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86% Bewertung
  • Bewertung

    Die Agenden der Selbstzweifler

    Einst waren Blood Simple, Fargo oder No Country for Old Men brillante filmische Beispiele dafür, wie der lakonische Genre-Hybrid zwischen Film Noir, Thriller und Western, durchsetzt mit bitterbösem Humor, das postmoderne Kino umgedacht hat. Verantwortlich dafür waren eine ganze zeit lang die Brüder Joel und Ethan Coen. Seit Sichtung von LaRoy, Texas, einer Provinzdramödie, die von gescheiterten Existenzen und ihren Beziehungen zueinander erzählt, könnte man sich unter Umständen darauf verlassen, dass, sollten es die Coens nicht mehr hinbekommen, zumindest Shane Atkinson auf souveräne Art einspringen könnte. Sein Film ist allerdings weder ein Abklatsch noch eine schöngeredete Hommage an diese spezielle Art des amerikanischen Heimatsfilms, sondern ein zutiefst eigenständiges Konstrukt, mit anderem Timing, mit neuem Rhythmus und selten gesehenen Gesichtern, die dem ganzen Schicksalsreigen doch eine gewisse Eigenständigkeit verleihen; eine Originalität, die es nicht notwendig hat, mit Kassengold-Stars zu punkten. Es ist eine Story, die sich selbst genügt und auf nachvollziehbare Weise das eine auf das andere folgen lässt, wobei die Verknüpfungen in diesem Thriller nicht chronologisch erfolgen, sondern in einem zeitlosen Vakuum an Begebenheiten. Diese sind rein zufällig, denn Koinzidenzen machen in Atkinsons Welt das Leben aus.

    Der erste Stein, der den Domino-Effekt zum Kippen bringt, ist das des Nächtens liegengebliebene Auto eines Mannes, der kurze Zeit später von einem scheinbar zufällig vorbeikommenden Killer in die ewigen Jagdgründe geschickt wird. Dann: Szenenwechsel. Wir treffen auf den Baumarktbediensteten Ray Jepsen (John Magaro als die neorealistische Version eines mieselsüchtigen Buster Keaton), der von Möchtegern-Detektiv Skip (Steve Zahn) in einem Diner darüber unterrichtet wird, dass seine Frau anscheinend fremdgeht. Daraufhin sieht Ray keinen Sinn mehr im Leben und will sich eine Kugel in den Kopf jagen. Dieser Suizid wird allerdings vereitelt, als er mit jenem Killer verwechselt wird, der die Ouvertüre des Films zu verantworten hat. Und schon verdichten und verhaspeln und stolpern die Ereignisse übereinander, als würden alle zur Stoßzeit aus der vollgepackten U-Bahn wollen. Jede dieser Figuren, die allesamt ein ähnliches Problem mit sich herumschleppen, nämlich jenes, dass keiner an sie glaubt, ereifert sich in diesem Spiel um Erwartungen und Erwartungshaltungen so sehr, dass kein Auge trocken bleibt, keine Chance unversucht und niemand im Streben nach Anerkennung den großen Jackpot knackt.

    LaRoy, Texas ist eine staubtrockene Verliererballade im kessen Folklore-Cowboygewand eines lakonischen Thrillers, angereichert mit schwarzhumorigen Spitzen, die aus eloquent verfassten Dialogpassagen herausbrechen. Die paar Stereotypen, die sich in diesem Dilemma um Selbstachtung ebenfalls einfinden – wie zum Beispiel der unscheinbare Auftragsmörder – sind satirisch zitierte Versatzstücke in einem bereits bravourös interpretierten Kinobiotop. Hier lässt sie Atkinson nochmal Revue passieren, und stellt ihnen verhaltensoriginelle Kerle wie Steve Zahn entgegen, der scheinbar allen hier die Show stiehlt und als idealistischer Streber in Sachen Ermittlungen von der lokalen Polizei unentwegt verlacht wird. Was passiert mit Menschen, deren Kompetenzen unterwandert werden? LaRoy, Texas gibt die Antwort. In diesem Thriller strebt niemand nach der Gunst des materiellen Wohls, jedoch nach der Gunst des Respekts. Das hebt Atkinsons Film von anderen dieser Machart ab, die sich um Schatzjagden und dem Anraffen von Mammon bemühen. Dieser hier hat die Metaebene des psychologischen Konflikts ganz für sich allein gepachtet und bringt eine Eigendynamik mit ins Spiel, die in einer cineastisch brillanten melancholischen Verlorenheit ihre Erschöpfung findet. Desillusioniert zwar, aber wahrhaftig. Kurzum: Ein mit feiner Klinge geführtes, komplexes wie verstecktes Filmjuwel.


