Mit den „Encounters“ wurde die Berlinale 2020 um einen ganzen Programmsektor reicher. Heuer geht die noch junge Nebenschiene in ihre fünfte Runde. Abermals wird ein vollwertiges, hochgradig internationales Filmbuffet aufgetischt, das – so hat man es sich zumindest auf die Fahne geschrieben – „traditionelle Formen des Kinos in Frage stellt“. Insgesamt 15 Spiel- und Dokumentarfilmproduktionen sind in der diesjährigen „Encounters“-Edition mit von der Partie. Am Ende der Woche wird der „Beste Film“ der Auswahl von einer dreiköpfigen Jury gekürt. Dieser gehören die Filmschaffenden Tizza Covi, Lisandra Alonso und Denis Côté an.
Und man darf sich sogar auf Hoffnungsträger aus den heimischen Reihen gefasst machen. Mit „Favoriten“ von Ruth Beckermann wird nämlich ein österreichischer Kandidat ins Rennen geschickt und darf den „Encounters“-Sektor sogar feierlich eröffnen. Für ihren neuesten Dokumentarfilm, der übrigens 2024 auch die Diagonale eröffnen wird, hat die mehrfach ausgezeichnete Regisseurin (u.a: „Waldheims Walzer“) über drei Jahre hinweg eine Wiener Schulklasse begleitet. Die gezeigte Volksschule im problematisierten Wiener Bezirk Favoriten gilt jedoch als alles andere als mustergültig. Im Gegenteil: laut Definition fällt diese in den Bereich der Brennpunktschulen, sprich es gibt hier besonders viele Kinder mit der einen oder anderen Lernschwäche. Ein besorgniserregender Mangel an Lehrpersonal macht die Situation für die benachteiligten Schülerinnen und Schüler nicht gerade einfacher. Trotz allem sucht Beckermann in diesem Mikrokosmos nach Momenten der Glückseligkeit, der kindlichen Wissbegierde und Freude. Mit bewährten „Problemschulen“-Stigmata wird aufgeräumt.
Auch unsere deutschen Nachbarn liefern vielversprechenden Nachschub. In „Ivo“ erzählt Eva Trobisch von einer jungen Frau, die viele Rollen unter einen Hut bekommen muss. Als Palliativpflegerin sieht sich Titelheldin Ivo (Minna Wüdrich) unentwegt mit schwerkranken Patientinnen und Patienten konfrontiert, die nicht mehr selbst für sich sorgen können. Tagsüber verbringt sie die meiste Zeit in ihrem Auto, um von einem Erkrankten zum nächsten zu düsen. Da bleibt kaum mehr Zeit für die eigene Tochter. Wäre der Stress nicht schon nervenaufreibend genug, wird der Mutter dann noch ein weiterer Kraftakt aufgebürdet. Sie soll einer Klientin, zu der sie eine freundschaftliche Bindung pflegt (Österreicherin Pia Hierzegger), Sterbehilfe leisten.
Unter den englischsprachigen Beiträgen wird kein Weg an „Matt und Mara“ vorbeiführen. Im neuen Film des Kanadiers Kazik Radwanski spielt kein Geringerer als Indiedarling Matt Johnson die Hauptrolle. Johnson, selbst als Regisseur aktiv, machte spätestens letztes Jahr mit seiner viel gefeierten Hightech-Satire „Blackberry“ auch mit Schauspieltalent auf sich aufmerksam. Hier verkörpert Johnson den eigensinnigen Schriftsteller Matt, der am Universitätscampus auf eine Bekannte aus alten Tagen trifft. Mara (Deragh Campbell), als Collegeprofessorin aktiv, fühlt sich in ihrer aktuellen Ehe unglücklich und wie gefangen. Die Wiederbegegnung mit Matt entfacht in ihr ein Feuer, das sie seit Ewigkeiten nicht mehr verspürt hat.
A Family
Frankreich 2024, Regie: Christine AngotArcadia
USA/Bul/Gri 2024, Regie: Yorgos ZoisCidade; Campo
D/F/BRA 2024, Regie: Juliana RojasDemba
D/SN 2024, Regie: Mamadou DiaDirect Action
D/F 2024, Regie: Guillaume Cailleau, Ben RussellDu verbrennst mich - Tú me abrasas
E/Arg 2024, Regie: Matías PiñeiroThe Fable
USA/Ind 2024, Regie: Raam ReddyFavoriten
Österreich 2024, Regie: Ruth BeckermannHands in the Fire
Portugal 2024, Regie: Margarida GilIvo
Deutschland 2024, Regie: Eva TrobischMatt und Mara
Kanada 2024, Regie: Kazik RadwanskiSleep with Your Eyes Open
D/Arg/BRA/ TW 2024, Regie: Nele WohlatzSome Rain Must Fall
USA/F/Chi/ SGP 2024, Regie: Qiu YangThe Great Yawn of History
Iran 2024, Regie: Aliyar RastiThrough the Graves the Wind Is Blowing
USA 2024, Regie: Travis Wilkerson
13. Februar 2024, 16:00 Uhr
Berlinale 2024
Berlinale 2024 - Encounters
In der allerjüngsten der „Berlinale“-Schienen gilt auch 2024 wieder: Der Name ist Programm. Die filmische Begegnung im Kino wird hier zum interkulturellen Austausch, der sich in keine vorgefertigten Schablonen pressen lässt.
von
Christian Pogatetz (chrosTV )