch, fast schon als Fetisch, kombiniert Haynes diese Momente mit wiederholten Nahaufnahmen der Hände. Hände, die sich fast berühren als Therese für Carol eine Spielzeuglokomotive bestellt. Es ist auch sicher kein Zufall, dass es ausgerechnet die Handschuhe sind, die Carol am Tresen liegen lässt und somit Therese zu einem weiteren Treffen überredet.

    Highsmith wäre nicht Highsmith, wenn die Handlung nicht auch dramatische Elemente hätte. Während Thereses Freund Richard sich angewidert von ihr abwendet, ist Carols Noch-Ehemann nicht so schnell bereit dazu, Carol einfach so gehen zu lassen. Immer wieder hinterfragt er ihre Beziehungen zu den Frauen in ihrem Leben. Er lässt sie überwachen und abhören, als Carol und Therese auf einen Road Trip gehen. In den 50er Jahren stand Homosexualität noch unter Strafe. Nachdem Carol und Therese sich im Motel ihren Gefühlen hingegeben haben, steht Carol vor der Wahl ihr Leben gemäß ihren Wünschen weiterzuleben oder das Recht auf ihre Tochter zu verlieren.

    Das Ende ist ebenso ungewöhnlich für eine Highsmith Vorlage. Entgegen ihrer Thriller endet die Geschichte der Protagonistinnen hoffnungsvoll. Für beide besteht die Möglichkeit, ihr weiteres Leben miteinander verbringen zu können. Haynes und Nagy nutzen die Vorlage gekonnt, um die Selbstbestimmung der Frau an das Bekenntnis zu ihrer Sexualität zu koppeln. Therese wird zu einer stärkeren Person die ihrer Leidenschaft folgt, auch wenn sie sich von ihren Freunden entfremdet. Carol muss sich entscheiden, ob sie sich den Vorgaben ihres Mannes beugt und wieder zur gehorsamen Ehefrau wird. Liebe kommt zu einem hohen Preis. Beide Frauen kämpfen und leiden. Erst in der Erkenntnis, nicht in ihr Umfeld passen zu können und zu wollen, liegt schließlich die Befreiung.
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    23.09.2016
    21:37 Uhr
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    Carol and Therese

    Leise und langsam bahnt sich eine Liebesgeschichte an. Die zwischen Carol and Therese, also eine zwischen zwei Frauen. Trotzdem zeigt sich der Film überraschend unpolitisch und erzählt langsam und wenig, geht dabei lieber ausgiebig auf die Gefühlswelten der Protagonistinnen ein, inszeniert diese wunderschön, zeigt eine Vorliebe für Frauengesichter hinter dreckigen Autofensterscheiben und drückt in ein paar Blicken aus, wofür Blue is the warmest Color eine 12-minütige Sexszene gebraucht hat.
    Cate Blanchett und Rooney Mara spielen großartig, Todd Hynes inszeniert tadellos. Nicht umsonst einer der Oscar-Favoriten dieses Jahres.
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    01.01.2016
    21:30 Uhr
  • Bewertung

    Therese

    Kritik der Woche
    In einer Zeit, in der Frauen durch ihre Männer definiert wurden, emanzipiert sich Carol und lebt in Scheidung. Ihr Mann, der versuchte sie zu kontrollieren, will ihr das gemeinsame Sorgerecht ihrer Tochter Rindy entziehen um sie zurückzugewinnen. Ihr Leben, und das von Therese nehmen einen komplett anderen Lauf, als sie sich begegnen. Und aus einer Freundschaft zwischen Frauen wird mehr...

    Carol ist definiert durch einen wunderbaren Soundtrack, die Musik umspielt die Handlung und begleitet diese perfekt.
    Die Geschichte wird langsam und bedächtig erzählt, mit wenig Spannung, aber viel mehr nuanciertem Gefühl.
    DIe Protagonistinnen Cate Blanchett und Rooney Mara spielen beeindruckend, letztere erinnert optisch an eine junge Winona Ryder.

    Carol ist leise, aber bewegend und faszinierend. Obwohl "wenig" passiert, wird man von den Geschehnissen gefesselt.
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    24.12.2015
    18:49 Uhr
  • Bewertung

    Liebe ist...

