Forum zu Kubi

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  • Kopfsalat à la Japonaise

    Das kommt mir alles nicht nur spanisch, sondern auch japanisch vor. Hätte mich mein treuer Kino-Buddy, der, was die Geschichte Japans betrifft, so einiges am Kasten hat, nicht in groben Zügen über die Eckdaten der Geschehnisse unterrichtet, die sich im sechzehnten Jahrhundert so abgespielt haben, hätte ich mich noch weniger ausgekannt als ohnehin schon. Hätte nämlicher Kino-Buddy selbst mit einer geradezu jungfräulichen Ahnungslosigkeit geprahlt wie meinereiner, hätte es noch der ans Kinopublikum gewandte Erklärbär getan, der in ähnlichem Umfang über die Wirren zur Sengoku-Zeit so einige Klarheit schaffen konnte – die sich aber, nachdem dieser wieder Platz genommen hatte, schnell wieder eingetrübt hat.

    Ich weiß nur: Kubi – was so viel heißt wie Genick, denn es fliegen die Häupter wie Schneebälle bei einer Schlacht gleichen Bezugs – setzt den Grandmaster Beat Takeshi Kitano (u. a. Hana-Bi) ins Zentrum des Geschehens, basierend auf seinem eigenen Roman. Er mimt dort den Samurai und Feldherrn – und jetzt kommt der erste von vielen, vielen teils unaussprechlichen Namen – Hashiba Hideyoshi, auch genannt der Affe, was wenig schmeichelhaft klingt, doch er nimmt es hin, wie alle anderen, die dem mächtigen Oda Nobunaga zu Diensten sein müssen und um die Gunst des Herrschers buhlen, da sie alle seine Nachfolge antreten wollen und dafür sogar Harakiri hinnehmen würden, was allerdings wenig bringt angesichts des letalen Ausgangs. Alles beginnt mit der gescheiterten Rebellion eines anderen Feldherrn, Araki Murashige (jetzt könnte man anfangen, die Namen zu notieren). Der hat eine Liaison mit noch einem anderen Feldherrn, nämlich Akechi Mitsuhide, was ihm zugutekommt, denn Murashige wird überall gesucht und findet bei seinem Liebhaber ein passendes Versteck. Dass alle gemeinsam auf irgendeine Weise diesen völlig durchgeknallten Nobunaga stürzen wollen, ist sowieso von vornherein klar. Am geschicktesten bekommt dies eben Hideyoshi hin, der all die Gemetzel, die plötzlich über einen hereinbrechen, aus sicherer Distanz vom Feldherrnhügel bewundert, während wieder einem anderem, nämlich Tokugawa Ieyasu, späterer Shōgun (der ist wichtig, unbedingt aufschreiben), langsam die Doppelgänger ausgehen, so sehr haben es andere auf dessen Leib und Leben abgesehen.

    Gegen die Dramatis personae dieses ganzen Feudal- und Feldherrnspiel mutet Game of Thrones an wie ein Zwei-Personenstück. Wer da wem wie und warum ans Leder will, dafür reicht es wirklich nicht, nur rudimentär mit der japanischen Geschichte, insbesondere mit der Zeit der streitenden Reiche, vertraut zu sein. Hat man sie nicht selbst erlebt, bleibt vieles im Unklaren. Insbesondere die Frage, warum so mancher Feldherr handeln musste, wie er letztlich gehandelt hat, zog bereits rund 50 Theorien nach sich – Takeshi Kitano hat eine 51ste verfasst. Und aus der wird man letztendlich aber auch nicht klüger. Natürlich ist es beeindruckend, mitanzusehen, wie stattlich gerüstete Krieger die Schwerter und Lanzen schwingen, natürlich wird der abgetrennte Kopf bald schon zur inflationären Trophäe. Sowieso weiß niemand mehr, welches Haupt wohin gehört – wenn Takeshi Kitano auf süffisante Art, auf dem Stuhl kauernd und sich belustigt vorbeugend, im vor ihm abgelegten, deformierten Konterfei das Gesicht des gesuchten Nobunaga erkennen will (oder war es Mitsuhide?), dann ist das schwarzer Humor vom Feinsten.

