Filmkritik zu Afterwater

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Seen voller langsamer Bewegungen

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Nach einer Reihe an Kurzfilmen und seinem Langfilmdebüt „All the Cities of the North“ präsentiert der serbische und in Berlin lebende Regisseur Dane Komljen auf der diesjährigen Viennale nun seinen zweiten Langfilm „Afterwater“, der Anfang des Jahres in einer Nebensektion der Berlinale seine Weltpremiere feierte.

    In drei Abschnitte unterteilt und sich vom klassischen Erzählkino mit jedem Abschnitt weiter entfernend, beschäftigt sich „Afterwater“ mit menschlichen Beziehungen untereinander, zur Natur und insbesondere zum Wasser. Im ersten Abschnitt begleiten wir zwei Limnologiestudent*innen (die Binnengewässer, d.h. Seen erforschen), die aus der Großstadt flüchten und an einen See fahren, wo eine dritte Person zu ihnen stößt und sie die Verbindung zur Natur suchen. Der zweite Abschnitt spielt an einem spanischen See, an dem wieder drei Personen auftreten. Die Kostüme lassen darauf schließen, dass wir uns in der Vergangenheit befinden, wenn poetische Texte im Voice-Over über untergegangene Städte reflektieren. Im dritten Abschnitt schließlich sehen wir eine dystopische (oder zumindest zukünftige) Welt, in der sich Körper wiederum an einem See bewegen, tanzen und miteinander verschmelzen. Statt mit Sprache kommunizieren die Menschen nur noch über laute Atemgeräusche miteinander.

    Vor Beginn der Vorführung richtet der anwesende Regisseur ein paar Worte ans Publikum und animiert dieses dazu, im Film nicht zu verkrampft nach Bedeutung zu suchen, sondern sich stattdessen einfach auf die Erfahrung einzulassen und mit dem Film treiben zu lassen. Dass die Suche nach Bedeutung oder Handlung und das Warten auf eine klassische Erzählung mit Spannungselementen vergeblich wäre, macht auch der Film von Beginn an klar. Selbst im ersten Teil, der noch am ehesten so etwas wie eine Handlung zeigt, wird kaum gesprochen. Wenn doch, dann hauptsächlich in Zitaten, die die Figuren sich gegenseitig vorlesen. Bereits hier steht die (langsame) Bewegung, die Ruhe, das Rückbesinnen auf die Natur im Vordergrund und wird durch lange, statische Kameraeinstellungen sowie Nahaufnahmen von Insekten und anderen kleinen Tieren unterstrichen, die sich auf den Körpern der Menschen bewegen.

    Die Dreiteilung als strukturelle Eigenheit des Films wird in dessen Form reflektiert: So sind die drei verschiedenen Abschnitte, von denen einer in der Gegenwart, einer in der Vergangenheit und einer in der Zukunft spielt, auf drei verschiedenen Materialien aufgenommen. Die Gegenwart wird uns mit digitalen Bildern gezeigt, die Vergangenheit ist analog auf 16-Millimeter-Film gedreht und die Bilder der Zukunft sind im analogen Videoformat Hi8 entstanden, das mit seinen pixeligen, unscharfen Bildern eine unheimliche Atmosphäre erzeugt. Trotz der klaren Abgrenzung der drei Abschnitte, die dadurch entsteht, ziehen sich Themen und Bilder durch den gesamten Film, dem genau diese Fluidität, die Überwindung von Grenzen ein Anliegen ist. Immer wieder sehen wir menschliche Körper, die mit der Natur interagieren. Bilder von nackten Füßen auf nassen Wiesen folgen auf solche, in denen Menschen nackt im See schwimmen oder an seiner Oberfläche treiben. Die Konstellation der drei Figuren, die in jedem Abschnitt aufeinandertreffen, hinterfragt und überwindet heteronormative Vorstellungen menschlichen Zusammenlebens, während der Film genauso kommentarlos sprachliche Grenzen aufbricht.

    Am Ende kann „Afterwater“ sicherlich eine lohnenswerte und bereichernde Filmerfahrung bieten, wenn man sich erstmal auf den langsamen Fluss der Bilder eingelassen hat. Der Film verhandelt interessante Themen, die sich als roter Faden durch die verschiedenen Abschnitte ziehen und arbeitet dabei teilweise mit sehr eindrucksvollen und innovativen Bildern. Genauso bleibt es jedoch ein frustrierendes Seherlebnis. Das ist möglicherweise beabsichtigt, es bleibt aber die Frage, ob die Themen und ästhetischen Entscheidungen, die den Film durchziehen, über die vollen 90 Minuten tragen.
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    (Hans Bonhage)
    25.10.2022
    13:54 Uhr