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    Mit dem Latein am Ende

    Es ist wieder mal an der Zeit, sämtliche Phrasen aus den Asterix-Comics durchzugehen, die sich längst auf ewig ins Langzeitgedächtnis gebrannt haben. Dabei könnte folgender Ausspruch den beiden Galliern gar nicht mal untergekommen sein. Er lautet: Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben. Auf Latein: Si tacuisses, philosophus mansisses. Keine posthume Predigt für den Philosophen Seneca würde sich – wortwörtlich gesehen – besser eignen als dieser Oneliner aus der Feder des spätantiken römischen Politikers Boethius. Denn der ehemalige Host des jugendlichen Tyrannen Nero und leidenschaftlicher Theatermacher hat sich, will man Robert Schwentkes biographischem Gleichnis Glauben schenken, selbst gerne reden gehört, wie der Tag lang war, inklusive der darauffolgenden Nacht.

    Seneca bekommt nun seinen eigenen Film und sein eigenes Vermächtnis. Es hätte ihm gefallen, würde er sehen, wie wenig er knapp zwei Jahrtausende später in Vergessenheit geraten war, wie sehr man über sein selbstinszeniertes Schicksal nochmal drüber inszeniert, als wäre es das Theater eines Theaters. Er hätte den Film nicht nur gemocht, sondern auch geliebt. Wer sich in diesem Streifen wohl auch zitiert gesehen hätte, wäre vielleicht Federico Fellini gewesen. Sein Klassiker Satyricon nach dem Romanfragment eines gewissen Titus Petronius Arbiter frönt ebenso wie Schwentkes Lustspiel den Eskapaden elitärer Unterhaltung, doch wohl weniger mit dem Hintergedanken, menschliche Verhaltensmuster unter gewissen Voraussetzungen als unveränderbar zu deklarieren. Wie einst im alten Rom die Opportunisten am Erfolg, dem Reichtum und der Macht einiger weniger mitnaschen wollten, so tut das die Menschheit des 21. Jahrhunderts immer noch. Wie einst im alten Rom die Mächtigen an ihrer Macht dem Wahn verfallen waren, so tun sie es auch heute. Die Weisheit haben sie alle nicht mit dem Löffel gefressen, denn die flüsterte ihnen so mancher Gelehrter in deren Ohr – mitunter so vertraute Berater wie Seneca, der zumindest anfangs noch darauf aus ist, den verhaltensauffälligen Kaiser humanistisches Denken zu lehren.

    Wir wissen aus der Geschichte: es wird alles nichts helfen. Nero wird als familienmordender Verrückter in die Geschichte eingehen. Und ja, er wird jene aristokratische Verschwörung aufdecken, die ihn hätte tot sehen wollen. In seinem Wahn und seiner Wut wirft er Seneca mit all den anderen Aufrührern in denselben Topf mit der Aufschrift Hochverrat, ist er dieses zum Speichellecker verwöhnten Geistesriesen längst überdrüssig geworden. Er schickt einen Soldaten aus, um Seneca in seinem Wohnsitz über sein Schicksal zu unterrichten. Das aus dem Ärmel geschüttelte Urteil lautet: Tod. Doch lässt er dem Stoiker die Wahl, entweder durch das fremde Schwert getötet zu werden oder eben durch sich selbst – wie seinerzeit Sokrates. Natürlich wählt der weise Mann letzteres, und hat auch gleich vor, Gattin Pauline (Lilith Stangenberg) mit ins Grab zu nehmen. Alles soll so aussehen wie der letzte Akt eines finalen, im Stegreif inszenierten antiken Dramas vor den Augen seiner kunstsinnigen Partygäste.

    Man wird selbst zum auf den Steinquadern kauernden Zuhörer in Toga, Schminke und Sandalen, denn wenn einer wie John Malkovich, endlich wieder zurück auf der großen Leinwand und in einem Film, der künstlerisch etwas anders gerät als die Norm, so richtig aufdreht, um seiner historischen Figur gerecht zu werden, dann vergeht die Zeit wie im Fluge, dann hängt man an seinen Lippen und staunt über seine bemitleidenswerten Versuche, sich selbst das Leben zu nehmen. Der routinierte Star ist diesmal wieder richtig gut, die Biografie gelingt. Als tiefgehende Parabel auf die Gesellschaft bleibt das Werk aber zu flach.

