Kobergs Klarsicht
Kobergs Klarsicht: Warum ist der schwul?

Kobergs Klarsicht: Warum ist der schwul?

Homosexualität wird in Filmen immer öfter thematisiert, ist aber noch lang nicht normal.
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von (DerKoberg)
Mit wachsendem Abstand wird es immer schwieriger nachzuvollziehen, dass der Kuss zwischen Heath Ledger und Jake Gyllenhaal (Brokeback Mountain, 2006) damals für so viel Aufsehen gesorgt hat. Und das ist eine gute Sache. Filme über homosexuelle Liebe sind nicht zur Gewohnheit, aber doch zu einer gewissen Konstante im Kinoprogramm geworden. Wobei hier vorrangig von schwuler Liebe die Rede sein müsste, denn trotz hervorragender Ausnahmen wie „Carol“ sind es auf der Leinwand noch immer fast ausschließlich Männer, die sich mit dem Umstand herumschlagen müssen, dass Teile der Gesellschaft ein Problem damit haben, wen sie lieben.

Mit „Love, Simon“ scheint die Thematik jetzt noch ein Stück weiter Richtung Mainstream gerückt zu sein. Auch das eine erfreuliche Entwicklung. Aber es fällt auf, dass Homosexualität noch immer fast ausschließlich als Ursache für soziale Probleme dargestellt wird. Paare müssen sich vor der Öffentlichkeit verstecken, fürchten sich vor den Reaktionen ihres Umfeldes oder werden offen für ihre sexuelle Orientierung attackiert. Mit Ausnahme von unzähligen schwulen besten Freunden in Komödien und Serien, die dann gerne einmal Klischees überstrapazieren, sind Film-Figuren in den allerseltensten Fällen lesbisch oder schwul, ohne dass dieser Umstand zu einem zentralen Thema des Films würde. Ein schönes Gegenargument zu dieser These ist Tom Fords „A Single Man“, der sich um Trauer und Verlust dreht und die Homosexualität seiner Hauptfigur als Faktum recht unkommentiert lässt.

In „Love, Simon“ beschwert sich die namensgebende Hauptfigur darüber, dass sich Heterosexuelle nicht outen müssen. Ein verständlicher und gleichzeitig amüsanter Gedanke. Wer von vorherrschenden Normen abweicht, wird von seinem sozialen Umfeld zur Auseinandersetzung mit dieser Abweichung gezwungen. Sie oder er muss sich erklären. Wer die Normen erfüllt, fällt auch nicht auf. In dieser grundlegenden sozialen Dynamik liegt wohl auch ein Teil der Erklärung dafür, dass nicht einfach einmal ein Action-Held in einer homo- statt heterosexuellen Beziehung lebt, ohne dass das groß thematisiert werden müsste.

Um in zwei Stunden in ein fiktives Szenario eintauchen zu können und in diesem auch noch eine aufregende Geschichte mitzuerleben, muss das Publikum allerhand Vorannahmen und gelernte Muster mitbringen. Wenn ein Mann in einem Film Alkohol konsumiert und dabei das Foto einer Frau betrachtet, ist üblicher Weise seine große Liebe gestorben und er hat den Schmerz noch nicht verarbeitet. Wenn in der Anfangsphase eines Highschool-Films ein Teenager vor der Schule verstohlen zu einem Mädchen hinüber lächelt, ist das wohl der Love-Interest der Geschichte. Und wenn zuvor einer seiner Freunde etwas über Naturwissenschaften gesagt hat, ist der verliebte Junge einer der uncoolen Nerds an der Schule. Ohne Stereotype könnten wir eine Handlung gar nicht schnell genug erfassen. Jede Abweichung von den gewohnten Mustern fällt auf und wird dann üblicher Weise zu einem wichtigen Aspekt der Geschichte. Eine Heldin, die ganz unkommentiert eine Frau liebt, stellt eine Irritation dar, die Fragen aufwirft: Ist das ihre Freundin? Warum ist die Hauptfigur lesbisch? Was will uns der Film damit sagen.

Vielleicht schaffen wir es als Gesellschaft in einigen Jahren an den Punkt, an dem sich homosexuelle Figuren nicht mehr wie der Bruch einer Norm anfühlen, der thematisiert werden muss. Momentan müssen wir uns in aller Bescheidenheit darüber freuen, das immer wieder hervorragende Filme („Milk“, „Call Me by Your Name“, „Moonlight“, die oben genannten, etc.) ihren Teil dazu beitragen, dass wir unsere Normen hinterfragen.