Perfect Days

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Forumseintrag zu „Perfect Days“ von UR_000

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UR_000 (08.02.2024 21:53) Bewertung
Das Glück der kleinen Augenblicke
Bei Wim Wenders wird man sich wohl kein Highspeed-Action-Kino erwarten. Oft sind es kleine, ruhige Geschichten, die erzählt werden. So auch bei „Perfect Days“. In seinem neuesten Film porträtiert Wenders einen Mann, Hirayama, der als Toilettenputzer arbeitet. Bis ins kleinste Detail wird sein Alltag auserzählt und eingefangen. Hirayama ist ein einfacher, fast schweigsamer Mann, der Tag für Tag seiner Arbeit nachgeht oder seinem wenig abwechslungsreichen Freizeitprogramm.

Kleiner Mann, repetitiver Alltag
Hirayamas Aktivitäten sind nicht gerade spektakulär, alltäglich und vor allem repetitiv. Mit einem zufriedenen Lächeln geht Hirayama durch sein beschauliches Leben. Alles läuft gleich ab, bis einige Figuren (also Menschen in seinem Umfeld) sich anders verhalten als gewohnt. Darauf muss er reagieren, was für etwas Spannung und humorvolle Momente sorgt. Die Einblicke in zwischenmenschliche Interaktion mit Mitmenschen, die ihre eigenen Wünsche und Sorgen haben, sind teilweise großartig. Auch nicht allzu laut, aber greifbarer, emotionaler. Viele von diesen Figuren könnten mindestens genauso spannend sein, aber ihre Geschichten bleiben bruchstückhaft.

Autofahrten als Highlight für Musik-Liebhaber inklusive Retro-Feeling
Als Zuseher*in muss man sich jedenfalls gedulden, bis etwas mehr Dynamik ins Leben des Protagonisten kommt. In der ersten Hälfte kann es daher passieren, dass die unterschiedlichen Toiletten der Großstadt interessanter sind als alles andere. Auch der Soundtrack ist – glücklicherweise – von Anfang an mitreißend. Retro, auf Kassetten. Ebenso klein, aber großartig. Musikalische Klassiker, die die Ansichten der Großstadt untermalen. Wenn man die Lieder mag, sich in ihr Feeling hineinziehen lässt, sind die Autofahrten zu den Toiletten ein Highlight.

Kleine Glücksmomente in plumper Form
Die musikalische Untermalung – eines der leider wenigen Highlights. „Perfect Days“ porträtiert einen kleinen Mann, der die kleinen Momente genießt, mit Hingabe seiner Arbeit nachgeht oder die Natur fotografiert. Eine Message, die man oft gebrauchen könnte in der schnelllebigen Zeit, die oft nur auf den Kick für den Augenblick aus ist. Gut gemeint, allerdings ist die Umsetzung nicht gänzlich gelungen. Zumindest nicht, wenn es darum geht, für diese kleinen Momente wirklich Interesse zu wecken. Eigentlich kommt sie plump daher, die Moral, dank der langatmigen Aneinanderreihung von kleinsten, alltäglichen Aufgaben, die sonst eher selten oder zumindest nur kurz ins Bild gebracht werden. Wenders schlachtet sie aus, anders kann man es fast nicht nennen. Das Zähne-Putz-Ritual, den Morgenkaffee aus der Dose. Allerdings sorgen die ständigen Wiederholungen für Stillstand. Zumindest in der Geschichte, Zuseher*innen wird lange nichts Neues geboten, nichts Kreatives, nichts Emotionales. Das birgt die Gefahr, dass das Interesse an Hirayama schon schwindet, bevor doch noch etwas Schwung in die Geschichte kommt.

Nette Geschichte, großartige Bilder, die keine Überlänge brauchen
Wenders „Perfect Days“ fängt die Großstadt sowie die kleinen Orte, die Hirayama besucht, in wunderbaren Bildern ein. Und auch die Toiletten, die er putzt. Ein Gefühl für Orte kann entstehen. Es ist auch nichts einzuwenden, jemandem bei einer etwas ungewöhnlichen Arbeit zuzusehen, der sie zufrieden erledigt. Der sich an der Natur erfreut. Allerdings nicht unbedingt in Überlänge. Die braucht es nicht. Zugespitzt ausgedrückt, ist Hiryamas Geschichte wahrscheinlich in etwas mehr als einer Stunde erzählt, ausgewalzt auf etwa die doppelte Länge. (Außer man gibt den anderen Figuren beziehungsweise der Geschichte hinter der Geschichte mehr Raum.)

„Perfect Days“ ist ein durchaus anregendes Porträt in schönen Bildern mit genialem Soundtrack, dem etwas mehr Dynamik gutgetan hätte. Oder eine Straffung der Geschichte anstatt der Ausbreitung auf Überlänge, nur weil diese ja momentan im Trend liegt. Man braucht sehr viel Geduld, um belohnt zu werden. (Sogar, wenn man Filme über kleinere Figuren, die nicht so laut und actiongeladen daherkommen, mag.) Humor, Kreativität und leise Spannung lassen lange auf sich warten; vielleicht allzu lange.
 
 

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