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    09.07.2024
    14:24 Uhr
  • Bewertung

    Großartig

    Ein großartiger Film aus dem Programm der Viennale. Ich hoffe mal (für euch) dass der bei uns auch regulär in die Kinos komme. Eine sehr erfrischende unterhaltsame Geschichte von Anfang bis Ende.
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    29.10.2023
    23:44 Uhr
  • Bewertung

    Ein Pulp Krimi, der die Facetten der Männlichkeit erkundet

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Shane Atkinson gibt mit „LaRoy“ sein Regiedebüt und serviert uns einen Film, der sich wohltuend von der Masse abhebt. Inmitten der Normalität eines texanischen Dorfes lebt Ray, ein gewöhnlicher Mann, der in einem gewöhnlichen Baumarkt arbeitet. Doch seine Sehnsucht nach der Liebe seiner Frau Stacy-Lynn treibt ihn an den Rand der Verzweiflung, da sie diese Liebe einem anderen schenkt. Als ob ein klassisches Liebesdreieck nicht schon kompliziert genug wäre, tritt Skip auf den Plan, ein skurriler Privatdetektiv mit einer ordentlichen Portion John-Wayne-Gelassenheit und einem ausgefallenen Faible für Cowboy-Mode.

    Skip wirbelt Rays Leben gehörig durcheinander, als er ihm Fotos zeigt, auf denen seine Frau ein Hotelzimmer betritt. Entschlossen, seinem Leid ein Ende zu setzen, steht Ray kurz davor, sich zu erschießen, als plötzlich ein Fremder auftaucht und ihn irrtümlicherweise für einen Auftragskiller hält. Dieser Fremde drängt Ray dazu, innerhalb eines Tages jemanden umzubringen. Ohne klare Anweisungen und mit dem festen Entschluss, nicht mehr leben zu wollen, findet sich Ray plötzlich in einem aufregenden Abenteuer wieder.

    Shane Atkinson entführt das Publikum in eine staubtrockene Kleinstadtkomödie im Neowestern-Stil, in der John Margaro in seiner Rolle als deprimierter Normalo beeindruckt. Der Film ist gespickt mit einer Fülle von Pechvögeln im Privatdetektiv-Gewerbe, zynischen Stripperinnen und zwielichtigen Baumarktbesitzern, die Rays und Skips unfreiwillige Partnerschaft in eine unvorhersehbare Thrill-Exkursion verwickeln.

    Die Handlung von „LaRoy“ entfaltet sich auf mehreren Ebenen, von echten und unechten Dreiecksbeziehungen über Erpressung und Gegen-Erpressung bis hin zu unerwarteten Totschlag. Ray und Skip müssen ihr Geheimnis mitten in der verschlossenen Gemeinde lüften, was zu unerwarteten Wendungen und Konflikten führt.

    Doch „LaRoy ist nicht nur ein spannender Krimi, sondern auch eine Erkundung von Männlichkeit und Freundschaft. Die Charaktere in diesem Film sind gezeichnet von ihrer Zerbrechlichkeit und Unzulänglichkeit, was zu unerwarteten Verbindungen und emotionalen Entwicklungen führt.

