Filmkritik zu The Balconettes

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Der französischste Film, den man sich nur vorstellen kann

    Exklusiv für Uncut aus Cannes 2024
    French Cinema mag nicht meine Stärke sein und doch muss ich eingestehen, dass mich eine französische Produktion auf den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes beeindruckt hat. Die Rede ist von „The Balconettes“, der eine verrückte Mischung aus Komödie und Horror abgibt. Er gesellt sich damit zu „Kinds of Kindness“, „Emilia Perez“ und dem Horrorfest „The Substance“ hinzu, in denen ebenfalls viel Verrücktheit auszumachen ist.

    Darum geht’s: Ruby (Souheila Yacoub), Elise (Noémie Merlant) und Nicole (Sanda Codreanu) sind blutjung und leben in einer Wohngemeinschaft in Marseille. Zum in den Tag leben gehört bei ihnen auch das Ritual, die Nachbarschaft vom Balkon aus auszukundschaften. In den Blick gerät besonders ein attraktiver, junger Franzose. Eines Tages treffen die vier aufeinander. Es ist der Anfang eines unterhaltsamen Abends. Am nächsten Tag sieht die Welt jedoch völlig anders aus und das nicht gerade besser.

    Noch französischer geht nicht

    Persönlich verbinde ich French Cinema mit diversen Impressionen und Elementen. Sex muss auf alle Fälle dabei sein, langes Schwadronieren, warum ein Paar zusammen sein oder auseinandergehen muss, ebenso. Nacktheit sowieso, nicht zu vergessen die konstante Betonung, wie wichtig Kunst sei, unabhängig davon, ob es sich um ein paar krumme Pinselstriche oder surreale Ergüsse handelt. All das kommt in „The Balconettes“ bereits in den ersten zehn Minuten zur Genüge vor, welches fortan maximal ausgelotet wird.

    Französisches Kino beherrscht aber nicht nur das romantische Genre bestens, sondern auch Horror in den unterschiedlichsten Variationen. Ohne zu viel zu verraten, kommt Gewalt in „The Balconettes“ auch nicht zu kurz, im Gegenteil. Die Kriterien, mit denen sich das Standardrepertoire im French Cinema abstecken lässt, sind also alle erfüllt. Das beste Beispiel: Während die Frauen in ihren kunstvoll eingerichteten Appartement wegen etwas „Unschönen“ herumschreien, klopft die Hausverwaltung energisch an der Tür. Nachdem sich kurz ein Schock einstellt, täuscht eine Dame so lautstark wie nur möglich einen Orgasmus vor. Ist das nicht der Inbegriff von French Cinema?

    Weitere Filmeinflüsse kommen hinzu, an die „The Balconettes“ hin und da erinnern. „Das Fenster zum Hof“ ist offensichtlich, wenn die Damen das Geschehen im Nachbarblock beobachten. Diese und weitere stilistische wie narrative Referenzen, beispielsweise auch in Hinblick auf Edgar Wrights „Last Night in Soho“, sind jedoch nur von kurzer Dauer. Vielmehr liegt der Fokus augenscheinlich auf dem Unterhaltungsfaktor, den Regisseurin Noémie Merlant schwarzhumorig ausschlachtet. Dem nicht aufzuhören wollenden Gelächter meiner französischen Sitznachbarinnen nach zu urteilen, kam das extremst gut an. Auf meine sarkastische Frage „So you liked it?“ bekam ich zu hören „That’s why I love french cinema!”

    Dass mein Humor oftmals gänzlich anders ausfällt, als es dem französischen Humor entspricht, spielt vielen Filmen nicht in die Karten. Mit „The Balconettes“ bin ich dem French Cinema jedoch ein gutes Stück nähergekommen, der guten Balance aus schwarzem Humor und Blutigkeit sei Dank. Nicht zuletzt lag es aber auch daran, dass gefühlt zwei Drittel des Publikums konstant in Gelächter ausbrach und das restliche Drittel automatisch mitzog. „The Balconettes“ ist in der Gesamtheit damit einer dieser Filme, die deutlich davon profitieren, wenn man sie in einer großen Gruppe zusammen schaut.
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    (Michael Gasch)
    21.05.2024
    19:56 Uhr