Filmkritik zu On the Milky Road

Bilder: Filmladen, Weltkino Fotos: Filmladen, Weltkino
  • Bewertung

    Eine turbulente und fantasievolle Liebesgeschichte auf der Flucht vor dem Krieg

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Es sind die Liebe zum Leben und ein unerschütterlicher Optimismus, die diesen Film ausmachen. Und dabei geht es nicht nur um das Leben der Menschen. Tiere spielen von Beginn an eine wichtige Rolle: Als die Kumpanen, Beschützer, aber auch Gefahren für die Hauptperson (Emir Kustirica). Sie sind fabelhaft choreographiert in starken symbolischen Bildern aus Himmel, Erde, Blut und Wasser. Es ist ein Esel, der unseren tapferen Helden furchtlos durchs Kugelgewitter des Kriegs in Ex-Jugoslawien trägt, um die frischgemolkene Milch zu liefern. Es scheint, als hätten sie ein unsichtbares Schild um sich gespannt, denn er macht keinerlei Anstalten, sich in Sicherheit zu bringen, ausser, dass er seinen alten Regenschirm aufspannt, während die Soldaten hinter ihren Steinmauern zittern.

    Was für eine Szenerie um sich zu verlieben ¬– doch es scheint alles schon vorbestimmt: Die überdrehte Nachbarin, die sich gemeinsam mit ihrer Mutter in regelmäßigen Abständen mit einem eigenwilligen Uhrwerk herumschlagen muss, plant eine doppelte Hochzeit für sich selbst mit dem Milchmann, und für ihren im Krieg kämpfenden Bruder mit einer eigens dafür entführten, mysteriösen Italienerin (Monica Belucci).

    Man merkt bald, das alles hat gewohnte Kusturica-Manier: der Rhythmus und das Tempo, in dem diese Liebesgeschichte in einer Zeit des Krieges ein Zeichen des Friedens setzt. Rauschende Feste in illustren Gärten mit einer Balkanband, in der unser liebgewonnener Milchmann am Cimbalon sein bestes gibt und dabei von der selbstsicheren und schönen Nachbarin umtanzt wird, lassen die Härte des Kriegs fast vergessen. Die unbändige Musik des Balkans zieht sich durch den ganzen Film und lässt einen regelrecht mittanzen, lachen, weinen, und hoffen. Wenig später werden sogar tatsächlich die Waffen niedergelegt. Was natürlich nicht heißt, dass jetzt alles friedlich verläuft. Da nun der langersehnte Bruder heimkehrt, ist die Zeit der Hochzeit gekommen. Doch so leicht fällt es nicht, denn auch die Italienerin hat ein Auge auf den Nachbarn geworfen und ihn mit ihrem Charme verzaubert. Es bleibt den beiden nichts anderes übrig, als gemeinsam durchzubrennen, noch dazu als eine feindliche Einheit mit Hubschraubern einfällt und anfängt, rücksichtslos alles zu zerstören.

    Die Flucht: Auch ein Lieblingsmotiv von Kusturica. Man denke zurück an Meisterwerke wie „Schwarze Katze, Weißer Kater“ oder „Underground“. Es ist eine turbulente Flucht, auf der sich herausstellt, wie gut Emir Kusturica und Monica Belucci sich gegenseitig fordern und in ihren Rollen am Rande des Wahnsinns ergänzen. Während die geliebte Italienerin ihre Schönheit als ihr Unglück bezeichnet, ist das Unglück der Hauptperson seine Freundlichkeit. Ein sehr vielschichtiger Charakter, der durch viel Pech in seinem Leben eine gebrochene aber glückliche Natur erlangt hat. Verfolgt von zwei authentisch naiven Soldaten mit angsteinflößenden Waffen übersteigert sich der Weg der beiden Liebenden von einer Naturidylle, zur nächsten tierischen Begegnung ins immer noch Unglaublichere und ließ mich zwischendurch sogar etwas zweifeln, ob ich den Geniestreichen Kusturicas voll und ganz folgen kann.

    Doch es bleiben noch genug geniale Momente unerzählt, die es zu einem absolutes Muss machen, sich „On the Milky Road“ anzusehen, denn: es wird einem Hören und Sagen vergehen, so überwältigend ist dieser Film.
    lucyvontrier_f4cd20cca7.jpg
    (Luzia Johow)
    18.10.2016
    09:57 Uhr