    Der Film nimmt sich auch die Zeit, die Auswirkungen der Finanzkrise in den USA zu erkunden, was „LaRoy“ eine zusätzliche, düstere Ebene verleiht. Die Kameraarbeit und das Set-Design fangen die trostlose Stimmung der Kleinstadt perfekt ein und verleihen dem Film eine einzigartige Atmosphäre.

    In „LaRoy“ zeigt Regisseur Shane Atkinson zweifellos sein Talent für das Erzählen einer skurrilen Geschichte, die Elemente des Pulp-Krimis mit einer Prise Slapstick Humor kombiniert. Die präzise Konstruktion des Films ist bemerkenswert und trägt dazu bei, die komplexe Handlung zusammenzuhalten. Die Charaktere sind exzentrisch und vielschichtig, und die Art und Weise, wie ihre Beziehungen und Geheimnisse miteinander verknüpft sind, ist fesselnd. Dennoch ist es gerade dieser Detailreichtum, der zuweilen die Grenze zwischen Unterhaltung und Überforderung zu überschreiten droht. Die zahlreichen Wendungen und Beziehungsgeflechte könnten für einige Kinogäste zu komplex und undurchsichtig sein.

    Insgesamt ist „LaRoy“zweifellos ein ambitionierter Film, der mit seinen komplexen Charakteren und Handlungssträngen beeindruckt. Der Einfluss der Coen-Brüder ist unverkennbar, und die Mischung aus Pulp-Krimi und Humor hat ihren eigenen Reiz. Dennoch könnte die feine Linie zwischen Genialität und Verwirrung, die der Film manchmal entlang wandert, dazu führen, dass nicht alle Zuschauer gleichermaßen in seine Welt eintauchen können. Trotzdem ist „LaRoy“ eine sehenswerte Erfahrung für diejenigen, die gerne unkonventionelle Geschichten und schrullige Charaktere schätzen.
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    25.10.2023
    10:20 Uhr
  • Bewertung

    Sich (nur einmal) wie eine Schönheitskönigin fühlen oder Der kleine Mann will hoch hinaus

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Shane Atkinson führt das Publikum in seinem Langfilmdebüt „LaRoy“ in ein Kaff in Texas, das etwas in der Vergangenheit stecken geblieben zu sein scheint. Ähnlich geht es einigen der Protagonisten, die in dieser blutigen Krimikomödie aufeinandertreffen. Typische Loser, die auf der Stelle treten, nicht ernst genommen werden. Es sind Figuren, die nicht einmal in ihrem winzigen Kleinstadtleben wirklich erfolgreich, geschweige denn glücklich sind. Genau für diese Typen beginnt ein gefährliches Abenteuer, als einer davon, Ray, mit einem Killer verwechselt wird.

    Das Geld des Auftraggebers lockt den braven Mann. Von der Ehefrau betrogen, und immer im Schatten des Bruders, ist er gerade dabei, seinem Leben ein Ende zu setzen. Da kommt der unerwartete Auftragsmord zur rechten Zeit. Es ist für Ray die Chance, seine schöne Stacy-Lynn zurückzuerobern. Diese Hoffnung treibt ihn an. Der kleine, unbedeutende Ray möchte endlich akzeptiert, respektiert, bejubelt und vielleicht sogar bewundert werden – wie seine Frau, die ehemalige Schönheitskönigin, und vor allem von seiner Frau. Es ist eher ein Stolpern als eine eigenmächtige Aktion, aber bald gibt es eine Leiche, die er entsorgen muss. (Und dabei bleibt es nicht.)

    Doch Ray ist nicht der Einzige, dem nicht der notwendige Respekt von den Mitmenschen entgegengebracht wird. Möchtegern-Cowboy Skip verdingt sich als Privatdetektiv, der von der echten Polizei schikaniert wird, wo es nur geht. Einen Fall lösen, wie ein richtiger Detektiv, das ist sein Traum. Skip ergreift die Chance ebenso, denn hinter dem Auftragsmord wartet ein kriminalistisches Rätsel. Die beiden Loser müssen fortan zusammenarbeiten, mit hohem Einsatz. Und der echte Auftragskiller mischt bald ebenso mit.

