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    Kunst, die aus Kummer entsteht

    Hört man den Namen Brontë, so sind es meist zwei Künstlerinnen, die man damit in Verbindung bringt: Emily und Charlotte, beide natürlich Geschwister. Und beide Schriftstellerinnen. Charlotte hatte da Zeit ihres Lebens mehr zu Papier gebracht als Emily, doch letztere war jene, die den in der Literaturgeschichte fest verankerten Generationenroman Wuthering Heights, auf Deutsch Sturmhöhe, verfasst hat. Es sollte auch ihr einziger bleiben, starb die junge Frau doch mit nur 30 Jahren vermutlich an einer Lungenentzündung. Posthum betrachtet macht so ein literarischer Monolith wie Sturmhöhe schon auch etwas Besonderes aus einem Menschen, der Zeit seines Lebens aufgrund seines Verhaltens vielen ein Rätsel blieb. Da wird das Lesen des Buches selbst zu einer ganz individuell gestalteten Annäherung an die Gedankenwelt einer schwer zu fassenden Persönlichkeit. Emily Brontë war so jemand: ein nonkonformer Freigeist, andererseits aber auch ein durch den gesellschaftlichen Druck in die eigenen Gemächer zurückgedrängtes, verschrecktes Problemkind, welches in der sozialen Interaktion nur schwer seine Erfüllung fand. Mit diesem wechselwirkenden Zustand aus Einzelgängertum und Individualismus setzt sich die britisch-australische Schauspielerin Frances O’Connor in ihrer Regiearbeit auseinander, die Sex-Education-Star Emma Mackey dazu brachte, einer über Wiesen laufenden, mit sich selbst plaudernden und unglücklich verliebten Emily Brontë zumindest für etwas mehr als zwei Stunden neues Leben einzuhauchen.

    Diese Emily also, als seltsames Mädchen längst verschrien und in den Augen ihres Vaters ein hoffnungsloser Fall, mit welchem dieser wirklich nichts Sinnvolles anzufangen weiß, bleibt hin und hergerissen zwischen dem Willen, es ihrer älteren Schwester Charlotte gleichzutun und Lehrerin zu werden und der Verlockung, komplett gegen alle Erwartungen zu agieren und in den Tag hineinzuleben, wohl behütet im Landsitz der Familie, um den Gedanken nachzuspinnen und mit Bruder Branwell gegen die Norm zu rebellieren. Der schmeißt schließlich alles hin und will Schriftsteller werden, doch der Durchbruch wird ihm niemals gelingen. Als sich ein attraktiver junger Vikar in der Gemeinde niederlässt und später unter anderem auch Emily in Französisch unterrichtet, bahnt sich schön langsam auch so etwas wie eine romantische Beziehung an, die immer intensiver wird und im Unglück endet, was Emily des Weiteren dazu bringen wird, ihren zeitlosen viktorianischen Roman Sturmhöhe zu schreiben.

    Und da haben wir es wieder: Kunst entsteht sehr oft aus dem Leid und dem Kummer, den man verspürt. Aus Sehnsucht und unerfüllter Liebe. Da ist Schreiben wohl das beste Ventil, vermengt mit reichlich Talent entsteht rasch etwas Großes. Bis es so weit kommt, nimmt sich O’Connor in ihrem Film viel, sehr viel Zeit. Und macht, bevor sich all die historischen Figuren aneinander aufreiben, lieber einen auf viktorianisch-romantisches Sittenbild, das eine Querdenkerin inkludiert, die wohl eher unserem gegenwärtigen Zeitgeist entspricht und so das Publikum einlädt, sich in einer vornehmen Welt voller Damenhauben, Spitzen und Anstand zurechtzufinden. So richtig straff hält O’Connor ihre inszenatorischen Zügel dabei nicht. Mit der Vorstellungsrunde aller Protagonisten verliert Emily mitunter die Aufmerksamkeit des Zusehers, die Gedanken schweifen ab, während Emma Mackey zaghaft, aber doch, ihre Bestimmung evaluiert. Das sind biographische Elemente, die finden sich in den Verfilmungen von Jane Austen immer mal wieder. Und man ist zwar fasziniert davon, wie sehr Mackey ihrer Schauspielkollegin Margot Robbie ähnelt, doch so richtig involviert ist man lange Zeit nicht.

    Das ändert sich ab der Halbzeit. Da wissen wir mittlerweile ganz gut, wer nun wer ist, und als dann noch die glücklich- unglückliche Liebe mitmischt, die für romantische Historienfilme so essenziell ist, glaubt man fast gar nicht mehr, einem biographischen Drama beizuwohnen, so sehr nach Literaturverfilmung fühlt sich das an. Doch es ist immer noch diese seltsame Nonkonformistin, die sich ganz plötzlich ganz klassischen Gefühlen hingeben muss und gar nicht anders kann, als sich selbst dabei zuzusehen, wie ihr geschieht. O’Connor kommt dabei so richtig in Fahrt, und bleibt dabei nicht nur auf Emily fixiert, sondern auch auf ihr aus Geschwistern, Familie und besagtem Geistlichen bestehendes Umfeld, das letztendlich jene Persönlichkeit mitkreiert, die Emily Brontë in der Literaturgeschichte darstellt. Dabei greift die Regie auf willkommene, dem Konventionellen zuwiderlaufende Stilmittel zurück wie unhörbare, von Musik überlagerte Dialoge, absoluter Stille und sich wiederholender Sequenzen, welche die Verbundenheit der Geschwister Emily und Charlotte unterstreichen sollen. Unterm Strich ist dabei eine sehenswerte und alles andere als verstaubt anmutende Biografie gelungen, die zwar seine Anfangsschwierigkeiten hat, am Ende aber alles richtig macht.
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    20.12.2022
    17:48 Uhr