Republic

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Forumseintrag zu „Republic“ von anachronista

anachronista (25.02.2024 12:17) Bewertung
Utopisches Kabuff
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
Knapp drei auf drei Meter. Die Wände sind lückenlos mit Postern, Bildern, Zitaten und Plattencovern beklebt. Der Boden ist von Sitzkissen und Polstern bedeckt. dazwischen finden sich Zigarettenpäcken, und andere zum Kiffen benötigte Utensilien. Ansonsten besteht die Einrichtung aus einem Hochbett, einem kleinen Bücherregal, zwei kleinen Schemeln, die als Tische zum Essen und für den Computer dienen. Auch eine Mikrowelle und einen kleinen Kocher und viel Kleinkram bedeckt den Boden. Beleuchtet wird der Raum durch Bunte Leuchten und einen blinkenden Laser. Zwischen den Dingen und auf dem Hochbett hocken zwischen fünf und zehn Jugendliche.

Was zunächst nach einer Kiffer-Höhle oder einem etwas abgehobenen WG-Zimmer klingt, ist die gesamte Wohnung von Li Eryang, in der es lediglich ein winziges Waschbecken, aber keine Toilette oder gar Dusche gibt. Das kleine Kabuff befindet sich im Erdgeschoss einer ruhigen Gasse in Peking. Im Verlauf des Filmes kommen mehrmals Passanten von der Straße herein und schauen sich neugierig in der Republic um. Allerdings bekommt man den Ort als Zuschauer nur ein einziges Mal von außen zu sehen. Der Rest des zweistündigen Dokumentarfilmes „Republic“ von Jin Jiang findet ausschließlich in dem Raum statt, nach dem der Film benannt ist. In der Sektion Forum feierte der Film auf der diesjährigen Berlinale Europapremiere.

Die Republic ist ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen um sich zu unterhalten, zusammen Musik zu machen und abzuhängen. Manche suchen einen Unterschlupf, da sie von zu Hause abgehauen sind und andere brauchen gerade aus anderen Gründen ein Dach über dem Kopf. Es sind Freundinnen, Freunde und Freundesfreunde, die Tag und Nacht in der Republic abhängen. Es wird gelacht und gestritten, viel geraucht und getrunken, gekifft und mit anderen psychedlischen Drogen experimentiert. Untermalt werden die manchmal belanglosen, manchmal philosophischen Gespräche von einem beinahe durchgehenden Soundtrack der Bob Dylan, Beatles und Rolling Stones ebenso umfasst wie traditionelle chinesische Musik, Techno und Psytrance.

Denn Musik ist eines der wichtigsten Themen in der Republic. Doch es geht auch um Drogenerfahrungen und um Bücher. Um Zwischenmenschliche Beziehungen und um den Kommunismus. Sowohl jenen, der im großen Land, draußen vor dem Fenster proklamiert wird als auch um das, was die Teenager und Mittzwanziger hier im Kleinen leben. Menschen kommen und gehen, mal wird gekocht, mal aufgeräumt.

Während das Setting des Films sehr außergewöhnlich ist und eine interessante Perspektive auf Subkultur im heutigen China bietet, fehlt es den Gesprächen leider manchmal an Tiefgang. Die Entscheidung des Regisseurs, den Zuschauern nichts über die Hintergründe der auftretenden Protagonisten zu verraten, macht es mitunter schwer, die Aussagen und die Protagonisten zu verorten und so entstehen teils Längen.

Eryang erzählt gegen Ende des Films von den vielen Schulden, die sich angehäuft haben, durch das Betreiben der Republic. Auch eine andere Freundin erzählt von den Sorgen, die ihre Schulden ihr bereiten. Doch diese ernsten Themen werden nur angeschnitten und erhalten nicht den nötigen Raum, um sich zu entfalten.

Bemerkenswert ist nicht nur, dass ein Ort wie die Republic in einem so hochüberwachten Staat existieren kann, sondern auch, dass dieser Film überhaupt entstehen konnte und nun einem großen internationalen Publikum zugänglich gemacht werden kann. Die Neo-Hippie-Subkultur scheint weitestgehend unbehelligt von staatlicher Repression existieren zu können. Die Polizei kam laut dem Regisseur während der Drehzeit zwei mal vorbei, hatte allerdings am Lebensstil der Republic nicht wirklich etwas auszusetzen gehabt. Noch erstaunlicher ist das vor dem Hintergrund, dass der Zeitraum des Drehs zwischen August 2020 und Februar 2023 lag und China eigentlich für seine strengen Lockdowns bekannt war.
 
 

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