Forum zu River

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    Zwei Minuten Ewigkeit

    Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
    Die japanische Low-Budget-Sci-Fi-Komödie „Beyond the Infinite Two Minutes“ von Junta Yamaguchi eroberte im Jahr 2021 die Herzen zahlreicher Cineast*innen im Sturm und fand sich gar auf einigen Jahresbestlisten als ultimativer Geheimtipp wieder, nun legt Regisseur Yamaguchi mit „River“ seinen heiß erwarteten zweiten Film nach. Ein weiteres Mal beschäftigt sich der Film auf spielerische Art und Weise mit dem Phänomen einer Zeitschleife, wie man sie aus Filmen wie „Groundhog Day“ oder „12 Monkeys“ kennt. Wie bereits im Vorgängerfilm stellt sich auch in „River“ die Zeit mysteriöserweise alle zwei Minuten wieder zurück. Als Protagonistin Mikoto ist Riko Fujitani zu sehen, die bereits in Yamaguchis Erstlingswerk mit dem Filmemacher kollaboriert hat.

    Im kleinen, aber traditionsreichen Hotel „Fujiya“ in Kubine hat es das bemühte Hotelpersonal nicht leicht, versuchen sie es doch unaufhörlich den Gästen so gut wie möglich recht zu machen, und diesen einen möglichst angenehmen Aufenthalt zu bereiten. Eine von ihnen ist die junge Mikoto, die nach einem besonders stressigen Einsatz kurz am magisch anmutenden Kibune River pausiert. Rasch wird sie von ihrer Chefin zur Arbeit zurückbeordert, doch siehe da – zwei Minuten später steht Mikoto erneut am selben Fleck vorm Fluss. Nachdem sich das rätselhafte Vorkommen stetig wiederholt und scheinbar alle Personen im Umkreis von dem unglaublichen Ereignis betroffen sind, begreifen die Angestellten schnell, dass sie in einer Art Zeitschleife festhängen. Nichtsdestotrotz bemühen sie sich weiterhin die verdutzten Urlauber*innen zu beruhigen und zufrieden zu stellen, während gleichzeitig versucht wird, der Ursache der unheimlichen Anomalie auf den Grund zu gehen.

    Auch mit „River“ gelingt es Yamaguchi aufzuzeigen, dass es keines großen Budgets bedarf, um einen stimmigen, spannungsgeladenen Science-Fiction-Film zu kreieren. In seiner zweiten Regiearbeit setzt er jedoch deutlich mehr Fokus auf die humoristische Seite seiner Geschichte. Obwohl es in der Natur des Films liegt, repetitiv und gewissermaßen nervenfordernd zu sein, zwischenmenschliche Probleme und Existenzkrisen bieten eine willkommene Abwechslung von der Mystery-Handlung, und nach und nach rückt diese in den Hintergrund. Im Gegensatz zu vielen anderen Kolleg*innen seines Metiers weiß er zudem seine Story knackig und komprimiert zu verpacken, die gerade mal 86 Minuten Laufzeit vergehen wie im Flug.

    Hauptdarstellerin Fujitani verkörpert die verträumte Art ihrer Figur herausragend und bildet mit ihrer geerdeten Darstellung das Herz des Films, denn womit „River“ sich am meisten unter ähnlichen Genrewerken hervortut, ist letztendlich nicht das (nicht minder originelle) Zeitschleifen-Element, sondern die unglaubliche Wärme und der Charme, die vom Werk und den darin handelnden Personen ausgestrahlt werden.

    Man darf gespannt sein, ob Regisseur Yamaguchi in Zukunft ein drittes Mal Charaktere in der Zeit feststecken lässt, oder ob er sich einer neuen Faszination widmen wird, eine Sache steht garantiert fest: Aus dem japanischen Genrekino ist er nun nicht mehr wegzudenken.
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    30.09.2023
    18:56 Uhr
  • Zeit im (Über)fluss

    Zwei Minuten vor, zwei Minuten zurück. Es sind immer zwei Minuten, mit denen Junta Yamaguchi machen kann, was er will. Unter Garantie sind diese Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft, da kommt noch mehr, viel mehr. Das wiederum werden wir erst in ein paar Jahren erfahren, diesmal aber hält sein herzallerliebster Mindfuck einige Zeit vor, denn was man aus River alles mitnehmen kann, ist erstens mal Feel-Good jede Menge, ein immer wiederkehrendes nachhaltiges Kichern auf den Lippen und obendrein die idyllische Romantik einer zarten Sympathie zwischen Mikoto und Taku, einem Koch, der unbedingt nach Frankreich auswandern will, weil die French Cuisine ihn ruft.

