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  • Bewertung

    Geschichten des Alltags

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2018
    Es ist ein tägliches Ritual. Blauer Kittel an, Hemdärmel über die Tattoos gezogen, Cutter in die Tasche gesteckt. Dann ist Christian bereit seinen Arbeitstag in einem Großsupermarkt in der ostdeutschen Provinz zu starten. Basierend auf einer Kurzgeschichte von Clemens Meyer aus „Die Nacht, die Lichter“ erkunden er und Regisseur Thomas Stuber das Leben dreier Supermarktangestellter, denen das Leben in der trostlosen Gegend mit den riesigen Autobahnen weniger bieten kann als die enge Gemeinschaft, die sie in den neongrellen Schluchten zwischen den riesigen Verkaufsregalen geformt haben.

    In diesen Gängen, die sich wie ein riesiges Labyrinth um die Angestellten auftürmen, und in die sich auch nie ein Sonnenstrahl verirrt, stapelt Christian (Franz Rokowski) Getränkekisten, fährt Gabelstapler, raucht mit Kollege und Mentor Bruno (Peter Kurth) am Klo und umwirbt die mysteriöse Marion (Sandra Hüller) aus der Süßwarenabteilung, die unglücklich verheiratet ist. Die Arbeitsabläufe sind monoton, das eigene Leben wenig aufregend, daher ist das Zwischenmenschliche umso mehr gefragt. Wenn die Angestellten in ihre kleinen unterhaltsamen Abteilungskriege verfallen entsteht Situationshumor, der einen durch seine elementaren Bestandteile Wahrheit und Schmerz becirct, und weniger ein gut konstruierter Schenkelklopfer. Diesen Humor braucht der Film auch, den der geruhsame Status Quo der Angestellten wird in der zweiten Hälfte noch durch eine Tragödie überschattet.

    Stuber wählt immer wieder eine neue Perspektive, aus denen Christian, Bruno und Marion aufeinandertreffen und lässt sie durch die Weiten des Supermarktes irren. Das Labyrinthische, dieser Prozess des Irrens und Überwindens von Hindernissen spiegelt sich auch in den Leben seiner Figuren wieder. Christian, der eine dunkle Vergangenheit hinter sich lassen muss. Marion, die Prinzessin der weiblichen Angestellten aber daheim misshandelt vom Mann und Bruno, der sich mit seinem Status als „Wendegewinner“ nie anfreunden konnte und seinen Tagen als LKW-Fahrer nachtrauert.

    Ein typischer „Wendefilm“ ist der Film trotzdem nicht. Der Film ist kein politisches Statement, kann sich aufgrund seines Settings in Sachsen aber auch gewissen Elementen davon nicht entziehen. Stuber geht es um die Charaktere, er betont bewusst die Monotonie, die diesen Job auszeichnet, scheut aber auch nicht davor im nächsten Moment mit dem Dolley durch die Gänge zu rollen, und den Hallen zu den crescendohaften Tönen von Schuberts Donauwalzer etwas Majestätischen zu verleihen. Es ist ein eigenes kleines Reich, auf das er sein Kameraauge wirft, ein Mikrokosmus in dem Allerweltsfiguren auf einem Haufen zusammengepfercht sind. Eine menschliche Gemeinschaft und letzte Bastion in einer Gegend, die am Absterben ist.
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    (Susanne Gottlieb)
    24.02.2018
    18:57 Uhr
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