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    Import/Export

    Exklusiv für Uncut aus Cannes 2007
    Ulrich Seidls selbst produzierter Film ist eine Geschichte von zwei jungen Menschen, die eine Reise machen - aus der Ukraine nach Österreich und umgekehrt! Die Hoffnungslosigkeit ist der Motor für die Entscheidungen, denn um existieren zu können braucht man mehr als nur ein Stück Fett bzw. Vodka im Kühlschrank. Das junge Mädchen, dargestellt von Ekateryna Rak (erste Rolle in einem Film, kommt aus dem Theater), landet als Aufräumerin in einer Geriatrie, der verschuldete junge Mann, verkörpert von Paul Hofmann (über 500 Schauspieler wurden für diesen Part gecastet), macht sich mit Kaugummi- und Glücksspielautomaten auf dem Weg in den Osten.

    Bevor sich Olga (Rak) auf dem Weg in den goldenen Westen macht, arbeitet sie in der Heimat zuerst als Krankenschwester unter sehr schlechten Bedingungen. Um Geld zu verdienen beginnt sie auch als "Internetstripperin" zu arbeiten, wo der Kunde meist ganz weit weg ist und vor laufender Kamera teilweise aggressiv seine perversen sexuellen Wünsche äussert. Diese Arbeit ist in vielen Ländern Osteuropas die einzige Möglichkeit Geld zu verdienen um sich den Traum eines besseren Lebens zu verwirklichen. Der Internetsex ist eine Realität der globalen technischen Sexualität, über die es zu sprechen gilt. Alles andere würde für Seidl einer Tabuisierung gleichkommen.

    Wie Seidl bei der Pressekonferenz betont, handelt es sich bei seinem Cannes-Beitrag um einen Film über eine Reise, dass sich auch auf das Drehbuch auswirkte, da man sich der Situation anpasste und Neues, Besseres während der Dreharbeiten hinzufügte. Ursprünglich war es geplant, dass sich die zwei Hauptdarsteller an der Grenze treffen, aber der Film funktioniert auch so. Humoristische Szenen sind wichtig, deshalb bemüht sich Seidl immer die Schnittstelle zwischen Tragödie und Komödie zu finden.

    Auf die Frage einer Journalistin, die sie sich eine gesteigerte Gewalttätigkeit nach HUNDSTAGE nicht mehr vorstellen konnte und mit IMPORT EXPORT dies für sie aber eintrat, welche Grenzen für Seidl gelten, antwortete er, dass es keine Grenzen gäbe. Seidl weiß, was er von den Darstellern verlangen kann. Im Film geht es um Grenzen bzw. Grenzerfahrungen und letztendlich ist dieser Film ein anderer Film als HUNDSTAGE. Es sind zwei Geschichten aus Europa, die gezeigt werden - zwei junge Menschen auf der Suche nach Verwirklichung um eine Stellung im Leben zu finden. Die Schauspieler werden aufgefordert spontan zu sein und bekommen meist nicht mal das Drehbuch in die Hand um ihren Rollen Authentizität zu verleihen. Für Michael Thomas (Stiefvater) ist diese Art des Filmemachens die Motivation für den Schauspieler. Das Stichwort Authentizität ist auch eines der wichtigsten Herausforderungen am Film, damit die Zuschauer in das Geschehen hineingezogen werden. Die Mischung aus professionellen und nicht professionellen Darstellern ist das Erfolgsgeheimnis. Auf die Frage von UNCUT welche kommerziellen Erwartungen Seidl mit seinem neuesten Werk hat, antwortet er, dass er hofft, dass er seinen Film in so viele Länder wie möglich verkaufen kann. UNCUT hatte auch die Ehre die letzte Bemerkung bzw. Frage bei der Pressekonferenz zu stellen, nämlich betreffend der Szene im Arbeitsmarktservice, wo eine Südosteuropäerin von Sterman geschult wird sich am Telefon zu artikulieren. Reicht es nicht aus die Arbeit zu verrichten, muss man auch perfekt Deutsch können? Seidl bestätigt, dass die Szene in einem echten Arbeitsamt gedreht wurde und das alles authentisch sei.

    IMPORT EXPORT ist ein Film, der dem Zuschauer die Augen öffnen soll und ihm zeigt, dass es Menschen gibt, die tagtäglich um ihre Existenz kämpfen und aus schwierigen Situationen kaum rauskommen, da man in die nächste schwierige Situation gerät. Kann mir gut vorstellen, dass einige Szenen in der Geriatrie für einige Zuschauer schwer zu verdauen sein werden, aber wie Seidl anmerkt - diese Menschen sterben nicht an Pflegenotstand, sondern an Einsamkeit - dem habe ich nichts hinzuzufügen!
    leandercaine_0fc45209c9.jpg
    21.05.2007
    23:58 Uhr