    Die bezaubernde Riko Fujitani, bereits bekannt aus Yamaguchis Vorgängerfilm, gibt die in schickem Kimono gekleidete Hotelangestellte eingangs erwähnten Namens in einem Etablissement irgendwo in den Bergen Japans, an einem Fluss namens Kibune gelegen. Ein Ort der Ruhe und der Kraft – beschaulich, bescheiden, den Weltschmerz allüberall auf der Welt vergessen lassend. Mikoto ist aber dennoch nicht ganz zufrieden mit ihrem Leben – und erhofft sich vom Gott des Flusses (oder wer oder was hier auch immer den Laden schmeißt) zumindest einen Beistand, was die Zeit betrifft – möge der Moment so bleiben, wie er ist. Gebetet und erfüllt scheint der Wunsch. Mikoto findet sich nach zwei Minuten des Tuns plötzlich an derselben Stelle wieder, an der sie vorhin gestanden hat, direkt am gluckernden Bächlein. Was den Eindruck eines Déjà-vu vermittelt, ist letzten Endes mehr. Es betrifft alle – Mikoto, die Köche, die Gäste, das ganze Hotelpersonal. Alle zwei Minuten stellt sich die Welt auf Repeat, alle Charaktere „respawnen“ dort, wo sie vor zweimal 60 Sekunden gewesen sind. Was tun mit dieser Zeit? Und wie aus dieser hängengebliebenen Schallplatte des Lebens ausbrechen? Andererseits: Was lässt sich in diesen zwei Minuten alles bewerkstelligen, wie sehr könnte man in dieser Zeit seinen Status Quo überdenken? Und würde die Liebe Mikotos dann nicht ewig währen?

    Seinem 2020 mit spielerischem Entdeckerdrang entworfenen Zeit- und Raumexperiment Beyond the Infinite Two Minutes ist der Platz in den Annalen des Science-fiction-Films sicher. Die Verknüpfung von humoristischer Neugier, Situationskomik und populärwissenschaftlicher Logik ist längst schon ein Subgenre, das man Yamaguchi nicht mehr nehmen kann. Mit dem Enthusiasmus von Zurück in die Zukunft und japanischer Boulevardkomödien wird der Blick in die zeit voraus allen Anwesenden fast zum Verhängnis. In River besteht in erster Linie nicht die Frage nach dem Warum, sondern erstmal viel mehr nach dem Was jetzt. Yamaguchi braucht in dieser warmherzigen und auf überwältigende Weise bezaubernden, weil so bescheidenen Komödie nichts weiter tun, als auf seinen zwei Minuten zu beharren. Was sein Ensemble daraus macht, ist voll von zum Niederknien komischen Momenten und leidenschaftlicher Situationskomik. Die beiden Geschäftspartner, die immer wieder ihre volle Reisschüssel vor sich haben. Der Produzent, der nicht aus seiner Dusche kommt. Dessen Schreiberling, ein Serienautor, der die zwei Minuten nützt, um alles Mögliche anzustellen, nur nicht seine Schreibblockade zu lösen.

    Beschwingt und voller Ideen setzt Yamaguchi hier vermehrt auf das Zwischenmenschliche, auf die soziale Interaktion und das Herzliche. War in seinen Beyond the Infinite Two Minutes viel mehr die mathematisch-philosophische Schabernack im Mittelpunkt, ist der sogenannte Time Loop fast schon Nebensache, ganz so wie in Und täglich grüßt das Murmeltier, ein viel zitierter Genreklassiker als Mutter aller Zeitschleifenfilme. River aber variiert diese Prämisse so sehr, um sich längst nicht mehr den Vorwurf der Nachahmung anhören zu müssen. River lässt allesamt alles nochmal erleben, während Bill Murray der Einzige war, der immer wieder dieselben Stunden mit neuem Sinn füllen musste. Durch diese Änderung der Parameter ist River ein komplett eigenständiges, originäres kleines Kunstwerk der Mindfuck-Komödie, die man auch nur sehr schwer nachverfilmen kann. Zu sehr ist das Werk mit japanischem Lokalkolorit verbunden, zu sehr bilden seine Charaktere mit dem einmal verschneiten, einmal frühlingshaften Ort Kibune eine Einheit. Es ist ein Genuss, Minute für Minute diesen bestens aufgelegten Zeitschleifenbewältigern dabei zuzusehen, wie sie ihr Leben trotz temporärer Einschränkung in den Griff bekommen wollen. Man könnte meinen – so kurz unsere Existenz auch sein mag: Der Spaß an der Sache lohnt sich selbst für zwei Minuten.



    Exklusiv vom Slash Filmfestival.

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    29.09.2023
    12:24 Uhr