    Um Malkovich scharen sich sämtliche Größen des deutschen Films, die an seiner wuchtigen Performance mitnaschen wollen. Manchmal hat man den Eindruck, in einem Film von Terry Gilliam gelandet zu sein. Das nordafrikanische Marokko bietet dafür exponierte Locations en masse, zwischen antiken Ruinen spielen sich groteske Szenen ab, vor allem, wenn Seneca seine Tragödie Thyestes zum Besten gibt. Und noch einer hätte wohl Gefallen daran: Paulus Manker, jenes Enfant Terrible Österreichs, das mit seinem Polydrama zum Leben Alma Mahlers weltweit Furore macht. Seneca wirkt wie eben so eine Inszenierung: wie ein mitgefilmtes Theater, eine Bühnenshow mit gutem Cast, doch letztlich doch nur Bühne, an der man lieber live würde stehen wollen, mit Aussicht auf ein anschließendes lukullisches Bankett vielleicht.

    Anders als in seinem erschütternden Kriegs- und Entmenschlichungsdrama Der Hauptmann legt Schwentke hier kaum Wert auf einer raffinierten Bildsprache. Wenngleich all das Setting an Extravaganz genug hergibt: Das Gesehene verknüpft sich selten mit dem Auge der Kamera. Durch diese vielleicht unbewusste Distanz wird das schrille Drama zur Fernsehübertragung eines beeindruckenden Events, das, wie es scheinen mag, immer wieder neu aufgeführt wird und für gutes Geld besucht werden kann. Malkovich würde es spielen, immer und immer wieder. Es wäre sein Vermächtnis, würde er das wollen.


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    07.04.2023
    17:55 Uhr
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    Shakespeare in Rough

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2023
    Mit „Seneca“ beschert uns Robert Schwentke ein zweistündiges Monologfeuerwerk der ungewöhnlichen Art. Warum das mitunter echt anstrengend, aber auch irgendwie spaßig ist, hier in meiner Kritik.

    Lucius Annaeus Seneca, kurz Seneca (John Malkovich) ist der persönliche Berater des Kaisers Nero, einem verwöhnten und unberechenbaren Tyrannen. Er genießt durchaus auch einige Privilegien, als aber der Kaiser seinen Tod anordnet, beginnt er über sein Vermächtnis nachzudenken…

    An irgendeinem Punkt sagt seine Frau zu ihm „ich bin doch schon viel zu müde für deine Rätsel“. Ebenso schreit ihn jemand an „du hast jetzt lange genug geredet, wir haben lange genug zugehört“. Besser könnte man das Erlebnis diesen Film zu sehen, nicht beschreiben. Man muss sich bewusst sein, dass man hier John Malkovich mehr oder weniger fast den ganzen Film über beim Monologisieren zuschaut und -hört. Ich hab eine relativ späte Vorstellung besucht, da war das natürlich noch auslaugender. Wenn man sich darauf einlassen kann, macht es mitunter sogar Spaß.

    Den hatte der Hauptdarsteller am Set vermutlich genauso, was ankommt. Wenn man also John Malkovich, dem die Rolle schlicht auf den Leib geschrieben zu sein scheint, gern dabei zusieht wie er sich komplett in seiner Rolle verliert, ist dies DER Film. Für alle anderen heißt es durchhalten, bis zwischen Senecas Auslebung seiner Theatralik, die eigentliche Rahmenhandlung vorangetrieben wird.

    Im Kern ist es die Geschichte eines Mannes, der mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert wird, und damit, was er der Welt hinterlassen will. Von der Furcht getrieben, in Vergessenheit zu geraten, verliert er sich in seiner Philosophie um es seinem großen Vorbild Sokrates gleich zu tun. Vom realen Seneca sind jedoch kaum Reden überliefert weswegen sich die Autoren hier ebenso austoben konnten.

    Bei der Darstellung des Nero als „Mr. President“, fragt man sich schon ob sich damit irgendwelche realen Personen angesprochen fühlen sollen. Der Einsatz einiger anachronistischer Elemente gibt einem dazu das Gefühl, dass hier eine etwas allgemeingültigere politische Satire betrieben wird. Besonders tief geht diese zwar nicht, allein schon weil Nero selbst, den restlichen Film über kaum noch auftritt; Tom Xander kostet die wenigen Szenen die ihm gegeben wurden aber in bester Manier aus.

    Man darf letztendlich gespannt sein, ob die komplette Übertriebenheit der Inszenierung „Seneca“ wie seinen Namenspatron davor bewahren kann in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.
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    06.04.2023
    14:44 Uhr