    Carol ist ein Film der zwei mögliche Skandale der 50er darstellt. Zum einen geht es um eine Beziehung, mit einem größeren Altersunterschied, wobei der größte Skandal ist wohl die lesbische Beziehung der Titelgebenden Protagonistin mit der jungen Therese. Beide sind mit einem Mann liiert. Die eine lässt sich gerade Scheiden und kämpft um dass Sorgerecht für die gemeinsame Tochter, die junge Thereses ist mit einem Mann verlobt, wobei sie noch nicht ganz weiß, ob er der Richtige ist. Aufgrund der sozialen Konventionen, gehört es sich aber dem Mann immer folge zu leisten und sich ihm zu binden. Gerade hier rebelliert Carol gegen das System.
    Getragen wir der gesamte Film von zwei Aspekten. Zum einen von der herausstechenden Leistung von Cate Blanchett und Rooney Mara. Beide spielen ihren Charakter sehr überzeugend und klopfen durchaus an der Acadamy Award Türe. Zum anderen durch die wirklich gut inszenierte Musik. Die durchgehende Mischung aus Violinen und Klavier Musik, hilft dem Film ungemein, seine Emotionen noch besser zu vermitteln.
    Das Drama hat viele gute Stellen, aber auch manche, die etwas zäher vergehen. Alles in allem wir die Geschichte unaufgeregt erzählt. Die wenigen Momente der Spannung verlaufen sich sehr schnell im Sand.
    Unterhaltsamer Oscar Kandidat, der aber sicher nicht jedem zusagen wird.
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    24.12.2015
    18:12 Uhr
  • Bewertung

    Gefühle, auf den Punkt gebracht

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Regisseur Todd Haynes beschäftigt sich in seinen Werken gerne mit weibliche Charakteren, die in der restriktiven Umgebung der USA der 1940 und 50er Jahre versuchen, aus ihrer Rolle auszubrechen. Nach dem Film „Dem Himmel so nah“ aus 1994 und der Mini-Serie „Mildred Pierce“ aus 2011 ist in „Carol“ wiederum eine Hausfrau zu eben jener Zeit im Mittelpunkt des Geschehens. Carol gespielt von Cate Blanchett hat genug vom vermeintlichen Familienidyll und lässt sich von ihrem Mann scheiden. Das Wichtigste in ihrem Leben ist und bleibt aber die gemeinsame Tochter, die Lösung wäre ein gemeinsames Sorgerecht. Die zweite Hauptfigur, die mittzwanzigjährige Therese (Rooney Mara), will eigentlich Fotografin werden, findet sich aber in einem unbefriedigenden Verkaufsjob wieder. Der vorgezeichnete Weg scheint die Heirat mit ihrem Freund zu sein. Als sich die beiden Frauen begegnen sind sie auf Anhieb voneinander angezogen.

    Der Film zeigt nicht nur eine Liebesgeschichte mit relativ großen Altersunterschied zwischen den Partnern – was im New York der 1950er Jahre eigentlich schon genug Aufsehen erregen würde – sondern obendrauf eine zwischen zwei Frauen. Nur wenige Momente zwischen Carol und Therese lassen erahnen, dass es zwischen den beiden funkt – was exemplarisch für den gesamten Film gilt. In nur einigen Mimiken, Gestiken und Kameraeinstellungen vermag der Film so viel an Emotion, Gedanken und Story zu vermitteln, für welche andere Stunden bräuchten, um unterm Strich trotzdem weniger zu erzählen. Diese präzise Art ist eine Kunst, für die nicht nur Todd Haynes oder seinem Kameramann Edward Lachmann Ehre gebührt. Man braucht zumindest talentierte Schauspieler und diese wurden mit Blanchett und Mara wahrlich gefunden, welche beide Oscar-würdige Performances abliefern.

    Im Laufe des Films kommt Carols Mann hinter den „unehrenhaften Lebenswandel“ seiner Ex-Frau und klagt auf alleiniges Sorgerecht. Obwohl die gesellschaftlichen Normen wie in diesem Fall immer wieder dazwischen funken, bleibt „Carol“ stets auf seine beiden Hauptfiguren fokussiert. Ob aber die Liebe trotz widriger Umstände immer obsiegt, will uns der Film aber dann (noch) nicht erzählen.
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    24.10.2015
    21:00 Uhr
  • Bewertung

