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    Holzklasse, aber mit Bordmenü

    Max Schreck hätte wohl auch gern solche Schwingen aufklappen wollen wie sein um 101 Jahre später erschienenes Pendant. Mit solchen Schwingen wäre vieles leichter gefallen. Als Vampir, verwandt mit Fledermäusen, sollte jede Dracula-Inkarnation solche Extras besitzen. Im Laufe der Zeit aber ist der charismatische Graf immer weniger Bestie als vielmehr Aristokrat geworden – ein stattlicher, schon etwas in die Jahre gekommener Gentleman mit grauenvollem und für viele auch tödlich endendem Understatement. Einer, der vorgibt, etwas anderes zu sein – bis es zu spät ist. Das ist taktische Perfektion, das ist Psychoterror und geschickte Manipulation. Doch Dracula ist immer noch ein Vampir – ein Dämon. Und von daher durchaus animalisch, bestialisch, teuflisch. In André Øvredals Literatur-Exegese bleibt von Bela Lugosi, Christopher Lee oder Claes Bang nicht mehr viel bis gar nichts über. Die letzte Fahrt der Demeter bringt den Edelmann mit finsteren Absichten zurück zu seinen Anfängen, lässt ihn herumkriechen wie Gollum, lässt ihn jagen und schlachten. Dracula ist hier all seines Anstands beraubt, doch nach wie vor mit messerscharfem Verstand gesegnet, der sich für sinistre Spielchen mit der Schiffscrew bestens eignet.

    Auch in Friedrich Wilhelm Murnaus Klassiker von 1922 werden die frisch geschrubbten Blanken des russischen Handelsschiffes mit Blut getränkt – wir alle kennen das ikonische Standbild der schwarzweißen Schreckensgestalt, wie sie über der Reling aufragt – klauenbewehrte Hände, kahler Kopf, glühende Augen und spitze Zähne. Diesem Bildnis muss man immer mal wieder Tribut zollen, und auch Øvredal scheint davon mehr als fasziniert zu sein.

    Doch nicht nur diese Art des Gothic-Horrors taugt zur Wiedererweckung, sondern auch Ridley Scotts finstere Figur des Xenomorph aus dessen Suspense-Hit Alien. So, wie dieser sein Wesen eins werden ließ mit der frei liegenden Technik eines Raumschiffs, so lässt Øvredal seinen Übervampir genauso mit dem rustikalen Interieur unter Deck der Demeter verschmelzen. Beeindruckend wird es dann, wenn man zweimal hinsehen muss, um die ausgemergelten, aschfahlen und ins bläuliche Licht einer Vollmondnacht getauchten Gelenke zwischen den Tisch- und Stuhlbeinen in der Kapitänskajüte auszumachen. Wenn sich das Wesen dann langsam bewegt und aufrichtet, um von einem Moment auf den anderen verschwunden zu sein, treibt Die letzte Fahrt der Demeter seine illustre Schauermär zu einem Höhepunkt hin, der immer näher rückt – letztlich aber ausbleibt.

    Øvredals Hochsee-Grusler garniert seinen geschickten Monsterhorror mit Licht, Schatten und Unschärfen, dennoch lässt sich die Geschichte weder auf Biegen und Brechen noch sonst wie einem anderen Schicksal zuführen, will man als Literaturverfilmung dem zugrundeliegenden Werk von Bram Stoker auch treu bleiben. Die letzte Fahrt der Demeter hegt keine Szene lang den Anspruch, einen avantgardistischen Ausbruch zu wagen. Was zählt, ist die Tradition. So bleibt der Film sowohl von seiner Gestaltung als auch von der chronologisch bedachten Erzählweise ein Kind vergangener Zeiten, ein Überbleibsel aus opulenten Universal– oder Hammerfilm-Abenteuern früherer Dekaden – als James Mason, Ernest Borgnine oder Vincent Price noch Seemansgarn erzählen konnten, sofern sie überlebten.

    Liam Cunningham, der Zwiebelritter aus Game of Thrones, belebt in klassischer Perfektion die Rolle des vollbärtigen Kapitäns; seine ohnehin gebremste Laune, die ein Teamleader eben haben muss, weicht sorgenvoller Verzweiflung. Er ist es auch, der die ganze Geschichte noch dazu aus dem Off erzählt, um den romantisch-finsteren Petroleumlampen-Charakter noch zu verstärken. Doch man weiß, wie es endet. Die letzte Fahrt der Demeter hat weder Twists noch dramaturgische Raffinessen parat. Hätte das denn sein müssen? Nicht unbedingt.

    Mittelpunkt, Kernstück und der Joker in den Handkarten ist immer noch der Vampir. Wäre dieser wohl mehr in den Dialog mit der ohnehin zum Tode verdammten Crew gegangen; wäre das blutdürstende Monster nicht allzu sehr scheinbaren Instinkten unterworfen worden, wäre Draculas bisherige Biografie sichtbarer – und die Figur an sich bedeutender geworden. Øvredal aber will den Langzahn als Tier – in einem Logbuchthriller der bewährten Art, allerdings angereichert mit düsteren Kupferstichen, die in sturmumtosten Nächten und bei Kerzenlicht ihre stärkste Wirkung erzielen.