    Genauso selbstironisch geht Kitano in seiner Regiearbeit auch ans Werk. Die monumentale, granitharte Bitterkeit anderer Intrigen-Epen lässt Kubi im Grunde völlig vermissen. Es ist gar so, dass manche Szene an den respektlosen Humor der Monty Pythons heranreicht. Später lässt sich das geschäftige Theater kaum mehr ernst nehmen. Man wundert sich ob all der Namen und Personen. Man fühlt sich befremdet ob so mancher, an Moral verlustig gegangener Charaktere, die den Tod ihrer eigenen Familie als günstigen Umstand hinnehmen.

    Im historischen Japan Takeshi Kitanos sind all die Mentalitäten der streitenden Parteien so fern wie Alpha Centauri. Wäre dieser garstige Zynismus nicht, wäre Kubi verwirrende Kost für ein spezialisiertes Publikum, bei dem jeder andere womöglich bald das Handtuch wirft. Der locker-flockige Stil allerdings macht es aus, dass diese zwei Geschichtsstunden stets frisches Blut vergießen. Langweilig wird’s somit nie. Und auch wenn so manches Detail im Nirvana des Kurzzeitgedächtnisses verschwindet und nicht immer alle Querverbindungen klar sind, bleibt immer noch die verblüffende Chronik eines leidenschaftlich ausgelebten Faustrechts.

    Exklusiv vom Slash Filmfestival.

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    29.09.2023
    12:32 Uhr
  • Bewertung

    Mühsame Machtkämpfe und schwule Samurai

    Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
    Über 30 Jahre soll das neueste Mammutprojekt von Takeshi Kitano in der Produktionshölle geschmort haben. Als der japanische Kultregisseur und Schauspieler beim heurigen Cannes-Festival „Kubi“ uraufführen durfte, muss ihm ein Stein vorm Herzen gefallen sein. Der unangepasste Film- und Fernsehheld ist in Nordasien eine nicht wegzudenkende Medienpräsenz, hierzulande kennt man Kitano vor allem für seine abstruse Spieleshow „Takeshis Castle“. Das auch sein neuestes Regiebeitrag alles außer gewöhnlich sein dürfte, sollte sich selbst erklären. Und ja, eine queere, schwarzhumorige Samurai-Saga scheint wie angegossen zu Kitano zu passen. Warum also enttäuscht das Epos?

    Die Gründe dafür mögen klein, dafür umso gewichtiger sein. Bevor diese erläutert werden, sollte man aber – immerhin flüchtig - mit der Erzählung des Films vertraut sein. Angelehnt ist diese an den 1582 tatsächlich passierten Honnoji-Zwischenfall, der erfolgreiche Putschversuch gegen den mächtigen Feldherren Oda Nobunaga (Ryo Kase: großartig). Der Schreckensherrschaft des Tyrannen gehört Einhalt geboten, zumindest, wenn man dem verschollenen Murashige (Endo Kenichi) Glauben schenken kann. Eine Armee aus Kämpfern, darunter der Samurai Toyotomi (Kitano selbst), werden zusammengesammelt, um den Putschversuch verhindern. Es bricht ein Männlichkeitskampf aus, bei der auch schwule Liebe (der echte Oda soll homosexuell gewesen sein) nicht zu kurz kommt.

    Kitano schreibt also japanische Geschichte neu und ergänzt sie um homoerotische Tendenzen. Eine Kurosawa-hafte Ausgangslage trifft auf Kitanos gewohnt narrischen Humor. Soweit, so großartig. Wo liegt also das Problem? So aufregend das alles auch klingen mag, so schleppend kommt die Geschichte in die Gänge. All die Intrigen, all die Kletterversuche entlang der sozialen Hierarchie sind in ihrer beabsichtigten Kauzigkeit erheiternd, keine Frage, die Luft ist aber schnell wieder raus. Zu verschulden ist das mitunter der deftigen Lauflänge von beinahe zweieinhalb Stunden. Die ganzen Macht- und Lustspielchen drehen sich nach einer Zeit im Kreis, Ermüdungserscheinungen sind kaum zu vermeiden. Na gut, dass das letzte Drittel immerhin nicht an Schauwerten spart. Die Samuraischlachten sind sauber inszeniert und ansehnlich ästhetisiert. Hätte man die Prioritäten etwas verschoben, dann wäre hier Großes möglich gewesen. Was bleibt ist eine wunderschöne, aber dennoch mühselige Alternativgeschichtsstunde. Schade ums verschenkte Potenzial!
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    26.09.2023
    20:12 Uhr