    Stimmiges Gesamtkunstwerk

    Exklusiv für Uncut aus Cannes 2015
    Die „Carol“ zugrunde liegende Geschichte „The Price of Salt“ stammt aus der Feder von Patricia Highsmith. Doch im Gegensatz zu Ripley & Co schien sich der Stoff zunächst bei Filmschaffenden nicht besonders großer Beliebtheit zu erfreuen. Im Jahr 2000 entstand das Drehbuch zum Film. Es dauerte noch weitere 15 Jahre, bis die beeindruckende lesbische Liebesgeschichte unter der Regie von Todd Haynes in Cannes seine Premiere feierte und schnell zum Kritikerliebling avancierte. Dass Haynes ein Experte für die Inszenierung vergangener Welten ist, hat er bereits mit „Far From Heaven“, „I’m Not There“ sowie mit der Mini-Serie „Mildred Pearce“ unter Beweis gestellt. So ist in „Carol“ vor allem auch die liebevolle Inszenierung der 50er Jahre bemerkenswert. Die Verwendung von 16mm-Material soll die zeitliche Distanz zum Jahr 2015 unterstreichen.

    Getragen wird der Film von den beiden Hauptdarstellerinnen. Cate Blanchett und Rooney Mara befinden sich in Höchstform und empfehlen sich bereits jetzt für die Award-Season. Die Eine (Blanchett als Carol) als wohlhabende, starke Frau, die Andere (Mara als Therese) als zunächst schüchterne Verkäuferin mit künstlerischen Ambitionen. Die beiden Frauen fühlen sich schnell zueinander hingezogen. Die Ältere der beiden hat bereits lesbische Erfahrungen gesammelt, für die Jüngere ist alles neu. Carol „vergisst“ einen Handschuh im Laden – ein Vorwand sich wieder zu sehen.

    Beide leben in einer Beziehung zu einem Mann. Während sich Carol scheiden lassen möchte, ist Therese verlobt. Recht glücklich ist sie jedoch nicht. Bedingungslos werden die Männer sowohl auf visueller als auch auf narrativer Ebene zu Nebendarstellern degradiert. Die Selbstverständlichkeit mit der das geschieht ist beeindruckend. Bei den beiden brillanten Hauptdarstellerinnen sind sie überflüssig, stören sogar. So etwa Carols eigentlich gutherziger Ehemann, der nicht von der starken Frau lassen kann. Als sie mit der Scheidung ernst macht, droht er ihr das gemeinsame Kind wegzunehmen – die dramatische Komponente in einem Film, der ansonsten ohne große, tragische Konflikte auskommt.

    Carol und Therese experimentieren mit Gesten und Blicken, drücken damit aus, was in den 50er Jahren ein Tabuthema ist. Wer nicht den Moralvorstellungen der Gesellschaft entspricht wird ausgegrenzt. Ihre Liebe ist unerwünscht. Obwohl sie es schon lange wissen, dauert es noch lange, bis die Zuneigung zueinander angesprochen wird. Es ist auch eine Geschichte darüber den Mut dazu aufzubringen. „Darf ich dich etwas fragen“ flüstert Therese einmal ins Telefon. Doch die Frage bleibt ihr im Hals stecken, sie legt auf. Es sind Momente wie diese, die die innere Unsicherheit der Charaktere auf sympathische Art und Weise auf die Leinwand bringen. Wohin die Reise die beiden Frauen auf körperlicher Ebene führt, ist allen Beteiligten klar. Sie sind sich schon lange nahe, bevor sie sich näher kommen. Als es letztendlich soweit ist, scheint ihre Beziehung zu stagnieren. Sie driften wieder auseinander.

    Haynes Liebe zu seinen Figuren ist bemerkenswert. Die Art, wie die Kamera den Charakteren folgt und das Zusammenspiel von Räumen und Identität zeichnen „Carol“ aus. Es ist ein in sich stimmiges Gesamtkunstwerk, eine verspielte Momentaufnahme im Leben zweier sympathischer Frauen. In der für US-Großproduktionen untypischen Inszenierung von Geschlechterrollen liegt die große Stärke des Films. Würde es sich um Mann und Frau handeln, wäre es eine simple Love-Story. Das ist es auch jetzt noch. Doch durch die Umkehr von genderspezifischen visuellen Narrativen bekommt der Film zusätzliche Tiefe. „Carol“ ist ein sehr simpler Film mit großer Wirkung. In seiner Einfachheit liegt die große Stärke des Films.
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    27.05.2015
    14:37 Uhr