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    20.08.2023
    17:37 Uhr
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    Auf See hört dich niemand schreien - und im Kino auch nicht

    Exklusiv für Uncut
    Mit „Die letzte Fahrt der Demeter“ kommt nach „Renfield“ der nächste Film des Jahres mit Dracula-Thematik. Warum es dem aber an Biss fehlt, will ich euch hier näher bringen.

    Die stolze Demeter hat schon viele Fahrten hinter sich, kommandiert von ihrem Kapitän Elliot (Liam Cunningham). Der denkt schon ans Aufhören, einen letzten Job will er aber noch erledigen. In Rumänien nehmen er und seine Crew eine große Ladung auf und machen sich auf Richtung London. Bei Nacht zeigt sich schließlich, was sie da geladen haben und ein Kampf ums Überleben beginnt…

    Schon als ich Bram Stokers „Dracula“ gelesen habe, wusste ich, dass in jener Passage grundsätzlich eine interessante Geschichte steckt. Und so ging es sicher nicht nur mir, weswegen es äußerst verwundert, dass es der Film erst jetzt in die Kinos geschafft hat. Zwei Jahrzehnte soll es gedauert haben, ihn auf die Leinwand zu bringen, aufgrund von diversen Produktionsproblemen und Drehbuchänderungen. Und ich kann nicht behaupten, dass sich die gelohnt haben.

    Was ihm schlussendlich zum Verhängnis wird, ist eben wieder, dass er auf etwas Altbekanntem basiert, sowohl bezogen auf die Charakterdarstellung (dazu später mehr), als auch die Dramaturgie. Schon zu Beginn wird klargestellt: dieses Schiff kommt ohne Überlebende an. Auch jeder der den Roman nicht gelesen hat, weiß was da im Dunklen lungert, weil es uns der Film (und das intensive Marketing) bereits verraten hat. Das klassische Prequel-Problem zeigt sich also erneut darin, dass immer klar ist, worauf alles hinauslaufen wird. Nun sage ich nicht, dass Vorgeschichten grundsätzlich nicht funktionieren, nur muss man sie dann besonders interessant gestalten. Die Tragik der Figuren, die unwissentlich in ihren Tod gehen, könnte hervorgehoben werden, doch dafür ist die Hälfte davon zu unsympathisch und die andere zu uninteressant. Mit dem Kapitän und seinem ersten Maat (David Dastelmachian), an den er die Befehlsgewalt übergeben will, wird dies ansatzweise versucht, doch für mich zu wenig. Clemens (Corey Hawkins), der sich auch für die Überfahrt meldet, hat derweilen mit Rassismus zu kämpfen, doch irgendwann führt auch dieser Handlungsstrang ins Leere.

    Was hingegen vortrefflich funktioniert, ist das immer stärker spürbarere Misstrauen zwischen den Seglern, die sich fragen, was da erst die Tiere und später nach und nach die Crew dezimiert. Aber wie gesagt, wenn die derart uninteressant ist, will einfach keine Spannung aufkommen.

    Mein persönlich größter Kritikpunkt ist aber bei weitem die Darstellung des wohl berühmtesten Vampirs der Film- UND Literaturgeschichte. Dracula hat sich stets durch seine Wortgewandtheit, seinen Charme und seine Intelligenz ausgezeichnet, und war dennoch 100% furchterregend. Hier verkommt er wahrlich zu einem seelenlosen und fresshungrigen Monster, der Wunsch war vermutlich „Alien“ im 19. Jhdt nachzuerzählen. Sprechen darf er insgesamt nur ein einziges Mal, und das dient (ebenso wie die finale Sequenz) gefühlt nur dazu, die wahrscheinlich schon im Vorhinein in Betracht gezogene Fortsetzung anzukündigen.

    Die Atmosphäre passt hingegen. Wie das Schiff in Szene gesetzt wird, trägt maßgeblich zur Wirkung des Films bei. Sowohl Klaus- als auch Thalassophobie (die Angst vor dem offenen Meer) wird kräftig bedient, die Angst vor dem (für die Figuren) Unbekanntem wird dazu gekonnt aufgebaut. Ebenso sorgt die solide Musik immer für die passende Stimmung. Und eine gehörige Portion Gore mit überzeugenden Effekten, vermag zumindest die eventuelle Blutlust des Publikums ein wenig zu stillen.

    Schauspielerisch gibt es ebenfalls nichts zu bekritteln, im Gegenteil, Liam Cunningham und besonders David Dastelmachian geben hervorragende Leistungen ab (was jedoch nicht arg verwundert, da die Dynamik ihrer Charaktere schlicht am besten funktioniert).

    Alles in allem leider wieder jede Menge verschenktes Potential. Nach außen hin lebendig doch im Inneren schon völlig blutleer.
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    19.08.2023
    22:30 Uhr