2 Einträge
3 Bewertungen
81.7% Bewertung
  • Bewertung

    Ab in die Freiheit

    Fabienne Berthaud hat einen vom Titel her recht ungewöhnlichen Film gemacht und auch noch das Drehbuch geschrieben und die Kamera bedient. Besser noch, sie hat zwei hinreißende Hauptdarstellerinnen für diesen Mädelsfilm gefunden. Lily (Ludivine Sagnier) ist etwas schlicht und verwirrt, zumindest verhaltensauffällig, ihre Schwester Clara (Diane Kruger) ist eine vernunftbetonte, verheiratete Juristin. Dieser Gegensatz macht die Spannung im Film aus. Lily ist das bunte, ausgeflippte Blumenkind der 70er Jahre. Clara spürt die Distanz zu Ehemann Pierre (Denis Ménochet). Sehr einfühlsam werden die Welten der drei Charaktere dargestellt. Die Geschichte wird ohne überflüssige Überleitungen erzählt. Kurze, treffende Dialoge bringen immer gleich Aufklärung und überbrücken die entstandenen Handlungslücken. Clara und Lily leiden unter dem Unfalltod der Mutter, später erfahren wir noch etwas über den Tod des Vaters.
    In dieser Dreieckskonstellation machen alle einen Bewußtseinserweiterungsprozess durch und bleiben sich trotz alledem selber treu. Lily wird immer ‘normaler‘ sprich angepasster, kann sogar klare Aussagen bezüglich Claras Ehe machen. Pierre bleibt der Vernünftige, den Clara letztlich abweist. Er muss gehen. Sie macht neue sexuelle Erfahrungen und bricht mit ihrer Schwester zu neuen Ufern auf.
    Ganz nebenbei wird fast unbemerkt Kritik an der spießigen Gesellschaft deutlich, wenn Pierres Eltern mit Pinscher zu Besuch kommen. Und mittendrin gibt’s noch einen Schocker, der Claras geheime Wünsche visualisiert, weil ihr Lily ganz schön auf den Zeiger geht.
    Der Titel soll wohl Gänsehaut aufkommen lassen. Die guten Aufnahmen voller munterer Farbtöne und der Schluss lassen uns jedoch mit einem Sommer-Feeling zurück. Vielleicht ein Märchen – aber ein schönes.
    8martin_ea7f49f0f3.jpg
    27.11.2016
    13:07 Uhr
  • Bewertung

    Barfuß auf Nacktschnecken (Blu-Ray)

    Die Heldinnen des Films sind zwei Schwestern, die Jüngere ist gelinde gesagt etwas seltsam, man mag das „zurückgeblieben“ nennen oder „anders“. Die Mutter der beiden verstirbt plötzlich und nun muss Clara, die ältere Schwester, Verantwortung übernehmen für Lily, die einigermaßen unkontrollierbar durchs Leben geht. Zuerst will Clara (dargestellt von der grandiosen Diane Kruger) nicht wahrhaben, was ihre Schwester alles anstellen kann, wenn sie nicht beaufsichtigt wird. Sie glaubt, ihr Großstadtleben mit dem Job in der Anwaltskanzlei und dem feschen Juristen als Ehemann ungestört weiter führen zu können. Lily bastelt unterdessen Baumhäkelarbeiten (wie sie derzeit auch in unseren Großstädten Mode geworden sein), Skulpturen aus toten Tieren oder sie „verschönert“ ihr Absurditätenkabinett, das sie „Büro“ nennt. Die Nachbarn beschweren sich, die Situation gerät immer mehr aus den Fugen. Clara will Lily zu sich in die Stadt nehmen, doch dort ist die junge Frau, die so offensichtlich „anders tickt“ erst recht hoffnungslos überfordert. Clara nimmt sich also Urlaub und lässt den Job hinter sich. Sie zieht zu Lily und die beiden entwickeln eine intensive, wenn auch oft nervtötende Beziehung. Als Clara wieder einmal nicht mehr weiter weiß, fantasiert sie sogar davon, Lily in der Badewanne zu ertränken. Nach einem Streit verschwindet Lily und lernt drei umherziehende Kleidersammler kennen. Sie kehrt zurück und versucht nun ihrer Schwester auch einmal etwas beizubringen: nämlich wie man frei lebt, ohne lästige bürgerliche Konventionen. Am Ende gelingt es den beiden nicht nur, zu einander zu finden, sie entwickeln sogar so etwas wie ein Geschäftsmodell, um das Nötigste für den Alltag zu verdienen. Ein sehr französischer Film, der sowohl vom spanischen Altmeister Buñuel als auch von jüngeren Vorbildern, wie „Sweetie“ von Jane Campion, inspiriert scheint. Sowohl Diane Kruger als auch Ludivine Sagnier, in der nicht gerade einfachen Rolle als Lily, liefern brillante Arbeit ab.

    Ein kleiner, sensibler, humorvoller, stellenweise etwas makabrer Film, der voll überzeugt. Die beiden Hauptdarstellerinnen können ebenso stolz auf ihre Leistung sein wie das gesamte Filmteam. Ein schöner Film, den man allen ab 14 ans Herz legen kann.
    Auszug aus der Blu-Ray-Reviewweiterlesen
    haubentaucher_05793806ae.jpg
    24.11.2011
    09:09 Uhr