Exklusiv für Uncut
Gelegentlich braucht es keinen Spannungsbogen, zuweilen darf man mit der Tür ins Haus fallen. Nachdem unlängst beim Venedig-Filmfest rezensiert und vehement kritisiert wurde, ist die Bemühung um einen knisternden Einstieg unnötig. Man kennt die gemischten Kritiken und es muss klipp und klar formuliert werden: gemessen am Marketing-Hype, gemessen am 200 Mio. USD-Budget, gemessen am beispiellosen Potential um Phoenix und Gaga, gemessen am finanziellen Triumph des Vorgängers, gemessen an der sehnsüchtigen Erwartung der Fans, gemessen an all dem ist JOKER:FOLIE À DEUX nichts weniger als … die Enttäuschung des Jahres!
Selbstredend: es gab schon schlechtere Filme. JOKER-Regisseur Todd Phillips versammelt die identische Erfolgscrew des ersten Teils und einige Departments überzeugen neuerlich. Die oscarprämierte, atonale Musik von Hildur Guðnadóttir ruft Erinnerungen an die beklemmenden Szenen eines abgemagerten Arthur Fleck hervor. Kamera, Szenenbild und Ton beherrschen die Ästhetik. Schmutzige, dampfige Gefängniszellen. Harte, laute Schläge auf Körper. Eine Kamera, die in extremsten Nahaufnahmen das menschlich Innere auf die Leinwand transportiert. Dazu einige fantastische Einstellungen des Jokers im Gegenlicht, ein starkes Intro im Comic-Look, verletzte Regeln der klassischen Filmanalyse. Optisch, visuell, handwerklich gelingt der Streifen, Promo-Fotos und Plakate sind großartig. Allerdings watet er in bekannten Gewässern. Alles bekannte Dinge. Die Musik ging schon einmal unter die Haut, Phoenix‘ drakonisches Lachen erschütterte schon einmal bis ins Mark und der inszenatorische Stil holte schon einmal von den Socken – nämlich im ersten Teil im Jahr 2019. Dieses Jahr hat hingegen nur eine nostalgische Auffrischung parat. Nett anzuschauen, aber mehr nicht.
Was könnte helfen? Bei gleicher Produktionscrew und gleichem Stil profitiert das Sequel vielleicht von der vielversprechenden Cast-Ergänzung: Lady Gaga. Einer der größten Popstars der Welt, die sowohl stimmliche Sensation als auch Schauspieltalent („A Star is Born“) vereint. Kombiniert mit einem der größten Schauspieler unserer Zeit, das verspricht immenses Potential. Vielleicht finden wir hier Schau- und Hörwerte, die fernab von ästhetischer Wiederholung etwas Einzigartiges erzeugen? Kann sich der Streifen damit retten, die Überzeugung der weltweiten Lady-Gaga-Fanbase, einer ganzen Community abzuholen?
Erstaunlicherweise nein, selbst dieses Potential verpufft. Das fade Drehbuch versteckt Gagas Talente, ihr Charakter bekommt keine Tiefe, von Haley Quinn ist überhaupt keine Spur. Dass darüber hinaus ihre gesangliche Stärke nicht genutzt wird, grenzt an Blasphemie. Wo ist die Extravaganza? Wo der innere Zwiespalt? Die Stimmen wirken imperfekt. Das kann Vorsatz der Regie sein zur Vermeidung einer Hochglanz-Musical-Produktion, das verschenkt aber auch Höhepunkte, musikalische Highlights, die dieser Film tunlichst vermeidet. Dazu kommen aus der Handlung gerissene Musical-Sequenzen, die als meistgeklickte Internetvideos herhalten können, in ihrer Trägheit das Gesamtwerk aber auch nicht rehabilitieren. Selbst die Beziehung zwischen Phoenix und Gaga, zwischen Joker und Quinn, kommt nie umfänglich zur Geltung. Obwohl betont werden muss: das Acting überzeugt auf ganzer Linie, beide holen das Beste raus aus ihren Zeilen.
Ästhetische Wiederholung, verschenktes Musical-Potential – wie wäre die inhaltliche Ebene? Zumindest könnte FOLIE À DEUX von thematischer Aktualisierung leben. Denn eigentlich sollten Werke etwas zu sagen haben, eine Botschaft. Hier hatte selbst der Vorgänger etwas mitzuteilen. Die Verschränkung von gesellschaftlicher Anarchie und innerem Psychogramm kratzte am eigenen Dasein, regte zur Auseinandersetzung an.
Davon bleibt auch nicht viel übrig. In einem kraftlosen Gerichtsprozess, der ein gewaltiges Stück der zu lang geratenen Laufzeit (138 Minuten) einnimmt, wärmt juristisches Personal die vergangenen Geschehnisse aus Teil Eins auf. Dass der Joker diesen Prozess im Verlauf zu einem kleinen Stand-Up-Comedy-Zirkus macht, ist eine minimale Allegorie auf das Gerichtswesen. Und vielleicht auf das Leben als Spektakel. Auf die Rollen, die wir jeden Tag auf der öffentlichen Showbühne spielen müssen. Darüber hinaus passiert hier nichts von tiefsinnigem Interesse. Mögliches Chaos auf den Straßen von Gotham, eine neue Politik, schwerwiegende Konsequenzen der Straßenunruhen in Gothams Urbanität. Nichts davon wird verhandelt. Wo ist der „Wahnsinn zu zweit“, der uns im Titel versprochen wurde? Am Ende kommt dann der emotionale Kern zu überraschend, abgehakt und kaum nachvollziehbar. Die Auflösung zu einfach. Anarchie verendet in Konformität. Am Ende werden alle Schulden beglichen. Selbst das ist ein feiger Ausweg. Oder ist es der Mut der modernen Gesellschaft, deren eigener Reformwille sich sukzessive aufgelöst hat? In dieser Hinsicht spielt Todd Phillips die bekannte, mutlose Klaviatur heutiger Zeit. Wir dürfen aber nicht den Fehler machen und vergessen, dass Phillips bei all dem filmischen Fiasko etwas gewagt hat. Er tappt nicht in die konventionelle Sequel-Falle, sondern wagt mit Ambition und Courage diesen Versuch eines Musical-Romance-Psychothrillers. Ein ehrenwerter Versuch, der dennoch scheitert.
Fazit: Ästhetisch anspruchsvoll und sehenswert, ausnahmslos getragen von zwei starken Darstellerinnen, aber verschenkte Potentiale in Figuren, Handlung und Botschaft. Nahezu unglaublich, wie dieses todsichere Erfolgsrezept dermaßen beiläufig, uninspiriert und irrelevant daherkommt. JOKER: FOLIE À DEUX verkommt zu einem fragmentierten Nichts. Ein Musical ohne Harmonie und ohne Höhen. Ein Sequel ohne tiefen Wert. Ein Werk ohne Relevanz, das wenig beizutragen hat. Weder zur Figur des Joker noch zur Psyche Arthur Flecks noch zur Zerrissenheit der Gesellschaft.