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9 Bewertungen
90.6% Bewertung
  • Bewertung

    Das wahre Leben

    Schonungslos bietet der Film Einblicke in eine nach außen vermeintliche perfekte Liebesbeziehung. Nach dem plötzlichen Tod ihres Lebensgefährten wird das Leben der Hauptdarstellerin vor den Augen der Geschworenen, Gerichtskiebitzen und ihres Sohnes in tausend Teile zerlegt. Ständig schwankt der Zuseher zwischen den beiden Parteien, und wird am Ende mit seinem eigenen persönlichem Urteil alleine gelassen. Ein Film, der sich wie der 50Cent-Song ins Hirn der Zuseher brennt.
    Sandra Hüller brilliert wieder einmal zwischen Femme fatale und liebender Mutter, was schon allein die zahlreichen Auszeichnungen rechtfertigt.
    30.12.2023
    11:33 Uhr
  • Bewertung

    Commentary Poem

    Ein Schrei der Töne, Lawinen im Klang,
    Blendendes Weiß, ein Multiversum-Gesang.
    Hirne zermatschen, im Chaos verstrickt,
    Ein Wirbel von Eindrücken, der die Sinne entzückt.
    Mir hat's gefallen, im Sturm der Musik,
    Ein Gatsch aus Gedanken, ein bunter Blick.
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    12.11.2023
    22:49 Uhr
  • Bewertung

    Chronik eines Todes

    War sie es? Oder doch nicht? Macht man sich verdächtig, wenn man sagt: Ich war es nicht…
    Der Gewinner der goldenen Palme 2023 arbeitet heraus, was die Wahrheit sein kann. Nicht nur der junge Mann im Film muss sich entscheiden, sondern auch das Publikum.
    Spannend!
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    07.11.2023
    08:25 Uhr
  • Bewertung

    Die Wahrheit in der Wahrnehmung

    Manche sagen, Sandra Hüller sei die Königin von Cannes gewesen. Ungekrönt zwar, aber dennoch. In zwei Filmen war sie heuer vertreten, einer davon hat die Goldene Palme kassiert. Die Rede ist von Anatomie eines Falls – ein Titel, der in der deutschen Übersetzung herrlich zweideutig daherkommt. Entweder ist es besagter Sturz des Ehemanns aus dem Fenster (oder vom Balkon), oder es ist der Fall an sich, dessen Zutragen niemand beobachtet hat und für ewig ein Geheimnis bleiben wird – oder doch nicht? Ob Königin oder nicht – die deutsche Schauspielerin, die 2006 mit dem Exorzismus-Drama Requiem reüssierte und genauso wie Peter Simonischek mit Toni Erdmann international Aufmerksamkeit erlangte, gibt sich unprätentiös, authentisch und spart sich den ganzen Glamour. Wenn sie spielt, dann haben ihre Rolle etwas unverwechselbar Natürliches, weit weg von verkrampftem Method Acting oder sonstigen Spielereien. Sowas nennt man Naturtalent, und das sieht man. Genau diese schauspielerische Handschlagsqualität dürfte auch Justine Triet bewundert haben. Anatomie eines Falls ist nicht ihre erste Zusammenarbeit mit Hüller – in Sibyl – Therapie zwecklos gab diese eine entnervte Regisseurin, und zwar mit Hingabe. Nun aber liegt der Fokus ganz auf ihr – und dem phänomenalen Milo Machado Graner, ihrem weitaus jüngeren Schauspielpartner, der Filmsohn Daniel verkörpert, welcher mit vier Jahren aufgrund eines Unfalls fast das Augenlicht verlor.

