Poor Things

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Forumseintrag zu „Poor Things“ von MichaelGasch


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MichaelGasch (03.09.2023 08:05) Bewertung
Sex sells, auch bei Lanthimos
Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
Die Werke von Giorgos Lanthimos haben schon einen ganz eigenen Charakter. Sperrig, brachial, bedrückend sind alles Worte, die das Werk des griechischen Regisseurs ganz gut beschreiben, denkt man nur an „The Lobster“, „The Killing of a Sacred Deer“ oder „The Favourite“ zurück. Bei seinem neuesten Film namens „Poor Things“, welcher bei den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig die Premiere feierte, ist es jedoch alles andere als einfach, ihn in eben jene Kategorien zu packen.

Glasgow, Ende des 19. Jahrhunderts. Eine verheiratete und schwangerne Frau (Emma Stone) stürzt sich in das Meer, um der Tyrannei ihres Ehemannes zu entkommen. Sie stirbt, fällt jedoch nicht sehr viel später in die Hände des Arztes Godwin Baxter (Willem Dafoe), der ihr auf recht spezielle Art und Weise wieder Leben einhaucht. Keinerlei Erinnerungen an ihr vorheriges Leben, ergibt sich für die junge Frau ein ganz neuer Lebensabschnitt, der von ihrem sexuellen Erwachen maßgeblich mitbeeinflusst wird.

Dass „Poor Things“ nicht aus der Feder von Lanthimos stammt, muss an erster Stelle gesagt werden. Erneut bediente er sich an einer Romanvorlage, wie es schon bei „The Killing of a Sacred Deer“ der Fall war. Da beide Geschichten nicht unterschiedlicher ausfallen könnten, muss direkt eine Warnung für Lanthimos-Fans her: Die Erwartung, dass der griechische Regisseur erneut auf derselben oder zumindest ähnlichen Klaviatur spielt, trifft nur bedingt zu. Sicherlich kommen vereinzelte Elemente vor, die unmittelbar an frühere Werke wie „The Lobster“ erinnern (Stichwort Tiere). Elemente wie bedrückende Gefühle, ein flauer Magen sowie den einen oder anderen Schockmoment, die man ebenso mit Lanthimos assoziieren könnte, sind dagegen rar gesät. Das sagt natürlich erstmal nichts über den eigentlichen Film aus, ist aber in jedem Fall ungewohnt, wenn man auf das Werk des Regisseurs abgefahrener Geschichten zurückblickt.

Zumindest bleibt Lanthimos sich aber in einem Element treu - der starke Fokus auf das Individuum. Erneut muss Stone her, die schon in „The Favourite“ in altertümliche Kleider schlüpfte und in altbackene Setpieces eintauchte. Es sind zwei Aspekte, mit denen sich nun auch „Poor Things“ schmückt. Style over substance kann man dem neuen Werk jedoch beileibe nicht vorwerfen, geht es nicht nur um weibliche Sexualität, sondern auch um Selbstfindung und Vergangenheitsbewältigung. Das alles ist verrückt verpackt, von schockierend und oder aufwühlend kann dagegen nicht die Rede sein. Die Tendenz zum schwarzen Humor ist hingegen am aufblühen, was immerhin für den einen oder anderen Lacher sorgt.

Als die lustvolle Protagonistin herausfindet, was es mit ihrem ungeahnten zweiten Leben auf sich hat, stellt sich die Erwartung ein, dass diese Schieflage aufgelöst wird oder zumindest das Düstere Oberhand gewinnt, doch Pustekuchen. Es bleibt schwarzhumorig, die hinzukommenden stoischen Blicke zeugen wenig von einem tiefgehenden Psychogramm. Von dem in der Hinsicht wohl besten Vergleichsfilm „Alles was wir geben mussten“ ist der komödiantische Sexfilm dagegen weit entfernt (auch wenn es sich um einen Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen handelt).

Fazit: Vielleicht lag es am konstant lachenden Publikum auf dem Filmfestival, das im starken Kontrast zum eigenen ungekitzelten Humor eher eine ablenkende Wirkung erzielte. Eine Zweitsichtung muss daher unbedingt her, um den Ersteindruck validieren zu können. Bis dahin bleibt Lanthimos neuester Film jedoch leider nur im Mittelfeld seiner eigenartigen Produktionen.
 
 

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