Filmkritik zu My Sunshine

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Herzlich-poetisches Kino aus Japan

    Exklusiv für Uncut aus Cannes 2024
    „My Sunshine“ von Hiroshi Okuyama läuft auf den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes in der Sektion „Un Certain Regard“, in der im letzten Jahr die ergreifende Coming-of-Age-Produktion „How to Have Sex“ mein Herz eroberte. Erneut stöbere ich durch das Programm, um den geistigen Nachfolger zu finden. „My Sunshine“, in dem eine Geschichte über ein Mädchen und einen Jungen erzählt wird, die sich beim Eiskunstlaufen näherkommen, entspricht bis dato der gelungensten Produktion aus der Sparte.

    Darum geht’s: Takuya (Keitatsu Koshiyama) ist ein Grundschüler, der nicht gerade beliebt ist. Es liegt in erster Linie an seinem Stottern und der introvertierten und verängstigten Art, die sein Leben prägen. Dass er beim Eishockey immer wieder als Sündenbock hingestellt wird, macht alles nur noch schlimmer. Sakura (Kiara Takanashi) ist eine etwas ältere Schülerin, die von dem Eiskunstlehrer Arakawa (Sosuke Ikematsu) ausgebildet wird. Nachdem Arakawa die Sorgen Takuyas immer stärker mitbekommt, entschließt er sich, beide Schüler zusammenzubringen. In den nächsten Wochen und Monaten wachsen beide immer weiter zusammen und nehmen sich einer Herausforderung an: Sie wollen in einem Turnier für Paar-Eiskunstlauf ihr Talent unter Beweis stellen.

    Ein seidiges Gewand aus Emotionalität und Eindrücklichkeit

    Gar nicht so lange ist es her, als das japanische Drama „Evil Does Not Exist“ in den Kinos lief und meine Begeisterung für das japanische moderne Drama weckte. Beide Filme mögen zwar narrativ gänzlich verschieden ausfallen, doch zeigt sich eine Gemeinsamkeit. Auch hier kann man einmal richtig zur Ruhe kommen und sein Herz für poetisches Kino öffnen, das sich weniger über die Narrative, sondern mehr über die Bilder lesen lässt. Aufnahmen von schneebedeckter Natur und gefühlvolle Kamerafahrten in der Eiskunsthalle kommen dabei fast schon ohne die Figuren aus, doch das alleine wäre auf lange Sicht natürlich etwas öde. Ausgefüllt werden die Bilder fortan von den beiden Kindern, bei denen schon der Name einen Zugang zur Lesung der Figur bietet: Während Takuya so viel wie „zunehmend kultivierend“ bedeutet, steht der Name Sakuras für den Kirschbaum. Direkt werden Erinnerungen an einen anderen Film wach, mit dem ich „My Sunshine“ in mehrfacher Hinsicht vergleiche.

    Die Rede ist von dem Frühwerk Makoto Shinkais, wobei sich der Animationsfilm „5 Centimeters per Second“ am ehesten anbietet. Auch hier geht es um zwei individuelle Welten von Kindern, die mitunter einen ganz unterschiedlichen Takt aufweisen. Disharmonie auflösend, folgt in beiden Werken der Prozess des Zusammenkommens, bis die Figuren irgendwann im selben Takt ticken. Jener Entwicklungsprozess steht so auch in „My Sunshine“ im Mittelpunkt und das gleich in doppelter Ausführung. Auf der einen Seite kommen sich die Kinder mental näher, aber auch auf dem Eis, da ohne harmonische Bewegungen nichts gehen würde. Ich ließ es mir nicht nehmen und schrieb auf Letterboxd den kleinen Kommentar: „So this is what an early Makoto Shinkai would look like if it were a live-action movie.“

    Dass solche kleinen Produktionen nicht selten medial untergehen, wie es auch der Fall bei dem eingangs erwähnten „Evil Does Not Exist“ war, ist nichts Neues. Merkt euch „My Sunshine“ daher unbedingt auf eurer Watchlist vor, sofern ihr ein Faible für kleine, aber feine Produktionen habt. Bis dato wünsche ich „My Sunshine“ am ehesten den prestigeträchtigen „Un Certain Regard“-Preis.
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    (Michael Gasch)
    24.05.2024
    17:06 Uhr