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    Das Mittelalter der Affen

    Exklusiv für Uncut
    „Nimm deine stinkender Finger von mir, du dreckiger Affe!“ Ins kollektive Kinogedächtnis haben sich die Worte des damaligen Starschauspielers und heutigen Waffenlobbyisten Charlton Heston eingebrannt. Auch die schockierende Offenbarung am Schluss ging in die Filmgeschichte ein: dieser sonderbare Planet ist der unsere, ist unsere Erde in ferner Zukunft. Mit „Der Planet der Affen“ entstanden 1968 ein herausragender Klassiker und ein filmisches Franchise, das inzwischen neu begonnen und frisch angestrichen wurde. „New Kingdom“ ist bereits der vierte Film der modernen Reihe und ein Soft-Reboot nach der abgeschlossenen Caesar-Saga.

    Caesar-Saga? Schneller Rückblick. Die „Prevolution“ (mit James Franco) hat 2011 mit einem Alzheimer-Medikament begonnen, das Affen in intelligente empathische Wesen transformierte und dem bisherigen Haustier-Schimpansen Caesar ein Empowerment zur Auflehnung ermöglichte. In „Revolution“ fiel der revolutionäre Startschuss für die endgültige Absage an eine friedliche Koexistenz, Affen und Menschen attackierten sich gegenseitig – bis zum finalen Krieg in „Survival“ an der Westküste der USA. In einem übersättigten Remake-Markt überaus erfolgreich an den Kinokassen sowie mit Anklang bei Publikum und Kritik, fand die zeitgemäß aktualisierte Trilogie nicht nur Balance zwischen Effekten und Story, zwischen Gewalt und Gefühl, sondern auch ihr inhaltliches Ende.

    Deshalb lässt der gegenwärtige Streifen „Planet der Affen: New Kingdom“ diese Geschichte weit hinter sich, die Handlung ereignet sich ca. 300 Jahre später. Evolution und Fortschritt halten Einzug, die Affen artikulieren sich besser, entwickeln menschliches Verhalten, es existieren mehrere Clans und effizientere Bauweisen. Die Menschen sind (scheinbar) mehr Beute als Gefahr, bei ihnen führte das Virus-Medikament zum Verstummen und zur geistigen Degeneration. Es herrschen die Affen und in diesem Zustand der Evolution ist es eher ein Kampf untereinander anstelle des Hegemonie-Konflikts gegen die Menschen. Wir nähern uns der Welt des Originalfilmes, die Reboot-Reihe erzeugt Kontinuität, aber auch spannende Ungewissheit, schließlich müssen nicht die gleichen Pfade beschritten werden. Mitten in diesem Mittelalter der Affen begleiten wir den Schimpansen Noa (Owen Teague). Nach einem Missgeschick sinnt er auf Rache gegenüber einer sadistischen Affenschar, angeführt vom tyrannischen Proximus Caesar (Kevin Durant), der die friedvolle Ambition des früheren Caesars missverstanden hat.

    Seine konventionelle Heldenreise führt Noa vorbei an verwachsenen Gebäuden, durch überwucherte Menschengebäude, reitend in ausgedehnten Landschaften. Ein passender Score aus treibenden Trommeln und ausschweifenden Streichmelodien lassen Erinnerungen an die großen Epen der Filmgeschichte anklingen. Das Worldbuilding gelingt, Dörfer und Brücken sind wie schon in den Vorgängerteilen mit authentischen Holzinstallationen ausgestattet. Selbst im adaptierten Naturzustand gibt es kein Beton. Allerdings haben sich Affen menschliche Artefakte nutzbar gemacht, so foltert die antagonistische Affengruppe ihre Gefangenen mit Taser-Waffen. Die Nutzbarmachung von Strom spielt eine gewichtige Rolle. Überzeugend erscheinen die visuellen Effekte: sowohl die Hintergründe als auch die Motion-Capture-Affen sehen fantastisch aus, wobei hier das Publikum im älteren Semester durchaus wehmütig an Klassiker ohne Computerspiel-Patina denkt. Modern Times. Evolution oder Untergang des klassischen Kinos?

    Alsbald trifft Noa den Orang-Utan Raka (Peter Macon), der neben einer Prise Humor ein gänzlich anderes Verständnis von Caesars Vermächtnis mitbringt. Sichtbare Interpretationen über verschiedene Zugänge zur Geschichtsschreibung. Wo Proximus die Überlieferungen missbraucht, lebt Raka den Geist des Messias weiter. Religion, Glaube und Personenkult sind in dieser ursprünglichen Welt wichtiger denn je. Später vergrößert sich die Reisegruppe um Mae (Freya Allan), die als Mensch ihre eigenen, geheimnisvollen Ziele verfolgt, bis sie am Ort des Feindes ankommen. Dort tritt zwar William H. Macy in vernachlässigbarer Nebenrolle auf, dort erfolgt aber auch der finale Showdown um ein Relikt, das „den Menschen die Sprache bringt.“

    Regisseur Wes Ball („Maze Runner“) dreht einen soliden Film, sein Cast kreiert eine naturbezogene Welt, die dosierte Action ist mit wechselnden Perspektiven vielseitig. Die Kamera nutzt das ganze Spektrum der Einstellungsmöglichkeiten, von extrem weiten Landschaften hin zu Close-Ups, die die Komplexität insbesondere von Noas Charakter präzise einfangen. Weniger überzeugt die Charakterzeichnung bei den Reißbrett-Antagonisten, deren Wirken nicht nur zu kurz kommt, sondern auch oberflächlich gerät. Und während der Wind der Philosophie das Franchise bisher durchwehte und von politischer Gemeinschaftsentstehung über Identitätsthemen bis hin zu tierethischen Fragen zur Trennungslinie Mensch-Tier allerlei Probleme verhandelte, bleibt dieser Teil überraschend substanzlos. Bis auf die bekannte Leier machiavellistischer Tyrannen, einer Spur Religionskritik und den seifenopernhaften Wert der Familie mangelt es an tiefgründigen Sujets. Sowohl das 1968er-Original als auch die Caesar-Trilogie brillierten in dieser Hinsicht.

    Fazit: Weder triviales Popcorn-Remake noch Sci-Fi-Actionballade. „Planet der Affen: New Kingdom“ ist reifes, umsichtiges Natur-, Reise- und Helden-Kino mit komplexen Hauptfiguren in einer imposanten kontrafaktischen CGI-Welt, die nur Fans bedingungslos gefallen wird. Abzüge gibt es für vorhersehbare Handlungsfäden, wenig Tiefgang und blasse Gegenspieler, wobei sich letzte vielleicht doch wieder als Menschen herausstellen. Es ist der Beginn einer neuen Trilogie und der Beginn des Wettlaufs um den Planeten.
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    08.05.2024
    23:38 Uhr