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    Konventionell im Unkonventionellen: Handzahmes Bio-Pic einer wilden Ausnahmekünstlerin?

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    Immer wieder Körper, auch Gesichter. Mal abstrakt gehalten, mal gegenständlicher. Meist in prächtigen Farben. Irgendwo provokant und feministisch. Ungefähr so könnte man das Oeuvre der österreichischen Malerin Maria Lassnig beschreiben. Aber beim Versuch, ihr Werk literarisch zu verbildlichen, kann man vermutlich nicht anders, als zu versagen. Lassnig malte nämlich nicht die Körper, die sie sah (also ein Abbild der Wirklichkeit), sondern die Körper, die sie fühlte und empfand.

    International sowie landesweit haben Maria Lassnig und ihr modernes Schaffen hohen Stellenwert in der Kunstwelt. Wenig überraschend sollte es daher sein, dass sich die Filmemacherin Anja Salomonowitz mit ihrem Film „Mit einem Tiger schlafen“ – benannt nach einem Gemälde von Lassnig – dem Leben der Ausnahmekünstlerin widmet. Von ihrer frühen Kindheit in der Steiermark und später in Kärnten, über ihre kurze Zeit als Mallehrerin, ihre radikale Auflehnung in avantgardistischen Kreisen Wiens, sowie ihren Lebensabschnitten in Paris und New York bis zu ihrem Ableben steckt der Film ein ganzes Leben ab. Die Zeiten übergreifend porträtiert der Film Lassnig und ihren Zugang zur Malerei als Kunstform, die Beziehung zu ihrer Mutter und die konstanten Herausforderungen von außen, die es ihr nicht erlauben, sich in der Kunstbranche zu etablieren und zugleich komplementär stehen zu ihrem Drang, sich standhaft nicht anzupassen.

    Die filmische Biografie ist als Bio-Pic ein verbreitetes Genre, das seine Konventionen vom Aufstieg und Fall des jeweils behandelten Menschen bereits zur Genüge erkundet hat. Besonders sind dann eben jene Genrevertreter, die nicht einfach eine Biografie runterrattern, sondern sich mit den Stilmitteln der Filmkunst der thematisierten Person annähern. Salomonowitz wählt zweiteren Ansatz. So ist die Narrative nicht chronologisch aufgebaut, sondern fragmentarisch strukturiert. Immer wieder springt der Film von einer früheren Zeitebene zu einer späteren und wieder zurück. Auch surreale Elemente, die nicht unbedingt geklärt werden, häufen sich. Ganz prägnant ist dabei die Hauptdarstellerin im Fokus. Maria Lassnig wird verkörpert von Birgit Minichmayr – und zwar zu allen Alterszeitpunkten, egal ob mit 6, 14, 64 oder 94 Jahren. Das soll für Lassnigs zeitlose Seele stehen. Aber zugegeben entsteht auch Verwirrung, wo man sich zeitlich entsprechend befindet.

    Generell stellt sich die Frage, ob die Intentionen der filmischen Annäherung überhaupt aufgehen? Enttäuschend muss ich feststellen: Nur bedingt. Der Film hat gewiss zähe Stellen, die sich ziehen können. An und für sich wäre das kein Problem, wenn er sich Zeit nimmt, um etwas auszusagen, zu visualisieren oder gehaltvolles zu machen. Stattdessen muss man sich mit hölzernen Dialogen begnügen und der viel zu oft stattfindenden Empörung Lassnigs, sie wäre die einzige, die ‚Kunst‘ versteht und alle anderen falsch liegen. Birgit Minichmayr verkörpert die Hauptfigur je nach dargestelltem Alter mal mehr, mal weniger gut – wobei daran zu zweifeln ist, dass es an ihr liegt. Andere Nebendarsteller:innen hingegen spielen auf einem Level, als handle es sich bei „Mit einem Tiger schlafen“ um einen Studentenfilm. Die surrealen Elemente von plötzlich umfließenden Wasser oder Ameisen, die Gemälde tragen, wirken dann doch gezügelt – ganz im Gegensatz zur Künstlerin Maria Lassnig. Durch den Anspruch des Films, etwas Besonderes zu sein, erscheint einem das Gesehene doch schon prätentiös.

    Wird der Film Maria Lassnig gerecht? Viel erfährt man nicht über sie, aber beim experimentell-anmutenden Ansatz ist das in Ordnung. Trotzdem sollte ein gewisses Gefühl für Lassnigs Kunst dem Film inhärent sein. Teile ihrer vielen Gemälde werden zwar immer wieder in Zwischensequenzen eingeblendet – mit weißem Rahmen, damit man sich voll konzentrieren kann – aber sie wirken wahllos und werden zu kurz gezeigt, um sich wirklich darauf einlassen zu können. Ebenfalls ihr Zugang zur Kunst – wie sie vorgeht, was sie erreichen will – das wird, wenn überhaupt, nur angesprochen, aber nie wirklich gezeigt. Immerhin prägte sie die sogenannte „Body Awareness“ über den eigenen Körper zu reflektieren und die europäische Informel-Kunstrichtung, die sich aus der abstrakten und expressionistischen Malerei entwickelt, massiv. „Mit einem Tiger schlafen“ vermittelt dieses relevante Kunstverständnis kaum und verdeutlicht nicht, wie wichtig es Lassnig war, den eigenen Körper zu fühlen und empfinden. Angesichts dessen wirkt der Film eben überraschend gefühlskalt und wenig mit körperlichen Empfindungen arbeitend. Mehr Mut zur visuellen Annäherung des filmischen Bilds an Lassnigs Gemälde hätte gutgetan, sei es durch abstraktem Color-Grading oder sonstigen Möglichkeiten.

    Dadurch lässt mich „Mit einem Tiger schlafen“ doch enttäuscht zurück. Ein Hang zu wirklich unkonventionellen Ansätzen wäre der Persona Maria Lassnig sicherlich gerechter geworden. Oder man hätte den sicheren Weg wählen und ein klassisches Bio-Pic filmen können. In diesem Falle wirkt „Mit einem Tiger schlafen“ inkonsequent. Wo Lassnig mit einem Tiger schläft, kuschelt der Film eher mit einem Kätzchen.
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    (Tobit Rohner)
    23.02.2024
    13:27 Uhr
    First milk, then Cornflakes
    just like my movie taste.

    Betreibt den Podcast @Filmjoker

    Aktiv auf Letterboxd @Snowbit