    Schauplatz des Kriminaldramas – ich würde den Film mal als solchen grob verorten – ist die ganze breite Bühne für einen Whodunit-Krimi, wie ihn Agatha Christie oder Patricia Highsmith wohl schreiben würden: Ein Chalet irgendwo in den tiefverschneiten französischen Alpen nahe Grenoble. Bewohnt wird dieses seit nicht allzu langer Zeit von Schriftstellerin Sandra Voyter, ihrem Ehemann Samuel und besagtem Spross, dem sehtechnisch eingeschränkten Daniel, dessen bester Freund wohl Hund Snoop scheint, der mehr mitbekommt als Hundebesitzern vielleicht lieb sein könnte. Eines Tages lädt Sandra eine Studentin zum Interview, doch dieses muss frühzeitig abgebrochen werden, da Samuel in provokanter Rücksichtslosigkeit alle Anwesenden mit lautstarker Musik zwangsbeschallt. Kurze Zeit später verlässt auch Daniel für eine Runde mit dem Hund das Haus, um bei seiner Rückkehr seinen Vater tot vor dem Haus liegend vorzufinden. Ein Sturz entweder aus dem Dachgeschoß oder aus dem zweiten Stock, allerdings könnte das Schädel-Hirn-Trauma auch durch einen Schlag auf den Kopf verursacht worden sein. Sandra gerät unter Mordverdacht, hat aber einen alten Bekannten an ihrer Seite, der als Anwalt den Fall sogleich übernimmt. Was sich in den nächsten Wochen und Monaten entspinnt, ist ein lupenreiner Indizienprozess, der zwar auch den Hergang des Unglücks aus verschiedenen Perspektiven rekonstruiert, viel eher aber in den sozialpsychologischen Gesamtzustand eines familiären Biotops eintaucht, um daraus Schlüsse für die Wahrheit zu ziehen.

    Genau hier verkündet Justine Triet ordentlich Einspruch. Für sie ist Wahrheit nichts, was anhand eines Justizprozesses ans Tageslicht kommt. Dort geht es um die Kraft der Überzeugung, die bessere Show, das Ehestmögliche, doch niemals um den tatsächlichen Fakt. Viel zu viele Blickwinkel treffen aufeinander, subjektive Wahrnehmungen und damit einhergehende Interpretationen, für dessen Tatsache man sich, wie es im Film auch heisst, entscheiden muss. Anatomie eines Falls mutet zwar an wie ein Gerichtssaaldrama à la Zeugin der Anklage, ist es aber nur sekundär. Triet arbeitet nicht mit plakativen Wendungen, die fürs Eventkino eines Knives Out-Vehikels vermutlich hilfreich wären. Ihr Film ist kein oberflächliches Entertainment, sondern ein aus brillanten, straffen, von unnötigen blumigen Worthülsen befreiten Gesprächsprotokollen errichtete Rekapitulation eines tatsächlichen Zustandes zwischen Frau, Mann, Kind und Hund. Wie sehr trugen Streit, Misstrauen und Geheimnisse zum Geschehen eines Unglücks bei, das alles sein könnte: Mord, Totschlag, Unfall oder Selbstmord. Lässt sich aus diesem Unglück die Verantwortung eines kurz vor der Dysfunktion stehenden Zusammenlebens festmachen? Dabei geht es Triet weder darum, mit ihrem Cannes-Sieger dem Kino mit wuchtiger oder vielleicht gar verstörender Inszenierung gerecht zu werden. Ihr Film wird von Worten getragen, von Missverständnissen und Auslegungen. Minutenlang, wenn nicht länger, wird Sandra Hüller einvernommen. Und wir hängen an ihren Lippen, auch an den Lippen des jungen Daniel und an denen des Staatsanwalts. Schon längst geht es uns nicht mehr um den Fall an sich, sondern um die Wahrheit einer Beziehung, die es letztlich einfach niemals geben kann, da stets ein dritter oder vierter fehlt, um sie objektiv einzuordnen. Und selbst da fehlt diesem die nötige Biografie dieser Dreisamkeit, und hätte er sie, wäre er längst wieder Teil dieses Karussells aus Glauben und Interpretation, eigener Weltsicht und fehlender Weitsicht.

    Der einzige Wermutstropfen: Anatomie eines Falls hält emotional auf Distanz, ist weder packend noch aufwühlend. Dafür aber pragmatisch und akkurat komponiert. In höchster Konzentration, die niemals ermüdet, folgt man einem ganz speziellen, lebendigen Hörfilm, in der sowohl die Diskrepanz unterschiedlicher Sprachen eine weit wichtigere Rolle spielt als das Visuelle. Es ist das Gefühl, es ist die Art, wie etwas gesagt wird, um sich daraus ein Bild machen zu können. Das vorgegebene ist dabei nicht wichtig.



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    06.11.2023
    18:24 Uhr
  • Bewertung

    Rätsel, Lügen, Täuschung und ein toter Ehemann

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Der französische Film „Anatomie eines Falls“ von Justine Triet, der die Goldene Palme in Cannes gewonnen hat, verwebt auf intelligente Weise die Genres Krimi, Gerichtsfilm und Drama miteinander. Der Film erzählt die Geschichte eines deutsch-französischen Ehepaars, Samuel und Sandra, die mit ihrem sehbehinderten Sohn Daniel und dessen Blindenhund Snoop in den Alpen in Grenoble leben. Dieses scheinbar idyllische Setting wird jedoch schnell von einem mysteriösen Ereignis überschattet.

