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    All about - Janet

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Ein junges Mädchen schleicht sich nachts aus dem Holzhaus zum Gebäude mit dem Telefon. „Ich bringe mich um, wenn du mich nicht abholst!“ Mit dieser merkwürdigen Drohung, ob bedenklich oder einfach nur unreif kindisch bleibt offen, beginnt die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Dramatikerin Annie Baker ihren Film „Janet Planet“. Nicht überraschend, geht der Anruf an die Janet aus dem Titel.

    Der Sommer bei Mama

    Die 11-jährige Lacy erpresst ihre Mutter, sie vorzeitig aus dem Feriencamp abzuholen. So können die beiden den Sommer Anfang der 1990er gemeinsam im ländlichen Massachusetts verbringen. Wenn nicht die wechselnden Gäste die Zweisamkeit von Mutter und Tochter stören würden. „Janet Planet“ zeigt in einzelnen Geschichten, wer diese Eindringlinge sind. Etwas lose um Janet kreisend, dahinplätschernd und immer nach dem gleichen Schema: Sie werden als eine Art Zwischentitel angekündigt, genauso wie das Ende dieser Begegnungen wieder verschriftlicht wird. Eine nette Idee, die an filmhistorische Gepflogenheiten erinnert. Nostalgisch wirken auch die Bilder in warmen Farben. Retro-Flair breitet sich aus.

    Die Anziehungskraft von Janet

    Baker stellt eine Figur ins Zentrum ihres Films, die auf die anderen eine magische Anziehungskraft auszuüben scheint. Diese bleibt immer mystisch, wird nie annähernd erklärt oder gezeigt. Eigentlich ist Janet (Julianne Nicholson) eine ganz normale Frau, weder besonders auffällig noch besonders hübsch. Wenn sie will, verrät sie ausgerechnet ihrer Tochter, kann sie aber dafür sorgen, dass sich jeder Mann in sie verliebt, den sie will. Zwei davon sind Wayne und Avi. Die dritte Person, die im Sommer einige Zeit in Janets Haus verbringt, ist eine alte Freundin. Alle Beziehungen entspinnen sich vor dem wachsamen Auge der jungen Lacy, die lieber mehr Aufmerksamkeit von ihrer Mutter hätte.

    Stille Augen

    Alle erwachsenen Personen, die zumindest eine Weile bei Janet wohnen, bringen ihre Eigenheiten mit. Wobei diese Schrullen die Figuren eher darauf reduzieren, als ihnen Leben zu verleihen. Da ist zuerst der wortkarge Wayne mit seiner Migräne. Später kommt die redselige Regina. Ihr folgt Avi, der Janet und ihrer Tochter die Welt, also die religiös-spirituelle Welt, erklärt. Lacy bekommt alle Beziehungen und viele Gespräche mit. Egal, ob die Themen altersgemäß sind oder nicht. Baker inszeniert Lacy meist als stille Beobachterin, auch im wörtlichen Sinn. Wenn sie aus dem Fenster blickt, herrscht absolute Stille, obwohl Janet mit einer der anderen Personen draußen redet. Den Dialog hört das Publikum nicht. Das kann man als prägnante Stille interpretieren, aber auch dahingehend auslegen, dass das Gesprochene ohnehin nicht interessant oder gar wichtig wäre.

    Das einsame Mädchen

    Obwohl sich alles um Janet dreht, bekommt ihre Tochter Lacy ebenso viel Spielzeit. Gleich zu Beginn wird das Mädchen als einsame Einzelgängerin stilisiert, im Camp verabschiedet sich nur ein anderes Mädchen von ihr. Es tauchen wenige Kinder in ihrem Alter auf, kreuzen ihren Weg. Es scheint, als hätte sie mehr Verbindung zu Erwachsenen. Die wichtigste ist jene zu Mutter Janet. Diese gilt es, neu auszuhandeln, da Lacy bald nicht mehr ganz Kind ist oder sein darf. Ja, sie nimmt viel von den Gästen auf. Ein gemeinsames Erwachsenwerden mit etwa gleichaltrigen Freund*innen ist es fast nie. Der Ersatz ist ihr Puppenhaus mit einer Ansammlung an verschiedenen Figuren. Ein altmodisches mit Vorhang, das mehr einer Theaterbühne gleicht. Für diese ‚Freunde‘ ist sie die Erwachsene, die Mutter-Figur. Sonst eher nicht. Ein Sitzstreik vor dem Schulbus etwa erinnert an die kindische Erpressung zu Beginn des Films.

    Hörbarer Sommer

    „Janet Planet“ punktet mit Atmosphäre. Die Geräusche der Natur, die Wälder und Wege lassen den Sommer fühlen. Wunderschön, mitunter zu beruhigend. Manchmal dringt der Besuch in diese Stille ein – etwa mit dem lärmenden Rasenmäher.

    Niemand bricht aus

    Ein wenig ernüchternd wirkt „Janet Planet“ schon. Die erste Episode verspricht noch genauere Charakterzeichnung, bietet etwas Spannung, wie sich die Mutter-Tochter-Beziehung entwickelt oder ob Lacy sogar lernt, eigene Freund*innen zu finden. Diese wird nicht gehalten. Die Figuren verflachen eher. Die großen Lebensfragen, die besprochen werden, scheinen wichtiger als die Menschen dahinter. Wenn das Schema von Janets Begegnungen bestätigt wird, steht das Entwicklungen im Weg. Baker schneidet mehrere abstrakte Themen an, mit vielen Worten in Dialogen und (subjektiv gefühlt) wenig Tiefe. Eher mystisch, unerklärt. Sowie Lacy nie klar ausdrückt, warum ihr Leben die reinste Hölle ist, wie sie behauptet. Daher könnte es genauso gut kindisches Kokettieren sein, ein wenig sensibler Umgang mit dem Thema Mental Health …

    Gediegene Episoden mit Pseudo-Tiefe

    „Janet Planet“ beginnt recht unterhaltsam und einigermaßen spannend. Bald erkennt man aber: Mutter und Tochter bleiben, wie sie sind. Dass sich die Begegnungen einfach nur wiederholen. Die großen Fragen zu Leben und Spiritualität treten vor das Persönliche, allzu gewollt aufgeladen und daher (subjektiv gefühlt) leer. Vielleicht bleiben manche deshalb seltsam unberührt von den Geschehnissen und dem Schicksal von Mutter und Tochter (wie die Autorin). Andere mögen diese ‚tiefsinnigen’ Gespräche, die man im Alltag wohl nicht so geballt führt, oder die auffälligen Pausen beeindrucken. Auch okay.

    „Janet Planet“ ist wohl ‚hit or miss‘. Entweder man ist beeindruckt von den prägnanten Pausen oder dem Philosophieren über das Leben und mag den Film. Oder er lässt einen nicht zuletzt wegen dieser eher kalt.
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    29.10.2024
    20:44 Uhr