Filmkritik zu Armand

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
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    Über den Schulalltag und dessen moderne Probleme

    Exklusiv für Uncut aus Cannes 2024
    Bleiben wir zu Beginn erst einmal beim deutschen Schulsystem. Dass dies nicht gerade gut aufgestellt ist, ist keine neue Erkenntnis. Dass die Schüler in Hinblick auf Pisa-Studien immer schlechter abschneiden, genauso wenig. Nicht zu vergessen die neuen Herausforderungen, die nicht nur die Digitalisierung und Geschlechtergerechtigkeit umfassen. Das Drama „Armand“, das die Geschichte an einer norwegischen Schule festhält, zeigt ein drittes Problem, mit dem die Schule von heute konfrontiert wird.

    Darum geht’s: Armand ist sechs Jahre alt, besucht eine norwegische Grundschule und hat sich gegenüber einem Mitschüler unangemessen verhalten. Die Mütter der zwei Schüler, Elizabeth (Renate Reinsve) und Sarah (Ellen Dorrit Petersen), werden von der Lehrerin Sunna (Thea Lambrechts Vaulen) eingeladen, um Herr der Lage zu werden und um zu verhindern, dass so ein Fall erneut passiert.

    Als bald klar wird, dass es zu große Zerwürfnisse gibt, schaltet sich der Rektor Jarle (Øystein Røger) ein. Asymmetrische Kommunikation, aber auch der Umstand, dass sich nicht sagen lässt, welcher Schüler die Wahrheit sagt und welcher lügt, sorgen für ein scheinbar unlösbares Dilemma.

    Schuldrama der etwas anderen Art

    Wenn in einem Gerichtsfilm die Figuren zusammenkommen, ist es oftmals schwer, Herr der Lage zu werden. „Die zwölf Geschworenen“ kommt zuerst in Erinnerung, in dem gezeigt wird, wie langatmig und komplex rechtliche Verhandlungen sein können. Angesiedelt im schulischen Kontext, zeichnet auch „Armand“ jene Komplexität und erweitert dies mir einem hochsensiblen Porträt über Kinder-Eltern-Verhältnisse. „So etwas würde mein Sohn nie tun“ heißt es da, ein Spruch, mit dem sich wohl viele Eltern identifizieren können. Dass solche Sprüche der Klärung eines komplizierten Falles an einer Schule nicht weiterhelfen, ist offensichtlich, wodurch sich das Drama, welches allein zwischen den Eltern ausgetragen wird, immer weiter intensiviert.

    Rechtliche Kontexte wie die Unschuldsvermutung ignorierend, folgt eine Dekonstruktion über die Herausforderungen für Eltern, Kinder, zuvorderst aber für Schulen. Wenig überraschend ist die Lehrerin schon nach einer halben Stunde sichtlich überfordert, wodurch sich auch eine kritische Lesung der Ausbildung auf Lehramt ergibt. Pädagogisches Training, Recht und viele weitere Inhalte, die über das Elementarfach hinausgehen, bekommen schließlich eine ebenbürtige Bedeutung zugeschrieben, was das norwegische Drama subtil festhält. Das große Problem dabei: Ein Ungleichgewicht zwischen theoretischem Wissen und praktischen Erfahrungen macht Lehrkräften wohl oftmals einen Strich durch die Rechnung. „Armand“ zeigt auf einer Meta-Eben damit zwei Aspekte ganz deutlich: Erstens: Das universitäre Wissen garantiert nicht, dass Lehrkräfte mit kritischen Situationen umzugehen wissen und zweitens: Einige Tools, um Probleme zu lösen, funktionieren in manchen Fällen einfach nicht, egal wie sehr sich die Beteiligten auch bemühen. Somit steht Wort gegen Wort, was zur Folge hat, dass die Schulakteure und Eltern im Kreis laufen.

    Während die Egos der zwei Mütter unaufhörlich aufeinanderprallen und der Vater des einen Paares links liegen gelassen wird, bietet nicht nur gelungene Authentizität, sondern auch die Erkenntnis, dass alle Beteiligten Teil des Problems und nicht der Lösung sind. Elterliche Zerwürfnisse kommen ohnehin hinzu, die oftmals in der Vergangenheit liegen und den Blick trüben, um eine Lösung zu finden. Dass der kleine Armand derweil zuhause im behütenden Bettchen liegt und sich um nichts Sorgen machen muss, schließlich sind die Eltern als Botschafter in seinem Auftrag unterwegs, setzt dem Ganzen die Krone auf. Die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, beide Schüler in dieses Gespräch mit aufzunehmen, stellt sich die ganze Zeit, wohingegen die Figuren den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Einzig und allein der unnötige künstlerische Touch gen Ende hin, macht „Armand“ für Kritik anfällig.
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    (Michael Gasch)
    23.05.2024
    22:00 Uhr