    Die Handlung des Films beginnt mit einem Interview, bei dem Sandra, eine erfolgreiche Romanautorin, zu Hause befragt wird. Doch die Idylle wird gestört, als ihr Ehemann Samuel im Dachgeschoss so laut Musik hört, dass das Interview abgebrochen werden muss. Als Daniel von einem Spaziergang mit seinem Hund zurückkommt, findet er den leblosen Körper seines Vaters, der auf tragische Weise vom Dachgeschoss gestürzt ist. Seine Frau Sandra wird des Mordes verdächtigt.

    Der Kern des Films dreht sich um die Frage, ob es sich bei Samuels Tod um einen Unfall, Suizid oder Mord handelt. Dabei entfaltet sich vor den Augen der Zuschauer eine komplexe Geschichte voller Rätsel und Geheimnisse. Die Figuren in „Anatomie eines Falls“ strahlen Authentizität aus, und das hervorragende Schauspiel verleiht der Handlung Glaubwürdigkeit und Tiefe.

    Während die Ermittlungen voranschreiten und die Anwälte, sowohl die Verteidigung als auch der Staatsanwalt, nach Beweisen und Motiven suchen, kommen die dunklen Geheimnisse zwischen Samuel und Sandra ans Tageslicht. Eifersucht, Trauma, Vergangenheitsbewältigung, Eheprobleme und Egotismus werden enthüllt und fügen der Handlung eine tiefere Ebene hinzu.

    Beeindruckend ist die Art und Weise, wie der Film Informationen enthüllt. Statt sie dem Zuschauer auf dem Silbertablett zu servieren, werden sie nach und nach preisgegeben. Dieser Ansatz trägt dazu bei, die Spannung konstant aufrechtzuerhalten und das Interesse des Publikums zu wecken. Das Drehbuch ist brillant konstruiert und die Inszenierung des Films meisterhaft.

    Ein Höhepunkt in der Gerichtsverhandlung, bei der der blinde 11-jährige Sohn Daniel als Zeuge aussagen muss. Hier wird er mit der harten Realität des Rechtssystems konfrontiert, das eine scharfe Trennlinie zwischen Gerechtigkeit und Moral zieht. Diese Szenen zeigen die moralischen Konflikte und ethischen Abgründe auf, die sich im Laufe des Films immer weiter vertiefen.

    „Anatomie eines Falls“ zeichnet ein psychologisches Porträt, das mit cleveren Twists und geschickt platzierten Enthüllungen den Film lebendig und fesselnd gestaltet. Er zwingt das Publikum, darüber nachzudenken, wie wir uns auf Worte und Rhetorik verlassen, um Ereignissen einen Sinn zu geben, oder wie wir Sprache und Situationen zu unserem Vorteil manipulieren können.

    Die Hauptfigur des Films, die Schriftstellerin Sandra, trägt zur faszinierenden Komplexität des Films bei. Ihre Worte und Handlungen lassen uns zweifeln, wie viel von dem, was sie sagt, wahr ist, und wie viel Fiktion. Der Film spielt geschickt mit dem Vertrauen des Publikums in die Protagonistin und schafft so eine zusätzliche Ebene der Unsicherheit.

    In „Anatomie eines Falls“ wird deutlich, dass wir den Anwälten und der Justiz nur so viel Vertrauen schenken können, wie wir angesichts ihrer Berufe bereit sind. Der Staatsanwalt, der einen persönlichen Rachefeldzug gegen die Angeklagte führt, stützt sich oft auf Vermutungen und Spekulationen, anstatt auf handfeste Beweise.

    Der Film bringt faszinierende Aspekte von Wahrheit vs. Fiktion, Vertrauen vs. Misstrauen und erzählten Geschichten vs. tatsächlichen Ereignissen zum Vorschein. Die Frage, wie der Mann gestorben ist, bleibt bis zum Schluss offen, und der Film zwingt das Publikum dazu, sich mit den verschiedenen Versionen der Wahrheit auseinanderzusetzen.

    „Anatomie eines Falls“ ist ein psychologisches Meisterwerk, das die Zuschauer bis zur letzten Sekunde in seinen Bann zieht und sie zum Nachdenken über die Natur von Wahrheit und Lüge anregt. Ein absolut empfehlenswerter Film, der das Genre des Gerichtsfilms auf ein neues Level hebt und dabei äußerst unterhaltsam ist.
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    02.11.2023
    13:52 Uhr