How to Have Sex

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Forumseintrag zu „How to Have Sex“ von UR_000


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UR_000 (09.12.2023 09:52) Bewertung
Nüchterner Blick aufs alles andere als nüchterne Erwachsenwerden in elektrisierenden Bildern
Die große Prüfung liegt hinter drei Freundinnen aus England, mit ungewissem Ergebnis, eine eigenartige Zwischenwelt voller Träume, Chancen und Gefahren. Tara, Em und Skye beschließen in Molly Manning Walkers Debütfilm „How to Have Sex“, ihre Freundschaft im Griechenland-Urlaub zu feiern. Gemeinsam, als eingeschworene Gang. Kommt einem vielleicht bekannt vor, könnte auch Erinnerungen an die eigene Jugend wecken, an die ersten Reisen ohne Eltern beziehungsweise noch stärker an das Ritual der Maturareise/Abschlussreise. „How to Have Sex“ ist im Kern eine klassische Coming-of-Age-Story. Aber eine heutige, eine die in die Zeit passt, eine, die die drängenden Fragen und Probleme von Menschen in den Fokus rückt, die jetzt gerade jung sind. (Die Autorin dieser Zeilen gehört nicht mehr zu dieser Gruppe, fällt eher in die Kategorien ‚Erinnerungen an damals‘.)

Fesch und nicht auf den Mund gefallen, ergattern die drei Mädels ein fast luxuriöses Zimmer mit Meerblick. Und spannenden Nachbarn. Auch zwei Jungs (Paddy, Badger) und deren lesbische Freundin haben nur eines im Sinn: Party. Tanzen, Alkohol und Sex , etwas anderes gibt es in den Urlaubstagen nicht, darf es nicht geben. Das gehört einfach dazu zum Erwachsenwerden. Der Druck, Spaß zu haben und sich auszutoben, erhöht sich für Tara, die noch Jungfrau ist.

Wann, wenn nicht jetzt, im Urlaub mit jeder Menge Alkohol und fitten, hoffentlich gut aussehenden Jungs? Skye und Em tun alles, damit ihre Freundin das endlich erleben darf, die beste Zeit ihres Lebens haben wird. Sie leihen ihr knappe Outfits, kümmern sich um ihr Makeup. Freundschaftlich, Frauen untereinander, unterstützend. Die Verbindung soll durch die gemeinsame Dauerparty beschworen und noch enger werden.

In die Szenen der Mädchenfreundschaft mischen sich bald leise dunkle Töne. Sonne, Sand und Meer verlieren ihre sorglose Atmosphäre. Jede muss mit, darf keine Spaßbremse sein. Egal, wie weit der Kontrollverlust fortschreitet. Ganz nah begleitet die Kamera die aufgebrezelten Mädchen an der Schwelle zum Frausein. Sie schaut genauso wie diese tief ins Glas. Nichts wird ausgelassen aus dem Repertoire und den Tiefen von jugendlichem Partymachen. Ausgelassenes Tanzen folgt auf Shot folgt auf Shot folgt auf über der Toilette hängen und kotzen. Und wieder von vorne.

Ausruhen. Fehlanzeige. Wer herumliegt, lebt nicht. Die Location ist nun einmal Partyzone à la Spring Break oder Maturareise. Die Bilder der feiernden Meute fangen den Sog dieses arrangierten Rituals ein, nicht ausgeschlossen, dass sie Erinnerungen an ähnliche Erlebnisse wecken. Sie sind faszinierend und abstoßend zugleich. Betrunkene Menschen, die sich nicht mehr unter Kontrolle haben, sind nicht unbedingt schön anzuschauen, obwohl die Impressionen wohl authentisch sind. Junge Leute, wenig Stoff, viel Haut und Alkohol.

Und wenig Achtsamkeit. Vor allem Skye geht es nur um schmutzige Details, was ihre Freundin Tara denkt und fühlt, kann sie nicht (mehr?) spüren. Wichtig ist nur, dass Tara ihre Jungfräulichkeit endlich verlieren soll. Egal, an wen. An den freundlichen Loser-Typ Badger, mit dem sich Tara eigentlich ganz gut versteht, lachen kann? Oder geht es besser, denn dessen Kumpel Paddy ist viel attraktiver?

„How to have sex“ erzählt schonungslos vom Druck, der auf jungen Menschen lastet. Die drei Freundinnen hetzen von Erlebnis zu Erlebnis. Ironischerweise bekommen sie wohl wenig mit, dank der Betäubung mit Alkohol. Außerdem läuft nicht immer alles wie in der Vorstellung vom Erwachsenwerden. Dann braucht man noch mehr Alkohol oder flüchtet sich in elektrisiertes Tanzen, bis alles verschwimmt. Jedes Zeitgefühl verschwindet.

Manning Walkers Film ist keine allzu leichte Kost, zu düster und nah ist ihr Blick auf den geplanten Kontrollverlust beim Partymachen. Zu authentisch wirken Männer, die diesen Zustand für ihre sexuelle Befriedigung ausnutzen. Nur wenige Momente bringen etwas Erholung von pressenden Bässen, hüpfenden Körpern und einer Masse, die den/die einzelne/n fast zu erdrücken scheint. Orientierung unmöglich. Spannung im erzählerischen Sinne ist das zwar nicht, trotzdem reißen die pulsierenden Bilder mit. (Und nutzen sich mit Fortdauer des Films ein wenig ab.)

Die Jungdarsteller harmonieren, zeigen alle Gefühle, die beim Erwachsenwerden kommen können. Besonders eindringliche sind da dabei, wenn die Frauen in sexuelle Abenteuer eben nicht einwilligen, sich nichts sagen trauen oder nicht einmal gefragt werden.

Manning Walkers Film ist ein präziser, spannender, aber wenig hoffnungsvoller Blick ins Erwachsenwerden junger Mädchen. In die harte Realität zwischen Träumen, Gruppenzwang, Rücksichtslosigkeit und Bewusstseinsveränderung durch den obligatorischen Alkohol. Wichtig, relevant, aber trotz der häufigen Partybilder und der meist oberflächlich ausgelassenen Stimmung auf der Leinwand kein Feelgood-Movie.

Jedenfalls ein Film, der einen vielleicht nicht so schnell loslässt. Egal, wie alt oder jung man ist.
 
 

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