    Atkinsons Film wartet mit tiefschwarzem Humor, schrägen Figuren, dem Spiel mit amerikanischen Klischees und irren Wendungen auf. Es ist ein genauer Blick in die Seele von Menschen, die sich nach Bedeutung sehnen, zumindest nach etwas Anerkennung. Dafür nehmen sie großes Risiko auf sich. Der Film ist auch ein Porträt der Grausamkeiten einer Kleinstadt, mit kleinen Menschen, die besonders auf ihren Ruf achten (müssen). Hier bleibt nichts verborgen, wenn es nicht sorgsam geheim gehalten wird. Das Skript funktioniert auf allen Ebenen, erzählt seine Geschichte(n) mit viel Liebe zum Detail. Auch die Nebenfiguren dürfen zum Leben erwachen, bleiben nicht eigenschaftslos.

    Bestechend agieren die beiden Hauptdarsteller. John Magaro („First Cow“, „Past Lives“) zeigt als Ray, wie es ist, an unterster Stelle zu stehen. Er sieht nicht besonders gut aus, hat keinen herausragenden Job, ist nicht reich und wird von seiner Frau betrogen. Dem gegenüber steht sein Bruder, der sozusagen das genaue Gegenteil von ihm ist. Immer wieder wird auf diese geschwisterliche Rivalität angespielt, bei der Ray deutlich im Nachteil ist. Bis ihn die Verwechslung aus seiner Komfortzone holt. Es macht Spaß, ihm dabei zuzusehen, wie er versucht, sein Leben in die Hand zu nehmen. Zum Akteur zu werden, der nicht mehr alles einfach hinnimmt. Skip, sein unfreiwilliger Partner in Crime, ist ebenfalls eine Figur, die für Unterhaltung sorgt. Wenig glücklich in seinen Aktionen und mit fragwürdigem Modegeschmack geht er durch die Welt und sucht seinen Platz. Dieser fast traurig-schrägen Figur verleiht Steve Zahn („Happy,Texas“, „Joyride“, „The White Lotus“) die notwendige Würde. Skip ist zutiefst menschlich, weit mehr als ein Mittel für billige Parodie.
     
    Das gesamte Ensemble harmoniert, auch viele der Nebenfiguren bekommen ihren Moment im Scheinwerferlicht. Genauso wie die Schauplätze: die enge Kleinstadt und das weite Land. Sie sind in die Geschichte(n) verwoben, bringen sie in Gang. Besonders eindrucksvoll zeigt das schon die Eingangsszene. Nachts bleibt ein Auto hängen, erst nach einiger Zeit kommt ein weiteres Fahrzeug vorbei. Aber einen Autostopper mitnehmen ist ein gefährliches Unterfangen. Allerdings könnte es genauso gefährlich werden, zu jemandem ins Auto zu steigen, den man nicht kennt. Der tiefschwarze Witz, mit dem der Dialog übers Autostoppen im Auto durchtränkt ist, unterhält köstlich. Eine grenzgeniale Szene, die viel verspricht.

    „LaRoy“ hält das Tempo vom Beginn. Wendungen und hoher Einsatz von den Figuren sorgen für ein gutes Maß an Spannung. Vor allem besticht der Film durch die aberwitzigen Figuren, bissige Dialoge und manchmal fast irre Szenen. Das Kriminalrätsel ist dafür eher Hintergrund, der Weg zur Lösung viel wichtiger. Atkinsons Film macht von Anfang bis Ende Spaß, wenn man schwarzem Humor und ein wenig Gewalt nicht allzu negativ gegenübersteht. Diese wird zwar nicht glorifiziert, allerdings gibt es doch so einige Leichen bis zum Abspann.
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    24.10.2023
    22:07 Uhr