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    Gestohlene Babys: Eine Mutter auf Spurensuche: Wo und wer ist mein Kind?

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Diese sich als Film noir darstellende spanisch-portugiesisch-französische Koproduktion trägt den Titel eines Gedichts von Fernando Pessoa: „Sobre todo de noche“. Das wie einiges weitere Unklare in der Storyline erklärt sich erst in dem an die Filmvorführung am 26.10.23 im Stadtkino im Künstlerhaus Wien anschließenden Q&A mit dem Regisseur Victor Iriarte, der auskunftsfreudig wie ein Wasserfall dazu aufklärte. Doch kann ein Film funktionieren, wenn die Geschichte nicht aus sich heraus ohne externe Erklärung verständlich ist?

    Wovon handelt der Film also? In der Zeit der Franco-Diktatur kam es in Spanien, wie auch in etlichen anderen autoritären Regimen (wie es z.B. Argentinien nach den Erklärungen von Iriarte bis 1983 war) dazu, dass Kinder gestohlen wurden. Aus welchen Gründen und wie das geschah bleibt im Film komplett im Dunkeln. Iriarte erklärte auf Nachfrage, dass das nach Kriegen ein übliches Verbrechen der Gewinner- versus Verlierer-Positionen ist. Sichtbar wird das im Film nur durch die leibliche, verletzte Mutter, die sich auf einen Rachefeldzug begibt, der sie von Spanien nach Porto führt. Staatliche Dokumentation ist nicht vorhanden: die Akten dazu sind verschwunden. Nur eine in einem Archiv bzw. einer Bibliothek arbeitende Mitarbeiterin taucht einmal auf und erteilt betroffen dazu Auskunft.

    Die leibliche Mutter beschreibt sich als Hauptakteurin anfangs aggressiv und bereit zum Rachefeldzug. Trotz der mehrmaligen, ruhigen Meereseinstellungen z.B. gleich zu Beginn des Films, die ihre Reise anzeigen, werden daran folgend auch Bilder von unterirdischen Gängen, sowie wiederholte Aussagen der Mutter zu Gewalt, zu der sie bereit ist, gezeigt, die eine unheimliche, bedrohliche Atmosphäre herstellen.
    Sobald jedoch der Sohn Egoz mit seiner Pflegemutter, einer Pianistin, gefunden sind, kippt die Dynamik und alles wird friedlich und die drei verbünden sich. Wie das bei dieser Geschichte so einfach gelingen kann, erschloß sich mir nicht.

    Schwer fiel mir auch anfänglich die optische Unterscheidung der beiden Mütter, die plötzlich unvermittelt beide im Bild präsent sind. Ich fragte mich außerdem, woher das unerklärte, große Wohlwollen zwischen den Müttern resultierte. Mich schauderte es jedenfalls bezüglich der Position des Sohnes Egoz, der sich zwischen zwei starken Mutterfiguren nur begrenzt wohzulfühlen scheint. Ödipus-Komplex lässt grüßen.

    Fazit: Ein Großteil des Publikums ließ sich durch diesen Film - wie im Q&A ersichtlich wurde - berühren und bewegen. Iriarte wies darauf hin, dass er eine Waffe zur Aufklärung der Verbrechen der „Stolen babies“ sein kann.
    (Dominika Krejs)
    11.11.2023
    17:06 Uhr