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  • Bewertung

    Vorhersehbares aber intensives Küchendrama

    Exklusiv für Uncut vom Karlovy Vary Film Festival
    In der Küche zu arbeiten kann die Hölle sein. Das weiß auch Regisseur Philip Barantini, der seine eigenen Erfahrungen im Gourmetrestaurant in dieser Tragikomödie verarbeitet. Die Hauptrolle übernimmt Charakterdarsteller Stephen Graham als Chef Andy Jones, dessen private Probleme seinem renommierten Restaurant zu schaden beginnen. Sein Film lief am Karlovy Vary Film Festival in der Crystal Globe Competition.

    Eindrucksvoll gedreht mit einer langen Einstellung, folgt die Kamera Andy, wie er zur allabendlichen Schicht in seinem Londoner Restaurant auftaucht. Ein Telefonat, dessen Inhalt der Zuschauer nur mithilfe seiner Äußerungen entschlüsseln kann, lassen erahnen, dass er kürzlich getrennt, wenig präsent im Leben seines Kindes, und gerade im Umzugsstress ist. Im Restaurant wird dieser Umstand nicht besser. Gerade an diesem Tag macht ein Gesundheitsinspektor die Runden, der sich vor allem an der schlampigen Buchhaltung Andys stößt und das Restaurant herabstuft. Seine rechte Hand Carly (Vinette Robinson) spielt mit dem Gedanken woanders einen Job anzunehmen, Koch Freeman (Ray Panthaki) attackiert seine Führungsqualität und sein Team (u.a. Malachi Kirby und Izuka Hoyle) ist wenig eingespielt.

    Die Missstimmung in der Küche wird noch verschlimmert durch maitre d‘ Beth (Alice Feetham), die wenig Ahnung vom Job hat, das Lokal überbucht, liebend gerne den Gästen Off-Menu Wünsche erfüllt und generell zu viel Wert auf Social Media legt. Sie ist es auch, die Andy eröffnet, dass sein ehemaliger Boss, TV-Star und Koch Alastair Skye (Jason Flemyng) an diesem Abend mit einer Restaurantkritikerin (Lourdes Faberes) im Gepäck auftauchen will. Dieser gibt sich zwar als wahrer Cheerleader für das Lokal, doch Andy ist sich nicht sicher, ob da nicht doch eine konfliktreichere Absicht hinter dem Besuch steckt.

    Das Chaos in Andys Leben wandert im Laufe des Abends immer mehr auf den Restaurantbetrieb über. Ob das nun seine geistige Abwesenheit ist, die Probleme die sich ergeben und die er ungeniert in Schimpftiraden an den jungen Angestellten ablässt, oder Probleme mit den Kunden. Ebenso ein unmissverständliches Zeichen ist die weiße Trinkflasche, die er stets mit sich führt, und von der klar ist, dass sie nicht nur Wasser enthält. Es ist klar, das Business hängt am seidenen Faden, und man fühlt mit jenen, die bereits überlegen das sinkende Schiff zu verlassen und Andy seinem Schicksal zu überlassen.

    Barantini widmet sich als Veteran aber nicht nur den internen Konflikten des Personals, er stopft seinen Film auch bis zum Rand voll mit den klassischen Fine-Cuisine-Standardsituationen. Ob nun die angeblichen Influencer, die das bereits erwähnte Sondermenü wollen, der rassistische Gast, der keine schwarze Bedienung will, dem zurückgeschickten „nicht fertig gebratenen“ Essen, den vorglühenden Touristen oder die Frau mit der Nussallergie. Der Film lässt keine Gelegenheit aus, hier ein ganzes Arsenal an „Checkhov’s Gun“ loszulassen und als Zuschauer weiß man daher auch schon recht früh, was sich in diesem Film alles ereignen wird.

    Dennoch schafft es Barantini, dem Film ein konstantes, dichtes, mit Adrenalin vollgepacktes Tempo zu geben, dass nicht von ungefähr wie eine der vielen dramatischen Kochshows aussieht, die man aus dem Fernsehen kennt. Ob Barantini mit dem Ende eine zufriedenstellende Entscheidung getroffen hat, muss der Zuschauer jedoch selbst entscheiden.
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    (Susanne Gottlieb)
    06.10.2021
    20:43 Uhr
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